Der Aufbau eines Jugendgemeinderats war eine Herzensangelegenheit Ihrerseits. Nun ist die erste Amtszeit der Jungpolitiker schon vorbei und es stellt sich die Frage, lohnt sich das Projekt?
Jugendbeteiligung in einer Stadt lohnt sich immer, egal in welcher Form, sei es Jugendforum, Jugendgemeinderat oder auch sonstige Jugendaktivitäten. Ich bin begeistert über die erste Amtszeit. Wir haben gesehen, wie die Jugendgemeinderäte sich aktiv in den politischen Diskurs in unserer Stadt einbringen. Ich bin positiv überrascht, wie fordernd das passiert und wie akzeptiert durch das Hauptorgan, den Gemeinderat. Es ist für mich einfach schön zu sehen, dass junge Leute sich für Kommunalpolitik interessieren. Und wenn man dann noch sieht, dass daraus der Vorsitzende im Landesschülerbeirat erwachsen ist, dann haben wir, glaube ich, alles richtig gemacht.
Was können die alten von den jungen Gemeinderäten lernen?
Ganz viel. Sie haben unsere aktiven Räte neulich damit beeindruckt, wie multimedial sie die Kandidaten für die nächsten Jugendgemeinderatswahlen präsentieren möchten. Im Jugendgemeinderat herrscht eine Atmosphäre, bei der man das Miteinander spürt. Es gibt keine Parteien, sondern nur Sachthemen, die das Gremium gemeinsam lösen möchte.

Bleiben wir beim jetzt aktiven Gemeinderat. Vor einem Jahr wurde ein neuer gewählt. Was schätzen Sie an der neuen Konstellation, was nicht?
Wir haben keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse. Das ist ein Punkt, den kann man schätzen, aber der macht es auch nicht leichter. Mehrheiten müssen immer wieder gesucht werden. Ich schätze es, dass es gelingt, sich immer wieder auf sachlicher Ebene, bei allen ideologischen Unterschieden, zu begegnen. Was ich mir wünschen würde, ist, dass wir etwas stringenter an den Aufgaben arbeiten. Wenn es eine Vorberatung in den Gemeinderatsausschüssen gibt, dann dient diese dazu, gut vorbereitet im Gemeinderat beraten zu können und nicht jedes Detail erneut zu diskutieren. In diesem Zusammenhang frage ich mich schon gelegentlich, ob der Informationsfluss in den Fraktionen immer funktioniert. Das führt letzten Endes auch zu Ergebnissen, die man so nicht erwartet hat. Sprich: Eindeutige Befürwortung im Ausschuss, Ablehnung im Gemeinderat.
Sie denken dabei an den Antrag zum Bau eines neuen Zentralgebäudes für die Volksbank?
Ja, bestes Beispiel. In der Vorberatung eine klare Sache, und dann im Gemeinderat ein gegenteiliges Votum.
Im November sind vier Jahre seit Ihrer Wahl zum Oberbürgermeister vorbei, im Februar Halbzeit. Wir treffen uns zum vierten Sommerinterview, also kann man schon fast von Halbzeit sprechen. Die Frage sei gestattet: Entspricht das Amt noch Ihren damaligen Erwartungen?
Wenn man sich in ein Oberbürgermeisteramt begibt, dann weiß man, was einen erwartet. Ich messe mich am Fortschritt dessen, was ich erreichen wollte. Und das passt für mich nach wie vor. Dass das Amt vielfältige Belastungen, auch zeitlicher Art mit sich bringt, weiß man vorher. Insofern bleibe ich bei der Aussage: Das Oberbürgermeisteramt ist das schönste auf der Welt, wenngleich man natürlich auch seit der Kommunalwahl merkt, dass es nicht immer so rund läuft, wie man es sich vorstellt. Aber das gehört eben zur Demokratie dazu.

Jetzt mal ganz ehrlich: Was nervt?
Wenn in den Ausschüssen Dinge vorberaten werden, die letzten Endes doch nicht stattfinden können. Ich bin ja nicht nur Vorsitzender des Gemeinderates, sondern auch noch der Chef einer Verwaltung. Das ist für mich natürlich dahingehend auch belastend, dass ich enttäuschte Mitarbeiter-Gesichter sehe, die sagen, wir haben alles gegeben, um Kompromisse zu ermöglichen, und dann wird man auf der Ziellinie abgefangen. Das ist manchmal schwer zu vermitteln. Ich habe inzwischen viele Mitarbeiter, denen bewusst ist, dass so etwas passieren kann. Aber das kann halt auch nervig sein. Insbesondere dann, wenn noch Externe betroffen sind.
Sie sagen es, Sie sind Chef einer großen Verwaltung, die möglicherweise manchmal auch eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Sie können nicht immer jeden Vorgang kontrollieren, aber trotzdem müssen Sie es nachher verantworten. Und da frage ich, war es denn richtig, im Falle Kleingärtner Schlack, ich zitiere Sie, „mit harter Kante“ zu begegnen und damit ein derartiges Medienecho auszulösen?
Die Frage möchte ich nicht an einer einzelnen Person aufgehängt wissen. Sie kennen die lange Vorgeschichte dieses Sachverhalts. Ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn eine Gesellschaft sagt, wir geben uns Regeln, wir sie auch als solche akzeptieren und anwenden sollten. Wenn man eine Vorgehensweise wählt, die mit „zivilem Ungehorsam“ und „Guerilla-Gardening“ begründet wird, dann komme ich als öffentliche Verwaltung an meine Grenzen und muss reagieren. Dass mir das nicht immer Spaß macht, ist ein offenes Geheimnis. Die Lösung, die wir jetzt gefunden haben, hätte uns auch die betroffene Person vorschlagen können. Aber muss so etwas immer auf dem Rücken derer ausgetragen werden, die vor Ort den Ärger haben? Die Kollegen von der Stadtgärtnerei, die abräumen sollten, die Polizei, die angeschrien wird, man sei „coronainfiziert“ und man müsse eine Person im Schutzanzug wegtragen – da muss ich als öffentliche Verwaltung eben auch mal klare Kante zeigen. Und dann erträgt man auch ein Medienecho.
Manchmal gewinnt man den Eindruck, dass Sie persönlich angekratzt sind, wenn die Dinge nicht in Ihrem Sinne laufen. Deshalb die Frage: Lassen sich denn Amt und Person in Ihrer Rolle trennen? Wo hört der Oberbürgermeister auf und wo fängt der Jan Zeitler an?
Sowohl als Oberbürgermeister als auch als Jan Zeitler hat man natürlich einen Ehrgeiz, die Dinge gut zu machen. Und wenn ich mir etwas zurechtlege und es für gut halte, dann möchte ich es auch umsetzen. Ich bin Profi genug zu wissen, dass eine gemeinderätliche Entscheidung auch anders ausfallen kann als es sich ein Oberbürgermeister wünscht. Insofern bin ich in der Sache engagiert dabei und vielleicht auch mal enttäuscht im Augenblick der Entscheidung. Damit kann ich umgehen. Dass ich leidenschaftlich dabei bin, darf man einem Oberbürgermeister, glaube ich, nicht vorwerfen. Das wird auch in Zukunft so sein. Wenn es nicht so wäre, wenn mir die Entscheidungen des Gemeinderats völlig wurscht wären, dann würde ich anfangen, mir über meine Haltung als Oberbürgermeister Gedanken zu machen.
Man erzählt sich, dass es nach einer turbulenten Gemeinderatssitzung im Dezember, es ging um besagte Volksbank-Pläne, dann in der Nachsitzung hoch hergegangen sei. Die Stimmung sei jedenfalls nicht sehr vom Advent geprägt gewesen, und Sie hätten Ihrer Enttäuschung Ausdruck verliehen. Wie muss man sich das vorstellen?
Wir haben die Entscheidung intensiv diskutiert und ich habe offen zum Ausdruck gebracht, dass ich enttäuscht bin. Dabei ging es mir nicht um das Ergebnis als solches, das ich zu respektieren habe, sondern um den politischen Entscheidungsprozess dorthin. Allen Beteiligten war klar, dass nur eine Kompromisslösung in Betracht kommen kann, die aus meiner Sicht durch ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen aller auch gefunden war. Das brachten die Vorberatung und Signale der Fraktionssprecher so zum Ausdruck. Auf jeder politischen Ebene ist dies die Phase, in der Vertrauen und Verlässlichkeit in der Entscheidungsfindung unabdingbar sind, um gemeinsam voranschreiten zu können – was zum damaligen Zeitpunkt eben nicht gelungen ist. Abschließend sei aber noch zu Ihrer Beruhigung angemerkt: Adventliche Stimmung ist dennoch aufgekommen, was auch in versöhnlichen Weihnachtsansprachen zum Ausdruck kam.
Es hätte eigentlich alles so schön sein können, zur Halbzeit Ihrer Amtszeit den Abschluss der Landesgartenschau und in der zweiten Halbzeit die Umsetzung der vorbereiteten Projekte. So kündigten Sie es zu Beginn Ihrer Amtszeit an: Dass Sie in der zweiten Hälfte Strategien für die weitere Zukunft entwickeln wollen. Keine Gartenschau in diesem Jahr, und auch sonst bringt Corona vieles durcheinander. Müssen Sie Ihren großen Plan für sich und die Stadt über den Haufen werfen?
Ich habe immer gesagt, die erste Halbzeit meiner Amtszeit wird durch viele operative Tätigkeiten geprägt sein. Fertigstellung Mehrfeldsporthalle, Parkhaus und so weiter. Das brauchen wir nicht im Einzelnen aufzuführen. Bestimmte Dinge, die ich eigentlich für die Zeit nach der Landesgartenschau vorgesehen habe, können wir nicht länger warten lassen. Wir haben immer die Aussage getroffen, dass wir beim Verkehrskonzept weitermachen, sobald die Hafenstraße umgebaut ist. Und wenn Sie aufmerksam unser kommunales Geschehen verfolgen, was ich Ihnen unterstelle, werden Sie feststellen, im Herbst geht es los mit dem Umbau der Hafenstraße. Das heißt, ich möchte die Verkehrsdiskussion, die durchaus konzeptioneller Art ist, parallel zur Landesgartenschau führen.
Parallel zur Landesgartenschau 2021, ist das leistbar?
Wir müssen an die Themen ran. Das war genau mein Korridor: Nach vier Jahren einen Schnitt, um danach eher strategische Überlegungen treffen zu können. Wir werden uns, früher als ursprünglich gedacht, auch weiterhin dem Thema Wohnen widmen. Beim Eigenbetrieb Wohnen, den wir gerne gründen möchten, ist jetzt die Voraussetzung geschaffen. Weitere Zukunftsfragen: In welche Richtung soll die Stadtverwaltung sich entwickeln, wie wollen wir mit unseren Ortschaften weitermachen, wie beziehen wir die Bürgerschaft ein in unseren gemeinsamen Weg? Und das alles natürlich geprägt unter einer völlig veränderten Prämisse, was das Thema Klima angeht.
Die Verschiebungen der LGS auf 2021 heißt nicht, dass strategische Entwicklungen für Überlingen auf der Strecke bleiben?
Das ist richtig. Ich hätte gerne diesen klaren Cut gehabt, dass wir am Ende des Jahres 2020 sagen, wir hatten ein tolles Stadtjubiläum, wir haben wunderbar unsere Landesgartenschau gefeiert und jetzt gehen wir mal konzentriert, wirklich nur noch an die strategischen Fragestellungen, bevor es weitergeht. Das wird jetzt leider nicht möglich sein, weil die Themen zu dringend sind. Aber das ist auch Aufgabe einer Verwaltung, auf eine Krisensituation zu reagieren und eben Dinge parallel laufen zu lassen.
Die Schulentwicklung haben Sie nicht aufgezählt, ein 50-, 60-, vielleicht wird es am Ende ein 70-Millionen-Euro-Projekt. Bleibt auch das nicht auf der Strecke?
Das ist natürlich eine weitreichende Frage, die Sie hier anreißen, die gemeinderätlich beraten werden muss. Wir dürfen ein neues Gymnasium planen. Wir haben vom Land das „Okay“, was notwendige Förderungen angeht. Aber vor dem Hintergrund einer Corona-Pandemie und eingebrochenen Einnahmen muss natürlich vieles gemeinderätlich beraten und auch abgewogen werden. Wir wissen alle um die großen Investitionen. Wir brauchen zwei neue Kindergärten. Wir brauchen einen Anbau an die Wiestorschule. Wir brauchen ein neues Gymnasium und ein neues Feuerwehrhaus. Wir werden priorisieren müssen. Und ich weiß nicht, ob wir alles parallel schaffen werden. Insofern wird es noch wichtige Beratungen geben müssen, was als Erstes stattfinden soll.
Das heißt, wenn ich es kurz zusammenfassen darf: Hinter das Gymnasium machen Sie erstmals ein Fragezeichen, das Sie vor einem halben Jahr, vor Beginn der Corona-Krise, noch nicht gemacht hätten?
So weit bin ich noch nicht, dass ich ein Fragezeichen mache. Aber ich warte jetzt erst mal ab, wie sich die Einnahmenentwicklung am Jahresende darstellt. Wir werden uns jedoch auch erlauben, dem Gemeinderat Hinweise zu geben, was zeitgleich stattfinden kann und was eben nicht. Aber das Fragezeichen wäre mir zum jetzigen Zeitpunkt zu weit gegriffen.