Er ist kein „einfacher Mensch“. Denn einfach ist langweilig. Und Guntram Brummer mag man in den vergangenen 27 Jahren, in denen er das Überlinger Kulturamt leitete, viel nachgesagt haben. Im Verdacht, langweilig zu sein, stand er nie.
Brummer verweigerte sich jedem Abschied
So ist sein gestriger Abgang Ausrufezeichen hinter ein Berufsleben, in dem sich Eigensinn und Genialität in wechselnder Mischung paarten. Licentiatus Guntram Brummer sagte Gemeinderäten, Abteilungsleitern und seinen Mitarbeitern per Rundbrief adieu. Er habe sich jedwede Verabschiedung verbeten, ist aus dem Rathaus zu hören. Auch Bürgermeister Ulrich Lutz‘ Bemühungen, ihn zu einem kleinen offiziellen Akt zu überreden, waren vergeblich. Die Konsequenz daraus ist Brummers Haltung der Zeitung gegenüber. „Ich habe mich dem Gemeinderat verweigert, ich habe gebeten, es möge keine Verabschiedung geben – bitte verstehen Sie, dass ich jetzt auch keine Interviews gebe“, sagte er gestern.
Brummer am blanken Hinterteil einer üppigen Nackten von Peter Lenk
So bleibt ein Rätsel, wie ihm sein direkter Dienstherr Lutz das Abschiedsgeschenk der Stadt überreichte, das eine wunderbare Charakterisierung Brummers ist. Das großformatig gerahmte Foto zeigt ihn bei einem Besuch des Bildhauers Peter Lenk in Bodman, wie er sich in dessen Skulpturen-Garten am blanken Hinterteil einer üppigen Schönen abstützt.
Er holte Bildhauer Lenk erstmals in die städtische Galerie
Genau das zeichnet Brummer aus: Über den intellektuellen Zugang hinaus kommt sein Verstehen der Kunst, der Literatur, der Musik aus dem Bauch heraus. Brummer, der sinnliche Genießer. Dabei beweist seine Begeisterung für den umstrittenen Lenk, den Brummer für den kommenden Sommer in die städtische Galerie holte, dass Überlingens Kulturamtsleiter eben nicht durch jene konservative Verknöcherung blockiert war, die ihm manche gerne nachsagten. Allerdings: Brummer, den nie mangelndes Selbstbewußtsein dämpfte, erlaubte sich eben immer, für sich zu entscheiden, was er für Qualität hält, und was seiner Förderung nicht würdig ist.

Eindeutige Kriegserklärungen mit Oberbürgermeister Klaus Patzel
Der heute 65-jährige Brummer verstand es hervorragend, sich sein Berufsleben nach eigener Vorstellung zu gestalten. Im Alter noch ein Stück konsequenter. Damit machte er sich seine letzten Jahre gewiss nicht einfacher. Im Gegenteil. Mit dem im Oktober 1993 zum neuen OB gewählten Klaus Patzel tauschte er bald eindeutige Kriegserklärungen aus. Die letzten eineinhalb Jahre unter einem für die Kultur zuständigen ersten Beigeordneten Ulrich Lutz schienen dann von eher freundlicher Auseinandersetzung geprägt. Man sah Brummer auf seine alten Tage nun doch wieder häufiger außerhalb des Kulturamtes und manchmal sogar bei offiziellen kulturellen Anlässen, die nicht direkt auf seine eigene Initiative zurück gingen.
Sprache und Rhetorik von beängstigender Perfektion
In den letzten Jahren wurden – auch unter Gemeinderäten – öfters Fragezeichen hinter Brummers Arbeit gesetzt. Dabei ging es indes keinesfalls um Qualität. Denn allen, die ihn nie erlebten, sei hier knapp gesagt: Guntram Brummer ist einer jener heute ganz seltenen Menschen mit Universalbildung. Ein Genius mit fotografischem Gedächtnis, dessen Sprache und Rhetorik von beängstigender Perfektion sind. Letzteres übrigens ist dafür verantwortlich, dass er nie ein Problem mit Kritik hatte. Er war jeder Nachfrage souverän gewachsen und retournierte eloquent mit gewaltigen verbalen Breitseiten, die ihn doppelt sympathisch als Sieger das Feld verlassen ließen, weil er neben der Schlagfertigkeit auch noch einen entwaffnenden Humor besitzt.
Viel zu viel Wissen blieb in seinem Kopf
Wer ihn einmal vortragend erlebte, vergisst es nimmermehr: Egal ob er sich vier Wochen in ein Thema eingelesen oder ob er das nötige Wissen längst hatte, seine Vorträge waren jeweils druckreife Meisterstücke. Wenn sie denn doch öfters mal gedruckt worden wären. Zwar hat Brummer mehr veröffentlicht, als jene behaupten, die mit ihm nicht konnten, gerade in Fachzeitschriften. Aber viel zu viel Wissen ist nur in seinem Kopf vorhanden. Vor allem über die Stadt, die Region, über deren Geschichte, Kunst und Kultur. Kenntnisse, angeeignet sicher auch in vielen Arbeitsstunden.
Wurde er wegen eines nicht geschriebenen Buches berühmt?
Schade, dass seine Arbeit – die vielen Ausstellungen, die Förderung der Musik, des Theaters, seine Vorträge, Aufsätze und Bücher – in der Erinnerung überschattet werden von Geschichten wie etwa jener leidigen mit der Hödinger Dorfchronik. Er sei der erste, der wegen eines nicht geschriebenen Buches berühmt werde, gab Brummer einmal von sich. Denn er versprach einst, sie bis zu seiner Pensionierung fertig zu haben. Typisch: Sogar hier ordnet Brummer die ihn entlastende Wahrheit dem Aphorismus unter. Denn fertig ist die Chronik schon gewesen, aber viel zu lang und zu holprig. Brummer hatte leichtfertig versprochen, die Arbeit eines anderen zu glätten und zu optimieren.
Die Eloquenz war Selbstdarstellung und Selbstverteidigung
Auch wenn es wie ein Widerspruch zum großartigen Rhetoriker klingt: Verkaufen konnte sich Brummer nicht. Seine Eloquenz war Selbstdarstellung und Selbstverteidigung eines Gelehrten im altmodischen Sinne des Wortes. Ein Gelehrter, dessen großartige Kenntnisse der Stadt fehlen werden. Vielleicht ringt er sich ja doch noch dazu durch, jene Teile seines unendlichen Wissenschatzes, den sein Gehirn als Tresor birgt, in den nächsten Jahren zu Papier zu bringen. Sonst ginge viel verloren.