Dass wir uns hier zum obligatorischen Jahresendinterview treffen, hängt an 111 Stimmen. 111 Stimmen, die bei der OB-Wahl den Unterschied zwischen Ihnen und Ihrem Herausforderer Martin Hahn ausgemacht haben. Wie denken Sie heute, zweieinhalb Wochen nach der Wahl, über diesen denkwürdigen Tag nach?
111 Stimmen sind sicher ein knappes Ergebnis, aber wenn man die Geschichte Überlingens bemüht und an Reinhard Ebersbach denkt, der mit 37 Stimmen Vorsprung gegen seinen Vorgänger Anton Wilhelm Schelle gewonnen hat, dann ist das nicht ganz ungewöhnlich für unsere Stadt. Aber natürlich bin ich sehr dankbar, dass es dieses Ergebnis so gibt.
Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie anstrengend war das Superwahljahr 2024 für Sie?
Als Stadtverwaltung waren wir schon bei den Kommunal- und Europawahlen gefordert, und dann eine OB-wahl als Krönung. Und so möchte ich schon eine acht auf der Skala benennen. Wobei mir der Wahlkampf viel Freude gemacht hat und ich noch Kraft gehabt hätte.
Für?
Für die eine oder andere Veranstaltung.

Hatten Sie auch mal Urlaub, oder ging der Urlaub komplett für den Wahlkampf drauf?
Mein Urlaub bestand im Sommer aus fünf Tagen Bregenzer Wald. Ansonsten ist anzumerken, dass ich neben dem Wahlkampf meine Verwaltungstätigkeit als OB weitergeführt habe. Ein zusammenhängender längerer Urlaub steht in absehbarer Zeit dann hoffentlich auch mal wieder an.
Direkt nach der OB-Wahl haben Sie angekündigt, mehr auf die Bürger und Bürgerinnen zugehen zu wollen. Gibt es schon Ideen, wie Sie mehr Nähe herstellen?
Die Formate sind in Ausarbeitung, gemeinsam mit der Pressestelle. Es geht auch darum, das, was im Wahlkampf aufgenommen wurde, fortzuführen. Sprich, zum Beispiel die Präsenz an einigen Markttagen in der Stadt oder in den Ortschaften. Momentan bin ich dabei, mir Freiräume zu schaffen, indem ich plane, nicht jede Gremiensitzung selbst zu besuchen, sondern diese auch abzugeben.
Nach Ihrer ersten Wahl haben Sie angekündigt, regelmäßig eine Bürger-Lounge anzubieten, wobei es bei ein, zwei Veranstaltungen in den letzten acht Jahren geblieben ist. Wäre so eine Bürger-Lounge jetzt eine Form der angekündigten Bürgernähe?
Wie das Format heißt, will ich noch offen lassen. Die Präsenz mit einem Stand an einem belebten Markttag halte ich für eine sehr niederschwellige Möglichkeit, mit der Bürgerschaft ins Gespräch zu kommen. Ohne Termine, spontan, in entspannter Atmosphäre, Fragen an mich stellen, sowie kurze und klare Antworten zu bekommen. Aus vielen Gesprächen im Wahlkampf auf dem Wochenmarkt habe ich als Kernaussage der Bürgerschaft mitgenommen: ‚Ach so, nach dieser Erklärung ist mir vieles klarer.‘
Jetzt im September fand das erste sogenannte „Wirtschaftsgespräch“ statt – manche hielten es für Wahlkampf, Sie haben angekündigt, dass es das jetzt öfter geben soll. Die Kontakte zur Wirtschaft, auch das war Thema von Martin Hahn, sollten „mehr auf Augenhöhe“ stattfinden. Gibt es da aus Ihrer Sicht Nachhol- und Verbesserungsbedarf?
Die Kontakte mit der Wirtschaft haben immer „auf Augenhöhe“ stattgefunden, in dieser Woche war ich auf Firmenbesuch, gemeinsam mit unserem Wirtschaftsförderer, Herrn Schneider. Dass dieses Thema vom einen oder anderen aus Wahlkampfperspektive vielleicht anders aufgegriffen wurde, ist nachvollziehbar. Die Wirtschaftsbesuche oder ein Innenstadtforum, das speziell auf den Einzelhandel ausgerichtet war, gab es und wird es auch künftig regelmäßig geben.
Martin Hahn hat fast genauso viel Zuspruch erhalten wie Sie. Was lernen Sie daraus?
Dass demokratische Wahlen immer für Überraschungen gut sind. Für mich war die Erfahrung dahingehend neu, dass ich einen Wahlkampf geführt habe gegen einen Wettbewerber, der ein Netzwerk hinter sich versammelt hat, das ich in dieser Form vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Es gibt nicht nur einzelne Kandidaten, sondern auch verschiedene Gruppen im Umfeld, die sich lose zur Unterstützung finden. Das macht es für mich nicht durchsichtiger. Ich lerne daraus, OB-Wahlen werden sich künftig sehr verändern.
Meine Frage war eher dahingehend gemeint, was Sie inhaltlich aus dem Wahlergebnis gelernt haben?
Natürlich nimmt man die Themen, die angesprochen wurden, auf. Wobei oft der Satz fiel: Das wird ja schon alles gemacht. Ich nehme wahr, dass es einzelne Gruppierungen gibt, die mit ihren Fragen Hoffnung in den anderen Kandidaten gesetzt haben. Natürlich verfolge ich diese Fragestellungen weiter und versuche, einen Ausgleich herzustellen. Das ist die Schwierigkeit nach so einer Wahl, auch diejenigen mitzunehmen, die in eine ganz andere Richtung argumentierten. Beispiel Rauenstein Ost, wo wir im neuen Jahr gefordert sein werden, einen bestmöglichen Kompromiss hinzubekommen.
Man spricht darüber, dass am Tag nach der Wiederwahl Ihre beiden Mitarbeiterinnen im Vorzimmer des Oberbürgermeisters gekündigt hätten. Ist das richtig?
Dieses Gerücht ist völlig falsch. Eine Kollegin entwickelt sich bei uns im Hause weiter. Wir haben ein Personalentwicklungskonzept, und diese wertvolle Chance soll sie auch annehmen können. Die andere Kollegin wechselt auf eine ähnliche Stelle, die näher an ihrem Wohnort liegt, womit sie die Pendelzeit stark verringern kann. Dieser Schritt stand für beide Kolleginnen lange vor dem Wahlergebnis fest, hängt also nicht mit der Person des Oberbürgermeisters zusammen.
Sie sind darum gebeten worden, im Gemeinderat Stellung zu nehmen zu der für viele Betroffene in diffamierender Weise manipulierten Anzeige, die in der Woche vor der Stichwahl verbreitet wurde. Sagen Sie dazu noch etwas öffentlich?
Nein. Das ist auch nicht Aufgabe des Gemeinderats, sich über Ausdrucksformen in einem Wahlkampf auszutauschen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Frage. Auch ich wurde in anonymen Briefen diffamiert. Das gehört leider bei einem Wahlkampf in einer Demokratie dazu, so sehr ich das verurteile. Letzten Endes muss die gesellschaftliche Diskussion, wie man in einem Wahlkampf miteinander umgeht, auf anderer Ebene geführt werden.