„Die Hilflosigkeit den Patienten gegenüber.“ Das ist das, was Susanne Brunner immer in Erinnerung bleiben wird, wenn sie an die Corona-Pandemie denkt. Sie arbeitet als Stationsleiterin am Helios-Spital in Überlingen, auf einer Isolierstation. Dort, wo die Menschen starben.
Der Tod gehört zu ihrem Beruf dazu, in den schlimmsten Zeiten der Pandemie starben aber so viele Menschen, manchmal zwei pro Tag, unter ihren Händen weg, dass die psychische Belastung sehr viel höher gewesen sei als in anderen Zeiten. „Ich habe sehr viele Patienten einsam sterben sehen“, sagt Susanne Brunner. „Sie sind erstickt und du konntest nichts machen, nur hilflos daneben stehen. Das ging manchmal so schnell. Innerhalb von fünf Minuten – und sie haben keine Luft mehr bekommen.“
Zeit für eine Pandemie-Bilanz
Offiziell wurde die Corona-Pandemie von der Bundesregierung für beendet erklärt und sämtliche Maßnahmen wurden aufgehoben. Für Susanne Brunner und das Helios-Spital ist das ein guter Zeitpunkt, einen Blick zurück zu werfen. Im Gespräch mit dem SÜDKURIER erinnern neben Pflegerin Susanne Brunner auch Claudia Munk, Hygienefachkraft, sowie Jan Lowak, Leitender Oberarzt, an drei fordernde Jahre.
„Wir meinten zuerst, China ist weit weg.“ Doch schneller als gedacht kam das Virus über die Skifahrer aus Ischgl ans Helios-Spital nach Überlingen, berichtet Claudia Munk, Spezialistin für Hygienefragen. „Die ersten 280 Abstriche habe ich gemacht, weil es sonst keiner machen wollte.“ Das Reinigungspersonal habe sich anfänglich geweigert, die Isolationszimmer zu betreten, weil sie Angst gehabt hätten. Doch Munk schulte sie und begleitete sie in die Zimmer, bis auch das irgendwann Routine wurde.
Die erste Patientin
Die erste Patientin kam im März 2020 an das Helios-Spital. „Wir wussten nicht, wie schlimm das ist“, erinnert sich Claudia Munk. Sie hätten die Patientin in das hinterste Zimmer mit Toilette und Bad gelegt. „Sie hat ein Telefon bekommen. Sie war unglaublich kooperativ. Es ging ihr nicht wirklich toll, aber sie musste nicht auf Intensiv. Sie blieb im Zimmer, hat nicht panisch geklingelt und das Essen über die Durchreiche bekommen – in strikter Isolation. Das muss man aushalten können, das Alleinsein. Und ja, sie hatte auch Angst. Es hatte am Anfang ja jeder Angst, weil wir nichts wussten. Wir hörten nur aus den Medien, dass in Italien die Leute wie die Fliegen sterben.“
Jan Lowak erinnert sich an einen Patienten noch sehr genau: „Alle haben gesagt, dass der eh kaum eine Chance hat. Der wird gehen, wir sollten ihn palliativ behandeln. Wir haben uns die Finger wund telefoniert, bis es uns auf privater Ebene gelungen ist, ihn nach München an einen Maximalversorger zu überweisen.“ Die Münchener hätten ihnen über den Verlauf berichtet. „Wie wir mitbekommen haben, ist er wieder zu Hause.“
„Es gibt viele, die gut rausgegangen sind, das ist das, was einem dann wider froh stimmt“, sagt Lowak. Deutschland sei eine Insel der Seligen. Fälle, die ihnen aus Frankreich berichtet wurden, hätten ihnen Angst gemacht. Deutschland dürfe sich glücklich schätzen, dass die Kliniken alles abgepuffert hätten, „wir mussten keine Feldkrankenhäuser aufbauen“.
Immer wieder Zweifel am ärztlichen Rat
Wütend machen den Arzt Fälle wie diese: ein Mittfünfziger, dem der Arzt eine Antikörper-Therapie vorgeschlagen hatte. Es ging um eine neue Therapieform mit JAK-Inhibitoren, die dafür nicht zugelassen war. „In klinischen Studien haben wir aber gesehen, dass ein Drittel weniger stirbt.“ Die Angehörigen hätten den Patienten dahingehend „beraten“, dass das alles „Teufelszeug“ sei, „alles experimentell“, das wolle er nicht. Obwohl es ihm immer schlechter ging, habe er die Vorschläge des Arztes abgelehnt.
Und dann eine junge Frau, etwa Mitte 40, die auf der Intensivstation beatmet werden hätte können. Ihre Familie habe behauptet, „dass wir ihr die Lunge verbrennen würden und alles kaputtmachen würden.“ Sie habe deshalb abgelehnt. „Beide Patienten sind nach langem Kampf verstorben“, berichtet Lowak. „Da zweifelt man an dem, was da draußen in Querdenkerkreisen los ist. Die können sich auf die Fahne schreiben, dass sie die Leute umgebracht haben.“
Corona-Leugner bis zum Tod
Claudia Munk berichtet von einem Patienten, der schlicht nicht an Corona glaubte. „Er dachte, dass er irgendwas habe, aber nicht das. Er ist jämmerlich erstickt.“ Abgesehen von den regelmäßigen Montagsdemonstrationen auf der Hofstatt in Überlingen fand sie es „besonders crazy, als bei uns vor dem Helios-Spital demonstriert wurde“.
Susanne Brunner, die seit über 37 Jahren in der Pflege arbeitet, resümiert: „Ich mache meinen Job immer noch gerne. Mir liegen die Patienten sehr am Herzen.“ Manchmal würde Jan Lowak sich gerne auf eine Berghütte zurückziehen, oder eine einsame Insel. Eine Supervision, sagt Claudia Munk, finde nicht statt. „Man muss lernen, die Türe zuzumachen. Das gehört zu unserem Beruf dazu.“
„Ich mache meinen Job immer noch gerne.“Susanne Brunner