Es heißt wie die griechische Götterbotin und ist aktuell eines der gefragtesten Produkte von Diehl Defence. Das Flugabwehrraketensystem Iris T kann Lenkflugkörper vom Boden aus abfeuern und unter anderem Drohnen, Kurzstreckenraketen oder Kampfjets abwehren. Die Ukraine nutzt es im Krieg gegen Russland. Lettland, Estland und Slowenien haben es kürzlich gekauft für die europäische Luftverteidigung. Schweden oder Ägypten besaßen es bereits länger vor dem russischen Angriff. Interesse gibt es auch aus Nahost: Die Bundesregierung liefert an Saudi-Arabien Lenkflugkörper dieses Typs.

Die Nachfrage nach diesen und anderen Erzeugnissen schlägt sich in der Bilanz nieder. So vermeldete die Diehl-Gruppe für den Teilkonzern Defence für das Jahr 2022 einen Umsatz von rund 810 Millionen Euro, wieder eine kräftige Steigerung zum Vorjahr. Und so könnte es laut Geschäftsbericht weitergehen. „Der Teilkonzern Defence stellt sich angesichts der veränderten Sicherheitslage auf eine weiter steigende Nachfrage ein“, heißt es. Aufgrund dieser „steigenden Nachfrage“ hat Diehl Defence ein Grundstück von der Stadt ohne vorherige Ausschreibung gekauft und den insolventen Automobilzulieferer Allweier samt Räumlichkeiten und Mitarbeiter übernommen.

Bürger müssten auf Einiges verzichten

Die Stadt Überlingen profitiert von Diehl Defence vor allem in puncto Gewerbesteuern, den wichtigsten Steuern für einen kommunalen Haushalt. Das Geld von der Alten Nußdorfer Straße ist für die Verwaltung offenbar äußerst wichtig. So sagte Oberbürgermeister Jan Zeitler im November 2019 im Rahmen einer Debatte um eine rüstungskritische Aufführung am Konstanzer Theater gegenüber dem SÜDKURIER: Die Bürger der Stadt müssten auf zahlreiche freiwillige Leistungen der Stadtverwaltung verzichten, könnte man nicht auf die Steuereinnahmen von Diehl Defence und Diehl Aerospace zurückgreifen.

Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler.
Überlingens Oberbürgermeister Jan Zeitler. | Bild: Hilser, Stefan

Ähnliches deutete Stadtrat Raimund Wilhelmi, FDP-Fraktionssprecher und Mitglied im Finanzausschuss, an. Er unterstrich im Rahmen der Haushaltsverabschiedung Ende 2023 die wichtige Rolle der Einnahmen. Man könne sich glücklich schätzen, dass man leistungsstarke Unternehmen wie Diehl Defence am Ort habe. Gleichwohl, so die Warnung Wilhelmis, „dürfen wir uns nicht von der Gewerbesteuer weniger Unternehmen abhängig machen“. Nicht davon abhängig machen dürfe – was heißt das in Zahlen?

FDP-Stadtrat Raimund Wilhelmi.
FDP-Stadtrat Raimund Wilhelmi. | Bild: Hilser, Stefan

Stadt verweist auf Steuergeheimnis

Die Stadt Überlingen nahm 2022 rund 16,8 Millionen Euro und im Jahr 2023 rund 18,3 Millionen Euro Gewerbesteuern ein, so das vorläufige Ergebnis der Verwaltung. In diesen Jahren gab es 642 (2022) sowie 662 (2023) Gewerbesteuer zahlende Betriebe in der Stadt. Die Überlinger Stadtverwaltung gibt zur Höhe der Gewerbesteuerzahlungen von Diehl Defence aber keine Auskunft. Keine Auskunft gibt es auch nicht auf die Frage, ob es einen möglichen Zusammenhang zwischen steigenden Steuereinnahmen und steigenden Umsätzen der Firma gebe. Stadtsprecherin Andrea Winkler bestätigt zumindest, dass für Diehl Defence der gleiche Hebesatz wie für alle anderen Unternehmen gelte. Ansonsten verweist sie auf das Steuergeheimnis.

Selbst wer das Gewerbesteueraufkommen selbst errechnen will, stößt auf Granit. Dafür braucht es den Gewinn eines Unternehmens vor Steuern. Doch dieser ist bei Diehl Defence auch nicht öffentlich. Die Gesellschafterversammlung des Teilkonzerns hat in den vergangenen Jahren regelmäßig dafür gestimmt, sich von der Offenlegungspflicht befreien zu lassen. Die Zahlen fließen in den Geschäftsberichten des Mutterkonzerns ein, sind daraus jedoch nicht ersichtlich.

Diehl Defence betont „enge Beziehung“ zur Stadtverwaltung

Keine Überraschung ist, dass sich die Pressestelle von Diehl Defence auf SÜDKURIER-Anfrage nicht zum Gewerbesteueraufkommen äußert. Pressesprecher David Voskuhl sagt aber: „Richtig ist sicherlich, dass Diehl Defence als großes Industrieunternehmen einen wesentlichen Anteil am Gewerbesteueraufkommen in Überlingen beiträgt.“ Daneben bekenne sich der Teilkonzern zum Standort und zur Stadt Überlingen. Die Planung eines neuen Verwaltungsgebäudes unterstreiche diese Verbindung, so Voskuhl. Darüber hinaus pflege das Unternehmen eine „enge und gute Beziehung zur Stadtverwaltung und der Kommune“.

Der Eingang des Gebäudes in der Alten Nußdorfer Straße. Durch diese Sicherheitsschleusen geht es unter anderem zu den Räumlichkeiten von ...
Der Eingang des Gebäudes in der Alten Nußdorfer Straße. Durch diese Sicherheitsschleusen geht es unter anderem zu den Räumlichkeiten von Diehl Defence. | Bild: Cian Hartung

Aber warum diese Verschwiegenheit? Und welche Nachteile oder Risiken hätte es für Diehl Defence, die Zahlen zu nennen? Dazu verweist die Pressestelle auf konzerninterne Regelungen. Man bittet um Verständnis, dass man diese Thematik nicht öffentlich diskutieren möchte.

„Das gehört zur Transparenz in einer Gemeinde“

Die mangelnde Auskunft wundert Christoph Trautvetter nicht. Er ist Referent beim Verein Netzwerk Steuergerechtigkeit aus Berlin. Dieser kämpft in Deutschland und Europa für mehr Transparenz in Finanzsystemen. Trautvetter kritisiert, dass sich Gewerbesteuerzahlungen von Diehl Defence nicht aus den Geschäftsberichten der Diehl-Gruppe herauslesen ließen. Bürger sollten aber wissen dürfen, welche Unternehmen wie viel Gewerbesteuer in einer Kommune zahlen, so seine Meinung. „Das gehört zur Transparenz innerhalb einer Gemeinde, ebenso wie Transparenz von politischen Prozessen.“ Letztlich beträfen diese Gelder auch die Lebensrealität der Menschen, sagt er. Oft hätten Unternehmen Bedenken, dass Wettbewerber über die Gewerbesteuerzahlen Auskunft über eigene Geschäftszweige erhielten. Die Diehl-Gruppe sei nur ein Beispiel für viele deutsche Großunternehmen, sagt er.

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Ähnlich kritisch sieht er auch, wie Gemeinden in so einem Fall das Steuergeheimnis hüten. Oft werde sich aus Gewohnheit darauf berufen. „Die Information ist häufig nicht so sensibel, dass sie derartig geschützt werden müsste“, sagt er.