Ja, auch unter historischen Waffen kann es wahre Schätze geben. Zumindest für die Spezialisten, die sich mit der technischen Weiterentwicklung von Infanteriegewehren befassen. Das älteste Stück der Sammlung im Städtischen Museum stammt aus dem Jahr 1777, wie Kustos Peter Graubach den auserwählten Interessenten erläuterte, die zu den Führungen im Rahmen der stadtgeschichtlichen Jubiläumsvorträge Einlass gefunden hatten. Gerade mal acht Besucher hatte die Corona-Verordnung in der engen Kammer pro Termin zugelassen.
Schon eine Besonderheit ist der gotische Gewölberaum, der seit der Gründung des Museums im Jahr 1913 als Waffenkammer genutzt worden war. „Es ist einer der wertvollsten Räume im Haus, der keine baulichen Veränderungen erfahren hat“, erläuterte Peter Graubach. Bis heute gelte dieser als ältester ehemaliger Bibliotheksraum in einem Privathaus.
Überlinger Bürger überlassen Waffen und Uniformen dem Museum
Doch schon zur Museumsgründung hatten Überlinger Bürger ihre Waffensammlungen, Uniformen und andere Militaria der Einrichtung überlassen, die hier untergebracht waren. Bis zum Umbau des Museums im Jahr 2013 war die Sammlung für Besucher gar nicht zugänglich. Seitdem sind die Objekte zumindest hinter Panzerglas zu sehen. Etwas näher ran durften die Interessenten jetzt bei den Führungen mit dem Museumschef.
Eine Gewehrsammlung hat besondere Bedeutung
Besondere Bedeutung hat heute eine Militärgewehrsammlung, die dem Museum 1929 vermacht wurde und quasi jedes System beinhalte, das bis zu diesem Zeitpunkt entwickelt worden war. „Wie groß allerdings die Bedeutung der Sammlung ist, wurde erst in den letzten Jahren nach und nach deutlich“, erklärte Peter Graubach: „Ich war selbst überrascht, was da aufgetaucht ist.“ Kein Wunder, dass der Kustos des Museums und Hüter des besonderen Schatzes alle Objekte nur mit Glacéhandschuhen anfasst. Der Schweiß könnte schließlich Roststellen an den Stahlwaffen verursachen.
Die Sache mit der problemlosen Zündung, des Nachladens und des Flugs des Projektils, was Reichweite und Präzision angeht, stellte die Hersteller von Gewehren vor große Herausforderungen. „Verbesserungen setzten sich nur langsam durch“, betonte Graubach. Nach jedem neuen Entwicklungsschritt mussten erst Erfahrungen gesammelt werden, ehe man die veränderte Technik auf eine ganze Ausrüstung anwandte.
Vom Luntenschloss, „sehr unzuverlässig“, zum Steinschloss
Graubach erläuterte die Entwicklung der Zündung, die mit einem Luntenschloss begann, das die Hauptladung im Lauf zur Explosion brachte. Das habe mal geklappt, mal nicht, sei Wind und Wetter ausgesetzt und insgesamt ein „sehr unzuverlässiges System“ gewesen. Deshalb sollte sich später das Steinschloss durchsetzen. Auch für die Weiterentwicklungen des Gewehrlaufes finden sich Beispiele. In den ursprünglich glatten Lauf wurden so genannte „Züge“ als spiralförmigen Rillen eingefräst, die der Kugel einen Drall gaben, der den Flug stabilisierte.

Glückssache, ob man anvisiertes Ziel traf
Zuvor war es oft Glückssache, ob man das anvisierte Ziel traf. Zuviel Luft zwischen Kugel und Lauf ermöglichte eine ungleiche Ausbreitung der Explosionsgase, die Zufall bei der Flugrichtung Tür und Tor öffnete. Auch die Austrittsgeschwindigkeit hängt davon ab, weshalb die Kugeln zur Abdichtung mal mit einer Art Pflaster umwickelt worden waren. Was derlei Details angeht, hat sich Museumsleiter Graubach zu einem wahren Kenner entwickelt.
Bilder der Geschosse gingen um die Welt
Eine regelrechte Sensation war 2013 die Entdeckung eines Sachverständigen für historische Militärmunition. Er war auf Munitionsteile gestoßen, gut verpackt in einer Kiste, über die zwar schon geschrieben worden war, für die es bis dato jedoch keine Belege gegeben hatte: viereckige und dreieckige Geschosse, mit denen vor und kurz nach dem 30-jährigen Krieg experimentiert worden sei, um stabile Flugbahnen zu erreichen. Allerdings schien sich die Technik nicht bewährt zu haben und die passenden Gewehrläufe von damals seien wohl bald wieder eingeschmolzen worden, mutmaßt Peter Graubach. „Doch Bilder dieser Geschosse gingen damals um die Welt.“
„Durch meinen Großvater habe ich eine sehr emotionale Verbindung zur Sammlung“

Wirkt sich das Thema des Vortrags bis in die heutige Zeit aus?
Durch die Wiedereröffnung der Sammlung im Jahr 2013 und die Berichterstattung in den Medien wurde Alois Rauch, Hauptkommissar aus Freiburg, auf uns aufmerksam. Er kannte die Sammlung aus Kindertagen und ist mittlerweile Sachverständiger für historische Militärmunition und bestens vernetzt mit Fachleuten und Wissenschaftlern zum Thema Waffentechnik. Durch die Besuche dieser Spezialisten wurden in der Sammlung Waffen und Geschosse entdeckt, von denen die Fachwelt nur durch Zeichnungen von ihrer Existenz wussten. Die Sammlung ist also sehr bedeutend für die Forschung und wird in der Zukunft sicher noch interessante Entdeckungen bringen.
Was verbindet Sie mit dem Thema Ihres Vortrags?
Da mir mein Großvater schon als Kind die Waffenkammer und die damals bekannten Besonderheiten zeigte, habe ich natürlich eine sehr emotionale Verbindung zur Sammlung. Welcher Bub durfte schon im Vorschulalter eine original Winchester in der Hand halten? So eine wie John Wayne in den Western. Das war schon was. Auch Hellebarden, Säbel und all diese Dinge waren für mich keine Fremdwörter. Im Laufe der Jahre wurde mir die Einzigartigkeit der Sammlung bewusst, auch wenn ich ihre Besonderheit mehr in der Vollständigkeit sah und nicht im Wert einzelner Stücke.
Was hat Sie bei dem Thema am meisten überrascht?
Dass – obwohl die Sammlung schon in der Vergangenheit von Fachleuten besucht wurde – lange Zeit keiner die Bedeutung einzelner Stücke erkannt hat und diese besonderen Entdeckungen erst seit der Wiedereröffnung gemacht wurden. Hier nur einige Beispiele – die Reihenfolge hat nichts mit der Wertigkeit der Entdeckung zu tun:
- Remington-Mauser Gewehr Nr. 16. Bis dorthin sind weltweit nur noch neun Belegstücke vorhanden.
- Viereckige und dreieckige Bleigeschosse von Versuchen vom Ende des 16. und 17. Jahrhunderts. Diese waren in der Fachwelt nur durch Skizzen bekannt.
- Die Badische „Wildsche“ Jägerbüchse in zwei Systemen in hervorragendem Zustand.
- Drei Gewehre Mauser M71/84 mit bisher unbekanntem Kaliber.