Anna Sofia Höpfner

Knapp ein Jahr ist es jetzt her, dass Überlingen den Atem anhielt, während „Hans“ unterwegs war: Der Mann, der sich am Dienstagmorgen vor dem Amtsgericht Überlingen verantworten musste, wird angeklagt, 59 Autos beschädigt zu haben. Der Prozess wurde jedoch vertagt, da die Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht zweifelsfrei feststellbar war. Ein psychiatrisches Gutachten soll Klarheit bringen.

Angeklagter richtet Schaden in Höhe von 140 000 Euro an

Angeklagt wurde der Mann in 59 Fällen von Sachbeschädigung. Unter anderem soll er Worte wie „Kaffee“, „Ulm“ und „Hans“ in den Lack verschiedener Autos, vorwiegend in der Überlinger Altstadt, geritzt haben. In der Öffentlichkeit wurde der Mann deshalb als „Hans“ bekannt, auch das fünfköpfige Ermittlungsteam fahndete unter diesem Decknamen, auch wenn dieser sich nicht als Namen des Angeklagten herausstellte. Neben den Worten seien auch, so die Anklageschrift, „stilisierte Phallussymbole“ in den Lack geritzt worden seien. Der Schaden belaufe sich insgesamt auf rund 140 000 Euro.

Schulabschluss und Ausbildung

Der Angeklagte ist 41 Jahre alt, trägt weiße Turnschuhe und ein schwarzes T-Shirt. Er wirkt nervös, schaut demonstrativ in die andere Richtung, wenn Marius König, sein Verteidiger, mit ihm spricht. Ob er noch einmal über das psychologische Gutachten nachgedacht hätte, fragt König leise. Kopfschütteln: Das helfe sowieso nicht.“Hans“, wie er in Überlingen genannt wurde, hat einen Hauptschulabschluss, danach eine Lehre als Orthopädietechniker abgeschlossen. 25 Jahre habe er in diesem Beruf gearbeitet, gibt er an. Schlecht bezahlt sei dieser, weswegen er sich umorientiert hat: Nach ein paar Monaten der Arbeitslosigkeit habe er eine Stelle als Altenpflegehelfer angetreten. 75 Prozent, weil er Zeit brauche, die Sozialstunden zu machen, die das Gericht ihm aufgetragen hätte – ein Körperverletzungsdelikt aus dem vergangenen Jahr. Wie viele Stunden das seien? Das wisse er nicht, er hätte den Brief nicht geöffnet.

Mann kommt von Schulden nicht runter

Die finanzielle Situation des Mannes scheint prekär. Seine Bezahlung in dem neuen Beruf sei noch schlechter, die Miete teuer. Er gibt an, Schulden in der Höhe von 2000 bis 3000 Euro zu haben. Obwohl er „sein ganzes Gehalt da rein steckt“, blieben diese aber bestehen.

41-Jähriger spricht von Folter und Schlafentzug

Der Angeklagte bekennt sich dazu, die Autos beschädigt zu haben. Der Grund? „Weiße Folter.“ Das sei ein großes Konzept, erklärt er. Auf verschiedenste Weisen werde er gefoltert – die Schamfolter zum Beispiel sei ein Punkt. Er spricht von denen, „die das machen“, kann die Personen aber kaum konkretisieren. Lärmfolter würde von seinen Nachbarn ausgehen, die die ganze Nacht lang „rumschreien“. Er habe ein halbes Jahr lang nicht schlafen können, nicht einmal mit Ohrenstöpseln. Seine Taten begründet er mit dem Schlafentzug: „So ein Schlafentzug macht dich wahnsinnig, du bist nicht mehr du selbst. Schlafen Sie mal ein halbes Jahr lang nicht, dann wissen Sie, wie es mir geht!“

Verurteilung wegen Körperverletzung

Er könne die Geräusche nicht ausschalten und nachdem er sich gewalttätig gewehrt habe, hätte er einen Gerichtsprozess wegen Körperverletzung bekommen. Mobbing in seinem Betrieb, das Verfolgtwerden und der enorme Schlafentzug hätten ihn dazu gebracht, die Autos zu zerkratzen. „Fühlen Sie sich denn schon länger so verfolgt?“, will der Richter wissen, woraufhin der 41-Jährige aggressiv zurückgibt: „Ich fühle mich nicht verfolgt, ich werde verfolgt.“ Er sei weiterhin gesundheitlich zu dem Zeitpunkt in schlechter Verfassung gewesen. „Schweißausbrüche, Fieber“, erklärt er.

Auf die Aussage des Richters, dass nicht alle Eltern, die grade mit ihrem Neugeborenen ein halbes Jahr Schlafentzug hinter sich haben, losgingen und Phallussymbole in Autos kratzten, schnaubt der Mann nur verächtlich. „Eigentum verpflichtet“, erklärt er. Die Leute hätten einfach nicht gut genug auf ihre Autos aufgepasst.

Vorliebe für teure Autos

Das konnten sie auch schlecht, weil der Täter ausschließlich nachts unterwegs war. Seine Vorliebe für besonders teure Autos konnte er nicht begründen. Einen weiteren Grund für seinen Ärger konnte er aber noch anführen: Manche Autobesitzer hätten auf öffentlichen Parkplätzen geparkt, obwohl sie seiner Meinung nach Privatparkplätze besäßen. Das mache ihn wütend.

Lebenspartnerin hat sich vom Angeklagten getrennt

Der Angeklagte gibt an, alleine in seiner Wohnung zu leben. Eine Trennung von seiner Lebenspartnerin habe vor Beginn der Taten stattgefunden. Einen Zusammenhang erkenne er nicht. Sie sei „von einem Zuhälter unter Drogen gesetzt und auf den Strich geschickt“ worden. Sein Verteidiger gibt später an, dass aus dieser Geschichte der Name Hans stammen könne: Es gebe einen Hans, den sein Mandant für die Trennung verantwortlich mache. Die Realität sähe aber wahrscheinlich anders aus: Seine ehemalige Lebenspartnerin habe sich einfach von ihm getrennt und lebe nun in einer neuen Beziehung.

Richter ordnet psychiatrisches Gutachten an

Letztendlich konnte während der Verhandlung keine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob der Angeklagte eingeschränkt oder sogar vollständig schuldunfähig war. Das Gericht entschied, ein Gutachten eines Psychiaters einzuholen, dann würde der Prozess fortgesetzt. Ob dieser beim Amtsgericht bleibe oder an das Landesgericht übergeben werde, steht bisher nicht fest.