Beide kandidierten für den Gemeinderat, haben also ein Gespür für Kommunalpolitik. Was Micaëla van Bracht (CDU) und Michael Röther (FDP) als Ergebnis aus kommunalpolitischer Verkehrsplanung wahrnehmen, erzeugt allerdings großes Unverständnis bei ihnen. Sie sind Anwohner der Uhlandstraße, im Westen von Überlingen. Sie verstehen sich ausdrücklich nicht als Einzelkämpfer in eigener Sache, sondern als Sprecher für ihre Nachbarschaft.

Ihr Wohngebiet nennt sich umgangssprachlich „Kurviertel“, weil es hier mehrere Kurbetriebe gibt. Einen davon betreibt Röther. Mit der versprochenen Ruhe in ihrem Viertel ist es laut ihnen vorbei, seit man mit dem Auto, von Westen kommend, nicht mehr durch die Altstadt fahren kann.

Eigentlich eine klare Ansage für die Autofahrer, die aus dem Parkhaus Therme kommen: Egal, wohin sie wollen (außer ins Krankenhaus), ...
Eigentlich eine klare Ansage für die Autofahrer, die aus dem Parkhaus Therme kommen: Egal, wohin sie wollen (außer ins Krankenhaus), führt der Weg über die Bahnhofstraße und eben nicht durch das so genannte Kurviertel (mit Goldbacher Straße und Uhlandstraße). | Bild: Hilser, Stefan

Nach einem vom Gemeinderat beschlossenen Verkehrskonzept wurde die Kessenringstraße mit einem Pflasterbelag optisch aufgewertet und für den Individualverkehr gesperrt. Über einen Poller wird die Durchfahrt geregelt. Ziel ist es, dass die Autofahrer entweder einen großen Bogen um die Stadt fahren oder in der Peripherie parken und den Rest in die Innenstadt zu Fuß gehen.

Bild 2: Kritik aus dem Kurgebiet reißt nicht ab
Bild: Kerstan

Das Ziel wurde aus Sicht von Oberbürgermeister Jan Zeitler erreicht: „Die Innenstadt wurde merklich beruhigt und zu einem angenehmen Ort für Fußgänger und Radfahrer umgestaltet. Auch optisch wurde die Straße immens aufgewertet.“

Röther: Verkehrskonzept gescheitert

Die Kehrseite sieht für die beiden Anwohner weniger rosig aus. „Das Verkehrskonzept ist gänzlich gescheitert“, urteilte Röther. „So kann es nicht bleiben“, betont van Bracht. Erstens sei die Lärmsituation vor allem in der Hauptsaison und an Brückentagen durch den Ausweichverkehr bei ihnen vor der Haustüre unerträglich. Zudem habe sich die Lage für Fußgänger – darunter Familien auf dem Weg ins Westbad – im Bereich der Bahn-Rampe „gefährlich zugespitzt“.

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Problem an der ganzen Sache ist, dass viele Autofahrer, die am Poller umdrehen oder eines der Parkhäuser im Westen verlassen, eben nicht im großen Bogen um die Stadt fahren (via Brünnensbach), sondern mitten durch das Kurgebiet. Micaëla van Bracht: „Man hat uns versprochen, wenn die Baustelle in der Kessenringstraße fertig ist, dann würde es sich entschärfen. Das ist diesen Sommer definitiv gescheitert.“

Das Thema ist nicht neu. Röther lag mit Zeitler schon vor einem Jahr in Clinch, weil sich der Klinikbetreiber nicht gehört fühlte. Nach einem SÜDKURIER-Bericht im Herbst 2023 kamen Gespräche mit der Rathausspitze zustande. Doch das Ergebnis gefällt ihnen nicht. Weitergehende Vorschläge würden „abgebügelt“.

Was hat die Stadt bislang gemacht?

Als bisherige Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung wurde die Beschilderung an der „Rampe“ angepasst, die Parkflächen in der Straße „Auf dem Stein“ wieder aktiviert, sowie die Bushaltestellen barrierefrei umgebaut. „Auch hierdurch ist eine Verkehrsentlastung eingetreten“, antwortete die Pressestelle des Rathauses, die zudem betont, dass in unregelmäßigen Abständen sowohl in der Uhlandstraße als auch Auf dem Stein mobile Tempokontrollen stattfänden.

Das fordern die Anwohner jetzt

Die Kritiker erkennen an, dass die Kessenringstraße „schön geworden“ ist. Röther: „Unbestritten ein Gewinn – aber bitte nicht auf Kosten von anderen.“ Sie fordern Maßnahmen, die zu einer deutlichen Reduzierung des Verkehrs führen. Ihr wichtigster Vorschlag ist es, die Straße „Auf dem Stein“ im unteren Abschnitt in eine Einbahnstraße umzuwandeln – mit freier Fahrt von oben nach unten. Sie denken an ein Verbot für Motorräder und an eine Tonnagebeschränkung für Lkw. Zudem wünschen sie sich eine effektivere Beschilderung in Brünnensbach.

Abfahrt von der alten B31 bei Brünnensbach: Wer aus Richtung Sipplingen auf Überlingen zufährt, erfährt anhand der Schilder nicht, wie ...
Abfahrt von der alten B31 bei Brünnensbach: Wer aus Richtung Sipplingen auf Überlingen zufährt, erfährt anhand der Schilder nicht, wie er am besten ins Zentrum gelangt. Er erfährt auch nicht, dass es bei geschlossenem Poller an der Kapuzinerkirche gar keine Durchfahrt mehr gibt. | Bild: Hilser, Stefan

Stadt hält Vorschläge für unrechtmäßig

Mittlerweile haben die Anwohner einen Konstanzer Verwaltungsrechtler beauftragt und der Verwaltung dessen Erkenntnisse als „Gutachten“ übergeben. Das Papier wird derzeit durch die Verwaltung sowie einen externen Verkehrsplaner „umfassend geprüft und bewertet“, antwortete die Stadtverwaltung. Die Anwohner, so die Bewertung im Rathaus, hätten „weitere Vorschläge gemacht, welche allerdings in keiner Form rechtmäßig waren. Dass diese dann seitens einer öffentlichen Verwaltung – welche an Recht und Gesetz gebunden ist – ‚abgebügelt‘ worden sein sollen, ist für uns nicht nachvollziehbar.“

Weiter betont die Pressestelle der Stadt: „Die Verkehrszahlen belegen, dass der Verkehr an dieser Stelle (im Vergleich zum Vorjahr) merklich zurückgegangen ist. Fuhren beispielsweise Anfang August 2023 noch 2567 KFZ innerhalb von 24 Stunden in der Straße Auf dem Stein, so waren es im August 2024 nur noch 2244 KFZ innerhalb von 24 Stunden. Dies werten wir bereits als Erfolg. Die Tendenz zeigt, dass künftig mit einer weiteren Entlastung zu rechnen ist.“

Oberbürgermeister Jan Zeitler sagte am Mittwoch im Gemeinderat, dass die Stadt aktuelle Verkehrszahlen erhebt und eine Verkehrsschau vornahm. Zudem sei mit den Anwohnern für die nächsten Tage ein Gespräch anberaumt. „Wir sind aktiv, die Anwohner sind sehr aktiv. Festgestellte Mängel und Lösungsideen sollen aufgenommen werden.“

Wie bewertet OB Zeitler das Verkehrskonzept?

Wie betrachtet Zeitler das Verkehrskonzept generell? Wir baten via Pressestelle um einen O-Ton. Seine Antwort: „Die Innenstadt wurde merklich beruhigt und zu einem angenehmen Ort für Fußgänger und Radfahrer umgestaltet. Auch optisch wurde die Straße immens aufgewertet. Dass hierdurch eine Verlagerung des Verkehrs erfolgt, wurde stets ehrlich und realistisch kommuniziert, die gemessenen Zahlen ergeben allerdings keinen derartig eklatanten Anstieg, wie es die Anwohner im ‚Kurviertel‘ formulieren. Offenkundig nutzen mittlerweile weniger Autofahrer die Abfahrt Goldbach, sondern fahren direkt auf der B31 weiter in Richtung Aufkirch.“

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Poller laut Zeitler nicht Schuld an neuen Staus

An wenigen Tagen im Sommer sei es früher schon zu vollen Parkhäusern und Rückstaus in der Stadt gekommen. Dies sei durch die Schaffung des neuen Kreisels an der Kapuzinerkirche „weder gefördert worden, noch ist es eine Entwicklung, die der Installation des Pollers geschuldet ist.“ Es sei zunehmend festzustellen, dass Autofahrer nicht der Beschilderung folgen, sondern trotzdem auf die Absperrung am Kapuziner zufahren. „Das führt dann in seltenen Fällen zu zeitweiligen, kurzen Situationen der Verkehrsüberlastung an Wochenenden, wie in anderen stark frequentierten Destination auch.“