So einen Vortrag kann man sich bei einem kunsthistorischen Thema nur wünschen. Lebendig, verständlich und mit spannenden Bezügen stellte die Schweizer Kunsthistorikerin Caroline Schärli in der Goldbacher Kapelle die Bedeutung dieses Kulturdenkmals am Seeufer dar. Denn mit seiner Entstehung in den 840er Jahren ist das Kirchlein deutlich älter als von der Fachwelt lange Zeit angenommen.

Restaurierte Fragmente aus drei späteren Epochen

Ja, die erste Ausmalung aus dieser karolingischen Phase mit einem geometrisch komplexen Mäanderband und einer von Walahfrid Strabo verfassten Inschrift des Stifters macht das Kulturdenkmal zu einem einzigartigen Kleinod in der Bodenseeregion. Mit den teilweise restaurierten Fragmenten aus drei späteren Epochen sei ein echtes Patchwork erkennbar, sagte Schärli: „So wie jetzt hat man das früher natürlich nie gesehen.“

Manche Kollegen kritisieren forsche Nachforschungen von Victor Mezger

Mit viel Fingerspitzengefühl behandelte Schärli auch kritische Aspekte. So gab es Kollegen, die mit der Überlinger Galionsfigur Victor Mezger schon strenger ins Gericht gegangen sind. Denn bei seinen Nachforschungen und Restaurationsbemühungen ist er aus heutiger Sicht alles andere als fachgerecht vorgegangen. „Sehr engagiert“ und „intuitiv“ bezeichnet Caroline Schärli das Bemühen, ohne den Namen zu nennen. Allerdings hatte das forsche Kratzen mit dem Messer, das gleich mehrere Schichten freilegte, auch etwas Gutes. „Heute wäre man viel vorsichtiger vorgegangen“, sagte Schärli: „Vermutlich wäre man dann aber gar nicht auf die unteren Schichten gestoßen.“

Seit rund 840 steht in Goldbach direkt am See die mehrfach erweiterte Kapelle und hielt dem Straßen- und Eisenbahnbau stand.
Seit rund 840 steht in Goldbach direkt am See die mehrfach erweiterte Kapelle und hielt dem Straßen- und Eisenbahnbau stand. | Bild: Hanspeter Walter

Kapelle blieb beim Straßenbau und Bahnbau verschont

Stadtarchivar Walter Liehner hatte nicht zu viel versprochen, als mit dem Vortrag Schärlis eines der Glanzlichter zum Tag des offenen Denkmals ankündigte. Umso mehr, als die Schweizer Kunsthistorikerin diesen gleich zweimal unmittelbar im Anschauungsobjekt selbst hielt. Vorweg nannte es Liehner „glückliche Umstände“, dass die Kapelle am Seeufer überhaupt noch stehe. Schon beim Straßenbau im 19. Jahrhundert habe das Kirchlein als hinderlich gegolten, doch auch beim späteren Bahnbau sei es verschont worden.

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Mehrere Einzigartigkeiten

Ein Glücksfall für die Stadt, denn die Goldbacher Kapelle sei ein Schlüsselobjekt mit mehrere Einzigartigkeiten, die in der Gestaltung Verbindungen nach Istanbul und Rom erkennen ließen, erklärte Schärli. Die erhaltenen Schriftfragmente diagnostizierte Walter Berschin erst 1997 als Elemente eines Gedichtes von Walahfried Strabo, dem namhaftesten Literaten des Klosters Reichenau, das über drei Wände verlief. Graf Alpger, der Kirchengründer, hatte dies in Auftrag gegeben. Die Typographie der Buchstaben seien der Antike entlehnt, erläuterte Schärli. Dies zeige, dass sich die Menschen „nicht erst in der Renaissance mit der Antike befasst haben“.

Bilderflut wie im Zeitalter des Smartphones

Dieser Bemalung aus karolingischer Zeit war jedoch kein langes Leben beschieden. Schon im folgenden Jahrhundert – so die Einordnung der Experten – wurden Mäanderband und Text einfach überpinselt mit biblischen Szenen und Heiligenmotiven, die nahezu die ganzen Wände einnahmen. Um diese Phase einordnen zu können, stellte Caroline Schärli dem Mittelalter die heutige „Bilderflut“ entgegen, die in den Metropolen und auf den Smartphones dominiere. „Bilder waren damals vor dem Buchdruck etwas ganz Besonderes und zunächst auf die Kirchen beschränkt“, sagt die Schweizer Kunsthistorikerin: „Für die Menschen war dies ein ganz anderer Kosmos.“

Aus den karolingischen Anfängen der Kapelle um 840 stammt das Mäanderband mit dem Widmungsgedicht, das der Reichenauers Walahfrid Strabo ...
Aus den karolingischen Anfängen der Kapelle um 840 stammt das Mäanderband mit dem Widmungsgedicht, das der Reichenauers Walahfrid Strabo als Inschrift für Kirchengründer Graf Alpger verfasst hatte. Schon gut hundert Jahre später wurde dies in ottonischer Zeit mit bildhaften Bibelszenen und Heiligendarstellungen übermalt. | Bild: Hanspeter Walter

Wann St. Silvester als Patron der Kirche ins Spiel kam, ist nicht bekannt

Für die Ursprünge der Kapelle war allerdings der rekonstruierte Text der ältesten Bemalung besonders erhellend. Denn aus dem Gedicht geht Graf Alpger aus dem Linzgau als Stifter hervor. Für sein Seelenheil hatte er die damals noch kleinere Kirche gestiftet und bei seiner Widmung für den heiligen Martianus eine ganz besondere Wahl getroffen, wie die Kunsthistorikerin erklärte. Denn Martin von Tours sei nicht nur Bischof gewesen, sondern habe zugleich als Märtyrer gegolten. Schärli: „Das ist quasi das Nonplusultra.“ Nicht bekannt sei, wann St. Silvester als heutiger Patron der Kirche ins Spiel kam.

Kunsthistorikerin Caroline Schärli
Kunsthistorikerin Caroline Schärli | Bild: Hanspeter Walter

Caroline Schärli: Sorgsamer Umgang mit historischer Bausubstanz ist wertvoll

Wie wirkt Ihr Thema bis in die heutige Zeit?

Durch die große Bedeutung der Goldbacher Kapelle als kulturhistorisches Denkmal, das die Zeiten überdauert hat und im Hier und Jetzt von uns erfahrbar ist. Der beinahe 1200-jährige Kirchenbau, der glücklicherweise nicht dem Eisenbahnbau zum Opfer gefallen ist, veranschaulicht beispielhaft, wie wichtig ein sorgsamer Umgang mit historischer Bausubstanz und deren Erhalt sind und wie wertvoll ein auf den ersten Blick möglicherweise unscheinbar anmutendes Objekt für die Überlieferung sein kann. Ich freue mich, dass ich dies gerade an den Europäischen Tagen des Denkmals in der Goldbacher Kapelle selbst zeigen durfte.

Welchen persönlichen Zugang oder Bezug haben Sie zum Thema?

Die frühmittelalterlichen Wandmalereien der Goldbacher Kapelle sind seit mehreren Jahren wichtiger Bestandteil meiner Forschungen als Kunsthistorikerin, deren Schwerpunkt spätantike und mittelalterliche Kunst und Sakralarchitektur bilden. Ich bin jedoch auch persönlich in besonderem Maße mit der kulturell reichhaltigen wie landschaftlich reizvollen Bodensee-Gegend verbunden, die ich im Laufe der Zeit immer mehr kennen und lieben gelernt habe. Die idyllische Lage der Goldbacher Kapelle sowie der Ausblick über den Überlinger See und auf das dünn besiedelte gegenüberliegende Ufer haben mich am Sonntag von Neuem in den Bann gezogen und in Gedanken ein Jahrtausend zurückreisen lassen.

Was hat Sie bei der Beschäftigung mit dem Thema am meisten überrascht?

Wie viel sich aus derart fragmentarisch überlieferten Wandmalereien herausholen lässt und welche kunsthistorischen Welten sich dabei eröffnen können! Durch die intensive Beschäftigung mit der Goldbacher Kapelle wurde mir besonders eindrücklich bewusst, wie bedeutend – und darüber hinaus spannend – es in der kunsthistorischen Arbeit ist, sich die jeweiligen historischen Kontexte zu erschließen. Nur dann können wir uns einer Deutung des Objektes annähern und versuchen zu verstehen, was ein Objekt damals auszeichnete und was es noch heute so besonders und wertvoll macht.