Am Beginn der Debatte steht das Wirtshaussterben. Der „Löwen“ in Deisendorf, beliebter Treffpunkt der Dorfgemeinschaft, konnte nicht mehr existieren. Der Eigentümer verkaufte das Grundstück, gegen den Vorschlag der Bürger von Deisendorf und dessen Ortschaftsräten griff aber nicht die Stadt selbst zu, sondern überließ den Kauf einem Bauträger aus der Schweiz. Dessen Vorstellungen von einer Bebauung sprengten aber jeglichen, zum gewachsenen Dorfbild passenden, Rahmen.
Stadt bietet Grundstück in Bambergen zum Tausch an
In einem zweiten Anlauf könnte die mittlerweile hellhörig gewordene Stadt Überlingen doch noch zum Zug und Deisendorf zu einem Dorfgemeinschaftshaus kommen. Nämlich dann, wenn die Stadt dem Investor ein Alternativgrundstück zum Tausch anbietet. Das soll in Bambergen im Gewann „Torkel“ liegen, entlang der Dorfstraße.
Zeitler: Tausch noch nicht vollzogen
Wie Oberbürgermeister Jan Zeitler entsprechende Gerüchte bestätigte, autorisierte ihn der Gemeinderat dazu, mit dem Investor Verhandlungen zu führen: „Torkel“ gegen „Löwen“. Zeitler betonte, dass die Gespräche bislang nicht reif für die Öffentlichkeit seien, und erst wenn Vorzeigbares vorverhandelt wurde, könne man zurück in den Ortschaftsrat und in den Gemeinderat zur weiteren Beratung und Beschlussfassung gehen. Zeitler sagte, dass der Grundstückstausch als solcher noch nicht stattgefunden habe.
Ortschaftsrat von Bambergen lehnt Bebauung durch Investor ab
Indes wird das Thema in Bambergen kontrovers diskutiert. Ortsvorsteher Daniel Plocher – und mit ihm der gesamte Ortschaftsrat – lehnen eine Bebauung durch einen Investor ab. Er und die Dorfgemeinschaft hätten „Angst“, dass in Bambergen „nichts Gutes“ entsteht, entgegen der Beschwichtigung Zeitlers, doch Vertrauen aufzubringen, dass „etwas Gutes“ entstehe.
Daniel Plocher ist 2019 zum neuen Ortsvorsteher von Überlingen-Bambergen gewählt worden. Fragen an ihn zum umstrittenen Bauprojekt im Gewann „Torkel“
Ex-Ortsvorsteher: „Der schlechteste politische Stil“
Der frühere Ortsvorsteher Siegfried Weber kritisiert in einem Brief an die SÜDKURIER-Redaktion, dass in der Debatte die beiden Teilorte Bambergen und Deisendorf gegeneinander ausgespielt würden. „In Bambergen den Anschein zu erwecken, dass der Ortsteil Deisendorf ohne den Grundstückstausch kein Dorfgemeinschaftshaus bekommen könne, finde ich unfair und kommt in meinen Augen schon fast einer Nötigung gleich.“ Das sei „der schlechteste politische Stil“, den er in 30 Jahren kommunalpolitischer Arbeit kennengelernt habe.
Weber erinnert daran, dass es sich bei dem Tauschgrundstück um eine „Grünzäsur“ handle, die bisher von einer Bebauung strikt freigehalten werden sollte. Sie sei Teil eines Biotopverbunds und zur Gliederung und dauerhaften Trennung von Siedlungsflächen nötig. Weber: „Offensichtlich ist dieses Entwicklungskonzept nicht mehr relevant.“
Siegfried Weber ist „wütend“
Im Dezember 2019 fasste der Gemeinderat den Aufstellungsbeschluss für eine Bebauung des Grundstücks. Von einem Verkauf der kompletten 4500 Quadratmeter großen Fläche an einen einzigen Bauträger war damals nicht die Rede. Wenn die Grundstücke an örtliche Bauinteressenten einzeln verkauft würden, so Weber, könne sich die Dorfgemeinschaft noch damit anfreunden, zumal bezahlbare Grundstücke bekanntlich rar sind.

Jetzt aber steht nach seiner Kenntnis der Bau von 2,5-geschossigen „Wohnblöcken“ (Zitat Weber) im Raum, die ein Bauträger errichten wolle, dem es um Profit und nicht um die Wahrung des dörflichen Charakters von Bambergen gehe. Das, so Weber, mache ihn und andere im Dorf „wütend“.
Den Nachbarn in Deisendorf gönne er ein Dorfgemeinschaftshaus. Siegfried Weber betont jedoch: „Auch hier in Bambergen wurden zum Bau des DGH Baugrundstücke zur Refinanzierung verkauft, aber eben auf der Gemarkung Bambergen. Vielleicht sollte man doch noch einmal nach Tauschflächen in Deisendorf suchen, auch wenn man sich mit dem Widerspruch einzelner Deisendorfer auseinandersetzen muss.“
Und was sagt die Stadt Überlingen zum Stand der Debatte?
Das Thema habe noch nicht die „Beratungsreife“, um sachgerecht darüber diskutieren zu können, sagte OB Jan Zeitler in der Gemeinderatssitzung am 30. September. „Wir werden im Oktober diesen Jahres die grundsätzlichen Überlegungen zur Bebauung des Gebiets der Öffentlichkeit zur Kenntnis geben.“ Und er appellierte: „Haben Sie doch etwas Vertrauen in den Prozess.“
Bislang unbeantwortete Fragen an die Stadtverwaltung
Ergänzende Fragen der SÜDKURIER-Redaktion, die der Pressestelle Zeitlers seit Donnerstagabend vorliegen, wurden bis zur Veröffentlichung dieses Artikels nicht beantwortet. Fragen lauten unter anderem, welches Maß der Bebauung für den „Torkel“ vorgesehen wäre, ob es vonseiten der Stadt Überlingen realistische Möglichkeiten zur Finanzierung eines Dorfgemeinschaftshauses in Deisendorf gibt, und warum sich die Stadt das „Löwen“-Areal nicht schon selbst sicherte, bevor der besagte Schweizer Investor dies tat. Sind die Signale und Wünsche aus der Dorfgemeinschaft Deisendorf nicht deutlich und früh genug formuliert worden?
Anmerkung der Redaktion: Erst am Mittwoch, 14. Oktober, antwortete die Stadtverwaltung und widerspricht darin teils den Darstellungen im obigen Bericht. Im folgenden Bericht werden die Antworten der Stadt Überlingen veröffentlicht: