Zum Tode von Guntram Brummer schreibt unter dem Titel „Die Weisheit als Geliebte“ Konrad Fuhrmann, der dem Verstorbenen bis zuletzt freundschaftlich verbunden war.
Die Weisheit als Geliebte
„Defunctus adhuc loquitur“, der Verstorbene spricht noch immer zu uns, diese Sentenz aus dem Hebräerbrief liebte Guntram Brummer zu zitieren, wenn in einer Anekdote, einem Zitat ein längst Verblichener gewissermaßen in unser Gespräch trat. Am 8. August ist der 1938 in Meersburg Geborene ebendort verstorben, aber seine Stimme wird mich bis ans Ende meiner Tage begleiten. Jene Stimme, in der sich alemannischer Mutterwitz mit gelehrter Wortwahl und komplexer Syntax zu einer ganz eigentümlichen Mischung verbanden.
Kurze Gespräche kannte er nicht
Guntram Brummer war, wie es im SÜDKURIER anlässlich seines Abschieds als Kulturreferent der Stadt Überlingen im Jahre 2003 hieß, ein Universalgelehrter alter Prägung, der in seinem Kopf eine schier unerschöpfliche geistes- und kulturwissenschaftliche Bibliothek mit sich herumtrug. Die Früchte der dort gehorteten Wissensfülle aus vielen Jahrhunderten teilte er gerne an alle aus, die sich die Zeit dafür nahmen. Denn kurze Gespräche zu führen war Brummer wider die Natur – wer ihn anrief, ihn zwischen Bücherbergen im Überlinger „Kulturämtle“ aufsuchte oder sich zu einem Hagnauer Spätburgunder im Meersburger Bären mit ihm traf, musste sich auf stundenlange, mit zahllosen Anekdoten gewürzte Disputationen gefasst machen.

Er prägte die Kultur in Überlingen maßgeblich
Ich hatte das Glück, Brummer 1976 im Hause meiner Eltern kennenzulernen, als er zum Überlinger Kulturreferenten berufen wurde. Von da an sollte er mehr als ein Vierteljahrhundert lang die Kultur in Überlingen maßgeblich prägen: unter seiner Ägide blühten Musik, Theater, Ausstellungen und nicht zuletzt der weit über die Stadt hinaus berühmte Bodensee-Literaturpreis, dessen Jury über lange Jahre auch mein Vater, Manfred Fuhrmann, angehörte. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten Publikationen Brummers zur Lokalgeschichte und über Überlinger Institutionen und Sehenswürdigkeiten, wie das Überlinger Stadtmuseum, die Leopold-Sophien-Bibliothek und den Überlinger Rathaussaal, sowie seine Beiträge zu einem Bildband über Überlingen und einem Sammelband zum Bodenseekreis.
Konflikten ging er niemals aus dem Weg
Dass sich Brummer damals nicht nur Freunde machte, war nicht nur der Natur des Amtes geschuldet, sondern lag auch am knorrigen Charakter des Amtsträgers, der Konflikten niemals aus dem Wege ging. „Meine Aufgabe ist es nicht nur zu fördern,“ hatte er mir einmal gesagt, „sondern auch zu verhindern“ – nämlich alles, was er der Förderung für unwürdig hielt. Während Brummer und Oberbürgermeister Reinhard Ebersbach, der ihn berufen hatte, einen, wenn auch spannungsreichen, aber außerordentlich fruchtbaren modus cooperandi fanden und über alle Meinungsverschiedenheiten hinweg zu bewahren wussten, kam es unter Ebersbachs Nachfolger Klaus Patzel, der sein Amt 1993 antrat, zu heftigen Zusammenstößen. Als Brummers Überlinger Zeit endete, verbat er sich jegliche offizielle Verabschiedung durch die Stadt.
Tragisches Geschick im Alter
Ein Augenleiden vergällte Brummer zunehmend die Jahre des Ruhestands – er fand sich wie weiland der hungrige Tantalus inmitten unzugänglicher Speisen in den Schätzen der Bibliothek seiner Wohnung in der Meersburger Altstadt wieder, ohne sich an ihnen laben zu können. Für einen, der sich, wie man an in Anlehnung an die Sprüche Salomos sagen möchte, die Weisheit zur Gespielin genommen hatte, ein besonders tragisches Geschick. So blieben das Gespräch und das Engagement in der altehrwürdigen, auf das 15. Jahrhundert zurückgehenden „Ehrbaren Gesellschaft der 101 Bürger von Meersburg“, zu deren 500-jährigem Jubiläum Brummer 2010 den Festvortrag hielt, seine letzten Refugien. Zum Tode eines Altertumsgelehrten hieß es in einem Nachruf, mit seinem Ableben sei die Bibliothek von Alexandria zum zweiten Male abgebrannt. Ähnliches lässt sich auch zum Tode Guntram Brummers sagen.
Guntram Brummer wird am Mittwoch, 25. August 2021, 14 Uhr, auf dem Friedhof seiner Heimatstadt Meersburg beigesetzt.