Als Walter Brummel die Mail schrieb, konnte er nicht wissen, dass er wenige Tage später im künstlichen Koma liegen wird. „Ich wollte nur wachrütteln, sagen: hallo, hier läuft was schief“, erzählt der 58-Jährige. An diesem 11. Dezember 2020 erfuhr er nach einem PCR-Test, dass er Corona hat. Sechs Tage vorher war er nach einem Hörsturz in die Klinik Tettnang gekommen – mit negativem Schnelltest-Ergebnis.
Was er bis dazwischen erlebt und beobachtet hatte, wollte der Geschäftsleiter des des Marktkaufs in Friedrichshafen, selbst Chef von 120 Mitarbeitern, den Verantwortlichen mitteilen. In dem Schreiben beklagt er Hygienemängel und ein schlechtes Corona-Management. „Was sich hier im Krankenhaus abspielt, sollten und müssen Sie wissen, da man so nicht mit Mitarbeitern und Patienten umgeht“, steht in der Mail. Die schickte Walter Brummel an die Klinikleitung, an den Betriebsrat und auch an Oberbürgermeister Andreas Brand in seiner Funktion als Chef des Aufsichtsrats der Klinikum Friedrichshafen GmbH, zu dem das Tettnanger Krankenhaus gehört. Die Mail liegt unserer Zeitung vor.
Corona-Vorschriften missachtet?
Für Walter Brummel ist klar, dass er sich in der Klinik mit dem tückischen Virus angesteckt hat, weil Corona-Vorschriften missachtet wurden. Deshalb sei es auch zum Corona-Ausbruch im Krankenhaus gekommen. Dass er die Erkrankung überlebte, verdankt er der Ecmo-Behandlung, als seine Lunge zu versagen drohte. Dreieinhalb Wochen kämpfte der Friedrichshafener auf der Intensivstation der Uniklinik Tübingen um sein Leben.

Ein Jahr dauerte es, bis Brummel nach zahlreichen Kuren und Therapien wieder arbeitsfähig war. Gesundheitliche Schäden bleiben. Was er erdulden musste, dafür will Walter Brummel eine Entschädigung. Und ein Stück Absicherung für das, was ihn vielleicht noch erwartet. „Wer kommt für Spätfolgen auf?“, fragt der Marktleiter, der noch knapp zehn Jahre bis zur regulären Rente hat.
Brummel will Schadenersatz
Walter Brummel hat das Klinikum Friedrichshafen auf Schadenersatz verklagt. Auch, weil er die Verantwortlichen sensibilisieren will, genauer hinzuschauen. Mindestens 50.000 Euro fordert er. Am Donnerstag fand vor dem Landgericht Ravensburg die Güteverhandlung statt.

Was für den Kläger auf der Hand liegt, sei jedoch „außerordentlich schwer nachzuweisen“, erklärte Richter Matthias Schneider. Ein negativer Schnelltest bedeute nicht zwingend, dass er sich im Krankenhaus angesteckt habe. Ein Schnelltest schlage bekanntlich erst bei einer gewissen Viruslast an. Eine spannende Frage sei auch, ab wann man mögliche Hygienemängel mitten in einer Pandemie überhaupt als grob fehlerhaft qualifizieren würde. Oder ob eine Corona-Infektion im Krankenhaus Ende 2020 als beherrschbares Risiko galt. „Da betreten wir sicher Neuland“, sagt der Richter. Letztlich müssten solche Fragen Sachverständige beurteilen.
Arzt: Keine Verstöße gegen Hygiene-Vorschriften
Auf der anderen Seite des Gerichtssaals suchte Bertrand Muller, Hygienearzt des Klinikums, die Vorwürfe zu entkräften. Selbstverständlich habe es ein Schutzkonzept gegeben. Die Hygiene-Vorschriften im Haus seien regelmäßig an die aktuelle Entwicklung angepasst worden. Und: „Zu keinem Zeitpunkt gab es Verstöße dagegen“, sagte der Mediziner. Was die Klinik bislang dazu vortrug, sei allerdings „viel zu allgemein“, befand der Richter. „Da werden Sie im Detail vortragen müssen.“ Notwendig seien etwa genaue Angaben zu Testungen, Quarantänestation oder Schutzkleidung.

Dass die Klinik Tettnang im Dezember 2020 quasi selbst zum Corona-Hotspot wurde, kam in der Verhandlung nur am Rande zur Sprache. 84 Mitarbeitende und knapp 30 Patienten waren in der Hochphase infiziert. Nach Angaben des Hygiene-Arztes habe sich am 4. Dezember die erste Mitarbeiterin abgemeldet, weil sie positiv war. Am 10. Dezember ordnete der MCB für das Krankenhaus Tettnang bereits den Lockdown und einen Aufnahmestopp an. Da hatten schon zwölf Mitarbeiter und 24 Patienten eine Corona-Infektion. Erst Tags darauf wurde Brummel über sein positives PCR-Testergebnis informiert, weshalb er die Klinik nicht mehr verlassen durfte.
Keine Isolationsschleuse
Bis dahin lag Brummel in einem Einzelzimmer – ohne Kontakt zu anderen Patienten. Besucher waren schon länger verboten. Er wurde auf die neu eingerichtete Corona-Station verlegt und kam mit einem weiteren Patienten in ein Zimmer. Warum Infizierte zu zweit untergebracht wurden, verstehe er bis heute nicht, sagt Walter Brummel. Und: „Baulich ist leider keine Isolationsschleuse in den Zimmern vorhanden“, beklagte er in seiner Mail. Dann mache es auch keinen Sinn, wenn Schwestern die Schutzkleidung mitten im Zimmer ausziehen und in einen Eimer werfen.
Walter Brummel kritisiert, dass die Klinik Tettnang auf einen Ausbruch nicht vorbereitet war. Im Prinzip bestätigte das Bertrand Muller. Laut Corona-Konzept des MCB sollten infizierte Patienten nach Friedrichshafen verlegt werden, wo die Klinik schon früh eine Isolierstation eingerichtet hatte. Tettnang hingegen sollte „Corona-frei“ bleiben. Eine Corona-Station habe es deshalb bis zum 5. Dezember nicht gegeben, erklärte der Hygienearzt.
Nach Tübingen verlegt
Dass reihenweise infizierte Ärzte und Pfleger ausfielen, macht Walter Brummel mit dafür verantwortlich, dass seine Lunge viel zu lange nicht gründlich untersucht wurde, obwohl es ihm schon tagelang schlecht ging. Erst am 23. Dezember habe die Klinik auf Drängen seines Hausarztes endlich ein CT gemacht – woraufhin er umgehend mit dem Rettungshubschrauber in die Uniklinik Tübingen gebracht wurde. Und dann dreieinhalb Wochen ums Überleben kämpfte.
Gütliche Einigung noch fraglich
Ob es zu einer gütlichen Einigung des Rechtsstreits zwischen Walter Brummel und dem Klinikum kommt, ist noch nicht sicher. Gesprächsbereitschaft deuteten beide Parteien an. Im Raum steht nun eine Summe von 25.000 Euro. Mit einer Entscheidung ist erst im neuen Jahr zu rechnen.