Der Angeklagte steckt bis zum Hals in Schulden, mehrere tausend Euro ist er in den Miesen. Er hat Unterhaltsschulden, Schulden aus einem anderen verlorenen Gerichtsverfahren, muss auch diese Prozesskosten übernehmen und sucht aktuell eine Arbeit. Bei der Schuldnerberatung habe er sich gemeldet und hoffe auf Hilfe, sagt er zu Beginn des Prozesses. Doch eigentlich wolle er mit seiner Partnerin auswandern, um in einem Nachbarland endlich wieder eine Arbeit zu finden. Und jetzt auch noch dieser Prozess. Aber der Reihe nach.
„Hatte dann kein Geld mehr“
Der 39-jährige Angeklagte aus dem Bodenseekreis sitzt an diesem Tag wegen Betrugs auf der Anklagebank. Der Mann ist ausgebildeter Mechaniker, hat während seines Lebens jedoch in zahlreichen unterschiedlichen Branchen gearbeitet. Zuletzt war er auch als Handwerker im Baugewerbe tätig. Im Rahmen dieser Tätigkeit kam es im Jahr 2022 zu einem Vorfall, weshalb er an diesem Tag im Amtsgericht sitzt. Damals arbeitete er auf einer Baustelle in der Region: „Fliesen legen, Armaturen befestigen und so Sachen“, sagt er. Im Auftrag einer Bauleiterin habe er regelmäßig Material von Unternehmen bestellt, die Kosten aus eigener Tasche übernommen und sich diese dann von der Bauleiterin erstatten lassen. Dem Amtsrichter und dem Staatsanwalt zeigt er mehrere Dokumente, die das belegen.

Im April 2022 soll er aber von einem Bauunternehmer Stahlträger im Wert von rund 3400 Euro bestellt und abgeholt, aber nie gezahlt haben – trotz mehrmaliger Mahnungen, so die Anklageschrift. Der Angeklagte war damals Vertragspartner. Er erklärt, dass die Bauleiterin die Kosten nicht erstatten wollte und die Baustelle wegen Baumängeln einstellte. „Ich hatte dann kein Geld mehr“, sagt er.
Als andere Person am Telefon ausgegeben
Dann spricht der einzige Zeuge, der betroffene 67-jährige Bauunternehmer. Er schildert, dass er seit 30 Jahren im Geschäft sei, aber nie übers Ohr gehauen wurde – bis sich der Angeklagte bei ihm wegen der Stahlträger meldete. „Er hat sich als ein Freund meines Sohnes ausgegeben, damit ich ihm die Stahlträger verkaufe“, sagt er. Der Angeklagte habe ihm am Telefon aber geschildert, dass er für die Zahlung auf das Geld der Bauleiterin angewiesen sei. „Er meinte: ‚Wenn ich das Geld habe, werde ich das sofort überweisen.‘“ Aber so weit kam es nie. Nachdem er mehrere Mahnungen geschickt hatte, habe er Anzeige gegen den Angeklagten erstattet.
„Er hätte es in Raten zahlen können. Oder wenn er mir Bescheid gegeben hätte, wäre das kein Problem gewesen – aber so nicht!“, sagt der Bauunternehmer. Der Zeuge macht keinen Hehl daraus, dass er wegen der ganzen Sache wütend ist. Das Geld für die Bauträger sei ihm egal, er wolle diesen Prozess jetzt nur hinter sich bringen. Nachdem er alle Fragen des Richters beantwortet hat, verzichtet er auf die Zeugenentschädigung und verschwindet aus dem Saal. Warum der Angeklagte sich als jemand anderes ausgab, wird nicht weiter vertieft. Amtsrichter von Kennel wirkt danach jedoch misstrauisch gegenüber dem Angeklagten.
Gemeinnützige Arbeitsstunden für Angeklagten
Anschließend fragt der Richter, warum der Angeklagte nie auf die Mahnungen des Geschädigten geantwortet oder reagiert habe. Der 39-Jährige seufzt, gibt darauf aber keine Antwort. Kurz überlegen Amtsrichter und Staatsanwalt, ob sie noch die Bauleiterin laden sollen. Sie entscheiden sich aber dagegen, da teilweise nachgewiesen werden konnte, dass der Angeklagte den betroffenen Bauunternehmer täuschen wollte. Für ein Urteil reicht das aber nicht. Sie entscheiden, das Verfahren gemäß Paragraf 153a vorläufig einzustellen.
Dieser Passus besagt: Die Staatsanwaltschaft kann mit Zustimmung von Gericht und dem Beschuldigten von der Anklage absehen. Sie erteilt dem Beschuldigten Auflagen, die geeignet sein sollen, „das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen“, so der Wortlaut in der Strafprozessordnung. In diesem Fall bedeutete das: Dem Angeklagten werden 100 gemeinnützige Arbeitsstunden verordnet. Aufgrund seiner finanziellen Situation wird auf Strafzahlung verzichtet.