Zwischen ihm und seinen Nachbarn hat es geknallt. Deshalb steht ein 67-Jähriger vor dem Amtsgericht Überlingen. Vorgeworfen werden ihm Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung. Wer den Beteiligten im Gerichtssaal zuhört, merkt: Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Hausgemeinschaft vor Gericht trifft. Auch Amtsrichter Alexander von Kennel spricht von immer wieder vorkommenden Nachbarschaftsstreitigkeiten. Der Richter sagt: „Das Verhältnis zur Nachbarschaft ist schwierig und vergiftet.“ Von Kennel kennt beide Parteien.

„Das Verhältnis zur Nachbarschaft ist schwierig und vergiftet.“
Alexander von Kennel, Richter

Spielort der Streitereien ist eine Reihe an Mehrfamilienhäusern in einer Stadt im westlichen Bodenseekreis. Laut Anklageschrift hat der Mann an einem Tag im Mai 2021 mit einer „Stange nach seinem Nachbar geschlagen, der auf dem anderen Balkon stand“. Der Angeklagte hatte eine Zigarettenkippe in die Wiese geschnippt. Sein Nachbar beschwerte sich deswegen bei ihm, worauf es zu der Auseinandersetzung kam. In deren Zuge fielen derbe Schimpfworte; sowohl gegen den Nachbarn als auch gegen dessen Frau. Das Ehepaar wird überraschend in einer Nebenklage vertreten. Der Richter lässt diese kurzfristig zu.

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Der Angeklagte erklärt, 1971 nach Deutschland gekommen zu sein. Mit seiner Frau hat er zwei Kinder. Der 67-Jährige arbeitete nach eigenen Angaben 30 Jahre lang in der Nachtschicht. Seit etwa zehn Jahren ist er erwerbsunfähig. Der Staatsanwaltschaft zufolge kann eine Erkrankung nicht ausgeschlossen werden. Der Mann war psychologisch begutachtet worden. Der Angeklagte berichtet, dass er fast den ganzen Tag schläft. „Ich nehme so viele Tabletten“, erläutert er vor Gericht und zählt verschiedene Erkrankungen auf.

Angeklagter stellt sich als Opfer dar

Gegen den Strafbefehl im August dieses Jahres erhob der Mann Einspruch. Durch ein vollständiges Geständnis wollte man ihm die Hauptverhandlung ersparen, sagt Richter Alexander von Kennel. Er erkundigt sich im Gerichtssaal, was daraus geworden ist. Der 67-Jährige antwortet: „Ich bin unschuldig. Ich bin das Opfer. Jeder schmeißt die Kippen weg.“ Er habe die Schimpfworte hinter sich gehört und dann aus Ärger den Stock in die Hand genommen. Den Nachbar habe er aber nicht getroffen. Zwischen den Männern sei ein großer Abstand gewesen. Während die Staatsanwaltschaft von einer Stange spricht, zeigt der Angeklagte seinen kleinen Finger. So dick sei der Holzstock gewesen.

Das Amtsgerichtsgebäude in Überlingen. Hier wird gegen den 67-Jährigen verhandelt. Das Foto entstand im September dieses Jahres.
Das Amtsgerichtsgebäude in Überlingen. Hier wird gegen den 67-Jährigen verhandelt. Das Foto entstand im September dieses Jahres. | Bild: Jonas Ganslmeier

„Das Ziel dieser Leute ist, an meine Wohnung zu kommen. Die haben fünf Wohnungen und es reicht immer noch nicht“, sagt der Angeklagte. „Man hat mich schon zuvor vor dieser Familie gewarnt.“ Er behauptet zudem, die Frau klingele nachts an der Wohnungstür, damit er nicht durchschlafen könne. Beweisen könne er das nicht. Nur die Beleidigungen gibt er zu, nicht die Körperverletzung und Bedrohung. Der Nebenkläger hält dagegen. Es habe schon mehrere Strafverfahren gegeben, erläutert der Anwalt. Zuletzt habe man einen Vergleich geschlossen, man gehe sich aus dem Weg. „Eine Woche später hat es schon wieder geknatscht. Meine haben versucht, sich daran zu halten“, sagt er über seine Mandanten.

„Das Ziel dieser Leute ist, an meine Wohnung zu kommen. Die haben fünf Wohnungen und es reicht immer noch nicht.“
Angeklagter

Richter von Kennel scheut sich nicht, seine Meinung zu den Verfahren zu äußern: „Juristen haben Besseres zu tun. Das ist doch unwürdig irgendwo.“ Anstatt vor Gericht zu verhandeln, hält er eine Mediation oder eine Streitschlichtung für notwendig. Dafür seien die Juristen aber nicht geschult. Von Kennel bittet darum, zu überlegen, den Einspruch gegen den Strafbefehl wieder zurückzunehmen. Dem stimmt der Angeklagte nach Absprache mit seinem Verteidiger zu. Zeugen werden keine gehört. Dem Angeklagten fallen zusätzlich zu einer Geldstrafe, deren Höhe nicht genannt wird, die Kosten der Nebenkläger zu.

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Der Amtsrichter appelliert an die Streithähne, nicht auf „jedes kleines Fehlverhalten zu reagieren“ und jahrelang Justiz und Psychiater zu beschäftigen. Dennoch befürchtet von Kennel ein Wiedersehen vor Gericht. Dem entgegnet der 67-jährige Angeklagte, dass er vorhat, in seine Heimat zurückzukehren.