Überlingen – Seit gut zehn Tagen glänzt und blitzt ein Huhn aus goldschimmerndem Messing hoch oben über Sankt Jodok in der Aufkircher Straße. Es ersetzt als neue Wetterfahne die alte Fahne aus dem Jahr 1945, auf der noch die Fahne der Wehrmacht abgebildet gewesen sein soll. Kunstschmied Peter Klink aus dem Pfullendorfer Ortsteil Denkingen bekam den Auftrag, die alte Wetterfahne zu restaurieren. „Sie stand bedrohlich, wie ein eisernes Kreuz auf dem Dach der Kirche“, erinnert sich Klink. Immer wenn sich der Hahn gedreht hat, weil es windig war, quietschte die gut 80 Jahre alte Wetterfahne auf der Kirche so laut, dass Anwohner in der Aufkircher Straße um ihren Schlaf gebracht wurden, schildert der Kunstschmied.
Als Klink den Auftrag erhielt, hier eine neue Wetterfahne zu errichten, habe er mit Pfarrer Bernd Walter gesprochen und die Idee eingebracht, an das sogenannte Galgen- und Hühnerwunder von Santo Domingo de la Calzada zu erinnern, eine eng mit dem Jakobsweg verbundene Legende. Sankt Jodok, im sogenannten Aufkircher Dorf, ist eine Pilgerkirche und liegt direkt am Via Beuronensis, dem Teil des Jakobswegs zwischen Neckar und Bodensee auf dem Weg von Pfullendorf nach Wallhausen. Und somit besteht eine Verbindung zum Jakobsweg. In der Kirche zu sehen sind die Fresken, die auf dieses Hühnerwunder deuten.
Und das ging so: Zur Hochzeit der Wallfahrt nach Santiago de Compostela soll eine Pilgerfamilie aus Xanten nach Santo Domingo de la Calzada gekommen sein. Sie übernachteten in einem Wirtshaus. Die Wirtstochter fand den Sohn der Familie sehr attraktiv, der – fromm und keusch – ihr Angebot aber zurückwies. Die Zuneigung der Wirtstochter wandelte sich in bösen Zorn, sie sann auf Rache und versteckte einen wertvollen Silberbecher in seinem Gepäck.
Der Wirt bemerkte am nächsten Tag den Verlust und schickte die Stadtbüttel aus, die auch schnell fanden, was sie suchten. Der junge Mann wurde nach kurzem Prozess aufgehängt und die Eltern zogen traurigen Herzens weiter nach Santiago de Compostela.
Auf dem Rückweg kamen sie wieder an der Richtstatt vorbei, wo sie ihr Sohn ansprach, dass er gar nicht tot sei. Die Eltern liefen daraufhin zum Richter, der vor einem Teller gebratener Hühner saß, und berichteten das Vorgefallene. Der Richter antwortete, dass ihr Sohn so tot sei wie die beiden Hühner vor ihm. Kaum gesagt, wuchsen den Hühnern Federn, sie sprangen vom Spiess und flatterten vom Tisch. Alle eilten sie zum Galgen.
Man band den Jüngling los, während die Schuldige rasch gefunden war. Statt des Sohns wurde die Wirtstochter gehängt, die Familie zog weiter nach Hause. Diese Legende existiert in vielen Versionen auch jenseits des Jakobsweges und vor allem in vielen Malereien. So auch der Bilderzyklus in Sankt Jodok, der von einer dieser volkstümlichen Erweiterungen handelt.
Aus dem Hahn wird eine Henne
So wurde dem ursprünglichen Galgenwunder ein weiteres, das sogenannte Hühnerwunder angefügt. Die Malweise des Zyklus erinnert stark an die im 15. Jahrhundert entstandene Holzschnittkunst. Die starke Nähe zu der damals modernen Holzschnitt-Auffassung deutet als Gestalter des Wandzyklus in den Umkreis der Bitzer Familie hin. Anton Bitzer betrieb nachweislich in Überlingen eine Schreibstube und war somit auch als Buchillustrator mit der modernen bildlichen Darstellungsweise vertraut.
In der Bodenseeregion finden sich zwei Darstellungen des Galgen- und des Hühnerwunders: im Rosengartenmuseum in Konstanz und das Fresko in der Jodok-Kirche. „Ich kenne vier bis fünf Darstellungen des Hühnerwunders entlang des Jakobswegs“, erklärt Peter Klinik. Deshalb habe er mit der Henne auf Sankt Jodok ebenfalls an das Hühnerwunder erinnern wollen und eine Verbindung zu den Fresken im Innern des Gotteshauses schaffen wollen.
Das Huhn hat gut 60 Zentimeter Spannweite, „wie ein richtig gutes Masthuhn“, schmunzelt Klink. Dazu eine aufgespießte Jakobsmuschel, die an den Status der Kirche als Pilgerkirche erinnert und eine Kugel, als Gegenwicht. Die Kugel ist mit Blei gefühlt. „Sie musste austangiert werden, damit die Wetterfahne funktioniert“, so Klink.