Stadtarchivar Walter Liehner benannte die Ambivalenz des Themas in seiner Einführung: „Kein Ereignis hat sich so kollektiv in das Gedächtnis der Stadt eingebrannt. Das Gelübde der Schwedenprozession erinnert jährlich an den Dreißigjährigen Krieg. Im Grunde feiert die Stadt sich selber.“ Weniger Beachtung findet das für Überlingen verheerende letzte Jahrzehnt des Krieges, in welchem der Stadt eine eher unrühmliche Rolle zuteil wird.
Bodenseeraum liegt als kriegswichtige Region auf der „spanischen Straße“
Eberhard Fritz beleuchtete in seinem Vortrag im fast voll besetzten katholischen Pfarrzentrum differenziert, wie sich die Regionalgeschichte der Stadt in die großen Linien des Krieges einfügt. Eine kriegswichtige Route führte von Mailand über den Bodenseeraum bis in die Niederlande. Die auf dieser „spanischen Straße“ transportierten kaiserlichen Truppen mussten von den Reichstädten unterstützt und verpflegt werden. Zu diesen Belastungen kam, dass die kriegswichtige Region bald ins Visier der Gegner des katholischen Kaisers geriet. Als dann König Gustav II. Adolf von Schweden aufseiten der Protestanten in den Krieg eintrat, wuchs die Kriegsgefahr für die Region. Ein Großteil des deutschen Südwestens wurde binnen kürzester Zeit von seinen Truppen erobert. Lediglich die stark befestigten Städte am Bodensee blieben vorerst ungeschoren.
Das änderte sich 1632, als unter dem Kommando des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar ein Heer versuchte, die Stadt im Handstreich zu erobern. Als dieses nicht gelang, zogen sie sich wieder zurück. Zwei Jahre später standen die Schweden allerdings wieder vor den Toren der Stadt. Der schwedische General Gustav Horn „bot Akkord an“, eine Form der Aufforderung zur Kapitulation. Als die Stadt dieses ablehnte, begann eine dreiwöchige Belagerung, die zu einer dramatischen Situation für die Stadt eskalierte. Nach harten Kämpfen und weitläufigen Zerstörungen, denen auch zwei Stadttürme zum Opfer fielen, mussten sich die Schweden allerdings erneut zurückziehen. Nach damaliger Weltsicht, so Eberhard Fritz, konnte man die glücklich überstandene Belagerung religiös nur als wundertätiges Zeichen der Gottesmutter Maria verstehen. Die bis heute gehaltenen jährlichen zwei Schwedenprozessionen erinnern an jeweils eine der Belagerungen.
Hohentwiel-Kommandant erbeutet in Überlingen 450 Stück Vieh
Den erworbenen Nimbus als Heldenstadt konnte Überlingen allerdings nicht lange genießen: Mit dem Hohentwiel blieb ein einziger Flecken in der Region protestantisch. Auch mehrere Belagerungen konnten diesen Brückenkopf nicht beseitigen. Dessen rühriger Kommandant Konrad Widerholt plünderte über Jahre weite Gebiete im Umfeld. Auch bis nach Überlingen stieß er vor und erbeutete 450 Stück Vieh. Die verängstigten Stadtbewohner ließen ihn mitsamt der Beute ziehen. Wagemutig geworden, plante Widerholt nun einen ungleich größeren Coup: Am 30. Januar 1643 überrannte er in einem Überraschungsangriff frühmorgens die Stadt, plünderte sie und hielt sie besetzt, um sie nach mehreren Wochen der mit ihm verbündeten französischen Armee Ludwigs XIII. zu übergeben.
Auf Besetzung durch kaiserlich-bayrische Truppen folgen die Schweden

Bereits ein Jahr später sah sich Überlingen der nächsten Belagerung ausgesetzt: Der kaiserlich-bayrische General Franz von Mercy hatte den Auftrag zur Rückeroberung der wichtigen Stadt am Bodensee erhalten. Als die französische Besatzung gegen freies Geleit die Stadt schließlich übergab, war von der reichstädtischen Herrlichkeit nicht mehr viel übrig. Die Stadt blieb bayrisch besetzt, bis dann in einer letzten Ironie des Schicksals durch Vertragsverhandlungen im Rahmen des „Waffenstillstands von Ulm“ die Stadt 1647 tatsächlich an die Schweden übergeben wurde. Erst nach dem Friedensschluss von Münster und Osnabrück zogen die Schweden im Sommer 1649 aus Überlingen ab.

Eberhard Fritz: „Auch wenn der Fürst flieht – der Beamte bleibt“
Wie wirkt Ihr Thema bis in die heutige Zeit?
Natürlich hat das Thema eine große Präsenz in der Stadt, nicht zuletzt durch die Schwedenprozessionen. Ich war dennoch überrascht über die große Resonanz bei meinem Vortrag. Es gibt zahlreiche Erinnerungsorte, die Kanonenkugel im Münster ist einer davon. Entscheidend ist aber, dass nach dem Krieg bis heute Frieden zwischen den Konfessionen herrscht.
Welchen Bezug haben Sie zum Thema?
Ich bin eher zufällig in die Forschung zu diesem Thema gerutscht, fast 20 Jahre beschäftige ich mich jetzt mit diesem Thema. Mich hat überrascht, wie viele unbearbeitete Quellen es noch gibt.
Was hat Sie bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?
Überraschend war, wie viel Normalität es in diesen Kriegszeiten dennoch gab. Die Grausamkeiten sind nicht zu leugnen, aber die Strukturen blieben funktionsfähig, sonst hätte man nicht 30 Jahre lang Krieg führen können. Postverbindungen und Verwaltungen blieben immer bestehen. Auch wenn der Fürst flieht – der Beamte bleibt.