Vor Knatsch haben sie immer noch keine Angst, zu verlieren schon gar nichts. Für diesen Schritt wurden Dirk Diestel und Kristin Müller-Hausser offenbar beschimpft und bejubelt. Doch es gehe den beiden um ihre Stadt, um den demokratischen Wettbewerb. Und es gehe ihnen auch um einen anderen Oberbürgermeister als Jan Zeitler.
Gesucht: Empathie, Transparenz und Bürgerbeteiligung
Mitte Juni haben Diestel und Müller-Hausser im Namen der Wählerinitiative Bürger für Überlingen (BÜB+) im Staatsanzeiger eine Anzeige geschaltet: „Kandidaten zur Wahl des Oberbürgermeisters (m/w/d) gesucht“. Gesucht würden demnach Kandidaten, „die sich für ökologische Belange und Kulturförderung einsetzen und empathisch gegenüber Bürgern und städtischem Personal sind“. Die Überlinger wünschten sich eine „offene und transparente Rathauspolitik mit Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung“, heißt es im Text. Unten rechts steht das Logo der Wählerinitiative und ein Verweis auf die Webseite der Stadt Überlingen.
So kam es zum Aufruf
Den Stein ins Rollen brachte nicht etwa das Abschneiden des Überlinger OB bei den Kreistagswahlen, erklären die beiden Vorstandsmitglieder. Das sei die SÜDKURIER-Podiumsdiskussion im Mai gewesen, wo Diestel im Publikum war. Dort gaben die Vertreter der anwesenden Parteien nicht das Signal, aktiv nach einem Kandidaten auf der Suche zu sein. Diestel bezeichnet diesen Moment der Veranstaltung als „erschreckendes Schweigen“. Einzig Sozialdemokrat Christian Gospodarek meldete sich mit einem Grinsen: „Wir haben einen Kandidaten“, sagte er. Gemeint war natürlich der amtierende und wieder kandidierende OB Zeitler, ebenso Mitglied der SPD.

Nach einer Vorstandssitzung fiel die Entscheidung: Für 700 Euro schaltete die BÜB+ die Anzeige in dem Medium, in dem Oberbürgermeister-Posten und viele Verwaltungsstellen ausgeschrieben werden. Mitte Juni wurde sie veröffentlicht. Laut Online-Version der Anzeige gab es bislang rund 500 Aufrufe für die Anzeige (Stand: 21. Juni).
Warum ausgerechnet die BÜB+?
Dass ausgerechnet die BÜB+ bei diesem Thema mitmischt, wirkt kurios. 2022 legten Diestel und Müller-Hausser ihren Posten im Gemeinderat nieder, eine Liste bekam man vor der Gemeinderatswahl nicht zusammen. Die Wählerinitiative ist mittlerweile politisch bedeutungslos in Überlingen. Also warum das Ganze?
Dafür nennen Diestel und Müller-Hausser drei Gründe. Grund eins: „Die Überlinger sind nicht zufrieden, das haben wir in vielen persönlichen Gesprächen mitbekommen“, sagt Müller-Hausser. Diestel fügt hinzu, dass 15 Bürgerinitiativen gegründet wurden, seitdem der aktuelle OB im Amt ist. „Das spricht für mich eine klare Sprache.“
Grund zwei: „Es geht uns um den demokratischen Wettbewerb“, sagt Müller-Hausser. Die 79-Jährige verweist als gutes Beispiel auf die anstehende OB-Wahl in Friedrichshafen. Dort haben bislang drei Kandidaten ihren Hut in den Ring geworfen. „Um überhaupt eine Auswahl zu haben, braucht es doch mindestens zwei Kandidaten!“
Grund drei: Offiziell muss die Stelle für einen Oberbürgermeister spätestens zwei Monate vor der Wahl im Staatsanzeiger ausgeschrieben werden, besagt die Gemeindeordnung. In Überlingen findet die Wahl am 10. November statt, ausgeschrieben würde die Stelle demnach spätestens am 10. September. „Viel zu spät“, finden Diestel und Müller-Hausser. Auch, weil anschließend die Zeit bis Ende der Bewerbungsfrist kurz sei. „Deshalb wollen wir mit der Anzeige jetzt schon potenzielle Kandidaten auf die Wahl aufmerksam machen“, sagen sie.
Potenzial für großes Missverständnis
Der Wunschkandidat in der Anzeige liest sich aus Sicht der BÜB+ wie der Gegenentwurf des Amtsinhabers. Bei dem Aufruf gibt es aber das Potenzial zum großen Missverständnis. Unter der Anzeige steht zwar das Logo der BÜB+. Ein möglicher Interessent, der nach Lesen der Anzeige ins Rennen geht, soll aber kein BÜB+-Kandidat sein, betonen Diestel und Müller-Hausser.

„Deshalb haben wir dort auch keine Kontaktangaben zu uns hinterlassen, sondern nur die Webseite der Stadt Überlingen.“ Ob das in der Öffentlichkeit auch so verstanden wird, bleibt fraglich. Die Vorsitzenden sind sich aber sicher, das richtig formuliert zu haben. Aber würden Sie einen Kandidaten, der sich daraufhin meldet, unterstützen? Das sei nicht angedacht und hänge vom Kandidaten ab. Ausschließen wollen sie es aber nicht, sagen sie.
„Werden uns weiter einmischen“
Nach der Veröffentlichung hätten sie Lob und kritische Bemerkungen erfahren. Sie hoffen, dass der Aufruf eine Debatte in der Stadt anstößt. Dass sie im Gemeinderat nicht mehr mitmischen werden, steht für beide fest nach der vergangenen Periode längst fest. Der 69-jährige Diestel möchte dieses Amt nach überstandener Herz-OP nicht mehr anstreben, Müller-Hausser will mit 79 Jahren nicht mehr. Dennoch wollen sie in der Kommunalpolitik weiterhin eine Stimme sein: „Wir werden uns weiterhin einmischen“, sagen sie.