Verkatert waren nach der Wahl am Montag beide Lager. Das eine, weil es ausgiebig ihren Wahlsieger Zeitler feierte. Das andere, weil es mit einem Gefühl von Enttäuschung über Hahns Wahlniederlage aufwachte. Nüchtern betrachtet, geht Martin Hahn mit erhobenem Haupt als zweiter Sieger aus der Wahl. Und für Jan Zeitler ist das Ergebnis sowohl Bestätigung als auch Ansporn, aus den fast 50 Prozent Gegenstimmen kluge Schlüsse zu ziehen.
Überlingen erlebte Wochen voller Emotionen. Diese Art Oberbürgermeisterwahlkampf hat es so noch nicht gegeben. Politisch aktive Bürger, Unternehmer oder Kulturschaffende positionierten sich für ihren jeweiligen Favoriten. Damit bewiesen sie Mut. Sie erfüllten den Wahlkampf mit Leben und machten ihn interessanter.
Logische Lagerbildung
Logisch, dass sich bei dieser Art des Wahlkampfs, erstmals mit einer Stichwahl endend, Lager bilden. Aber zunächst einmal ist festzuhalten, dass es sich um einen urdemokratischen Prozess handelt, wenn man für seine politischen Ziele und Überzeugungen einsteht. Es gab auf der Zielgeraden hässliche Seiten des Wahlkampfs, Diffamierungen von Kandidaten und ihren Anhängern – hüben wie drüben. Einzelne Personen, die für ihre politischen Überzeugungen nun via Facebook und Instagram angefeindet werden, müssen sich das nicht gefallen lassen. Es ist durchaus denkbar, dass hierzu noch ein juristisches Nachspiel folgt, weil der Straftatbestand der Beleidigung erfüllt sein könnte.
Die Schützengräben werden – nach allen Überlinger Erfahrungen – aber schon bald zugeschüttet. Die Kandidaten Hahn und Zeitler leisteten höchstselbst Vorsorge, indem sie bis zum Schluss einen fairen Wahlkampf führten. Zeitler reichte seinen Nicht-Wählern noch am Wahlabend die Hand, und Hahn gab sich als fairer Verlierer, wünschte dem Sieger „das Beste für Überlingen“. Darüber hinaus ist zu sagen, dass die Lagerbildung ja vor allem ein Ausdruck unterschiedlicher Meinungen ist – also völlig normal im Politbetrieb.
Quasi-Opposition im Rat
Im Gemeinderat werden die Lager nun deutlicher sichtbar, als sie es ohne die OB-Wahl gewesen wären: SPD, Freie Wähler und Teile der CDU schlugen sich auf Zeitlers Seite. LBU/Grüne sowie FDP auf Hahns Seite. Soll das etwa ein Fehler sein? Nein, wenn man sich das nahezu ausgeglichene Wahlergebnis ansieht, sowieso nicht. Die Stadt ist zwiegespalten, was die Bewertung der letzten acht Jahre und die Erwartungen an die nächsten acht Jahre betrifft. Auch das ist, bei zwei vom Typus her so unterschiedlichen Kandidaten, völlig okay. Und so könnte das Hahn-Lager im Gemeinderat nun darüber nachdenken, wie es die auf Hahn projizierten Wünsche in ihrer Ratsarbeit zum Ausdruck bringt. Die Debatte um die Bebauung Rauenstein/Landschaftspark Sankt Leonhard wäre ein geeignetes Übungsszenario. Die FDP forderte während des OB-Wahlkampfs einen Bürgerentscheid – spannend zu beobachten, ob sie dabei bleibt. Und das gilt für andere Themen genauso, bei denen die neue Quasi-Opposition Hahn‘sche Politik vertreten kann.
Politik für eine Wiederwahl im Jahr 2032
Zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang überholte Jan Zeitler seinen Herausforderer. Vielleicht ist es ihm besser gelungen, über sein eigenes Lager hinauszublicken und auf die zuzugehen, die ihm skeptisch gegenüberstanden. Vielleicht hat er dabei auch Wähler erreicht, die im ersten Wahlgang bei den ausgeschiedenen Kandidaten ihr Kreuz setzten. Der Wahlkampf sei für ihn eine „wertvolle Zeit“ gewesen, sagte Zeitler. Er habe dazugelernt. Folgerichtig kündigte er noch am Wahlabend Kurskorrekturen an.
Für Überheblichkeit, die Zeitler am Wahlabend in keiner Weise demonstrierte, ist angesichts des knappen Wahlausgangs kein Platz. Und da zu erwarten ist, dass Zeitler eine Politik betreiben möchte, die ihn im Jahr 2032 erneut wählbar macht, kann davon ausgegangen werden, dass auch er das Hahn-Lager bedienen will. So anstrengend der Wahlkampf für alle Beteiligten auch gewesen ist, er war gut für Überlingens Zukunft. Gegenseitiger Respekt der beiden Lager vorausgesetzt.