Es ist keine leichte Vorstellung: Das eigene Haus aufgeben, in dem man sein halbes Leben verbrachte, und im Alter in eine kleine Wohnung ziehen? "In Schweden ist das ganz normal", sagt Monika Kleinstoll. Sobald die Kinder aus dem Haus sind, und die Eltern nicht mehr auf soviel Wohnfläche angewiesen sind, verkaufen viele Schweden ihr Haus und ziehen in altersgerechte Wohnungen, erzählt Monika Kleinstoll. "Dort kleben sie nicht so an ihren Häusern." Die Seniorin hat mehrere Jahre in Skandinavien gelebt und ist im Alter nun nach Überlingen gezogen. Auch hier müsste so ein Modell doch möglich sein, meint sie.
Die Schere zwischen Alt und Jung wird stetig größer
Die Zahlen geben ihr Recht. Der in Überlingen zur Verfügung stehende Wohnraum kann mit der stetig wachsenden Nachfrage nicht mithalten. Die Einwohnerzahl Überlingens ist in den vergangenen zehn Jahren enorm gewachsen – stärker als die Nachbargemeinden und viel stärker als der Landesschnitt, wie Stadtplaner Thomas Kölschbach auflistet. Es kommen Familien, vor allem aber ältere Menschen und "die Schere zwischen Alt und Jung wird stetig größer", so Kölschbach. Die Hauptursache ist neben dem Arbeitsmarkt die Tatsache, dass viele junge Menschen keinen Wohnraum finden. Dafür spricht auch die hohe Zahl der Einpendler, also der Menschen, die im Hinterland wohnen und in Überlingen arbeiten – auch, weil sie sich in Überlingen keine Wohnung leisten können.

Um Ideen für eine Lösung dieser angespannten Wohnsituation zu entwickeln, hatte die Stadt auf Beschluss des Gemeinderats am Donnerstagabend eine Einwohnerversammlung einberufen. Ziel war es, über die derzeitigen Entwicklungsmöglichkeiten zu informieren und Ideen für die Schaffung von Wohnraum einzuholen (siehe unten).
Auf der Suche nach Lösungen ist das Stadtplanungsamt auf ein besonderes Problem gestoßen: In Überlingen wohnen häufig nur ein oder zwei Personen in großen Wohnungen oder Häusern. Lebten 1961 noch 2,7 Menschen gemeinsam in einem Haushalt, liegt der Wert mittlerweile unter 2,0 – Tendenz weiter sinkend, wie Thomas Kölschbach erklärt. Nicht selten käme es vor, dass Menschen alleine auf mehr als 100 Quadratmeter wohnten. Zudem gebe es nach dem Tod der Bewohner häufig Leerstand von Häusern. "Wie können wir verhindern, dass diese Bauten dann auf den freien Markt kommen und von Spekulanten gekauft werden", fragt der Stadtplaner.
Zur Lösung dieses Problems schwebt Oberbürgermeister Jan Zeitler ein besonderes Tauschmodell vor. Grundlage dafür stellt das bisherige Altenheim St. Ulrich dar. Dieses wird aufgrund einer neuen Heimverordnung des Landes, die eine Sanierung des St. Ulrich als wirtschaftlich nicht vertretbar erscheinen ließ, stillgelegt und durch einen Neubau westlich des Krankenhauses in Härlen ersetzt. Nun stellt sich die Frage der künftigen Nutzung des Gebäudes in der St.-Ulrich-Straße. "Ein Verkauf ist keine Option", stellt Zeitler auf SÜDKURIER-Nachfrage klar, "wir wollen schließlich das Vermögen des Spital- und Spendenfonds auch für kommende Generationen erhalten."
Stattdessen könnte er sich vorstellen, auf dem exklusiven Gelände mit Seeblick altersgerechte Wohnungen mit Betreuung anzubieten – und somit ältere Menschen zur Aufgabe ihrer Häuser zu bewegen. Diese stünden dann jungen Familien zur Verfügung. "So ein Modell fände ich hochgradig interessant", sagt Zeitler, der diese Idee nun mit dem Gemeinderat weiter entwickeln möchte.
Bürger wünschen sich Wohnbebauung auf Kramer-Areal
- Ein eigenes Wohnbaulandmodell – dieses ehrgeizige Ziel haben sich Gemeinderat und Stadtverwaltung gesetzt. Dieses soll konkrete Handlungskonzepte bei der Schaffung von Wohnraum geben und auch die Wünsche der Bürger berücksichtigen. Den Auftakt hierfür bildete am Donnerstagabend eine Einwohnerversammlung im Kursaal. Weniger als 100 Überlinger waren der Einladung gefolgt.
- Baubürgermeister Matthias Längin zeigte die aktuellen Entwicklungsmöglichkeiten auf. Dabei machte er klar, dass Überlingen im vergangen Jahrhundert enorm gewachsen ist und die Ausdehnungsmöglichkeiten in der Fläche begrenzt sind. Deshalb müsse man auf Nachverdichtung setzen. Der Regionalplan schreibe für ein Mittelzentrum, wie Überlingen eines ist, das Ziel von 80 Einwohner pro Hektar vor. Derzeit sei man aber gerade einmal bei 42,9 Einwohner pro Quadratmeter.
- Als aktuelle Entwicklungsflächen zählte Längin in der Kernstadt die Gebiete Südlich Härlen, Flinkern und das Kramer-Areal auf. Zudem sei weitere Wohnbebauung in Bonndorf, Ernatsreute und Bambergen denkbar.
- An vier Themeninseln konnten die Bürger ihre Wünsche zur Stadtentwicklung allgemein, zum integrativen Wohnen und zu den Gebieten Flinkern und Kramer äußern. Klar wurde, dass an beiden Standorten Wohnbebauung gewünscht wird.
- Das Problem: Weder im Gebiet Flinkern noch beim Kramer-Areal ist die Stadt Grundstückseigentümer. Zunächst müssen also Regelungen mit den Grundstückeignern getroffen werden. Das Gebiet Flinkern sei deshalb in der Planungspriorität noch recht weit hinten, erklärt Zeitler auf SÜDKURIER-Anfrage. Beim Kramer-Areal ist der OB hingegen so optimisitsch, dass er die Planung bereits jetzt vorantreiben möchte. Die Stadt sei in guten Gesprächen mit der Wacker Neuson Group. "Auch der Eigentümer hat erkannt, dass es in Überlingen einen großen Bedarf an Wohnraum gibt." Wie weit die Gespräche fortgeschritten sind, könne er zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht sagen.