Jan Zeitler verspricht „Zuverlässigkeit“, sein Herausforderer Martin Hahn „Augenhöhe“ und Dennis Michels „frischen Wind“. Die Wahlsprüche der Kandidaten im Überlinger OB-Wahlkampf, die auf den Plakaten stehen, sind das eine. Aber was ist den Wählern wirklich wichtig? Nach welchen Kriterien treffen sie ihre Wahl? Wir haben Persönlichkeiten aus der Stadt dazu befragt.
Wilfried Gruber, 1942 in Überlingen geboren, Politologe und Diplomat, war deutscher Botschafter in Jugoslawien (1996–1999), Ungarn (2000–2003) und Rumänien (2003–2006). Er sagt: „Aus meiner Sicht ist es vor allem wichtig, dass der Oberbürgermeister seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anleitet, dem Wohl der Bürger der Stadt zu dienen.“ Dafür müsse er eigenes Beispiel geben und die Beschäftigten in der Verwaltung „inspirieren“. Gruber: „Gemeinsinn muss ihm Kompass sein.“ Wichtig seien daneben auch richtige Prioritätensetzung bei Schlüsselthemen wie bezahlbares Wohnen, gute Kitas und Schulen, innerstädtische Verkehrsberuhigung und funktionierende Verkehrsanbindungen nach außen, Umwelt- und Klimaschutz.“
Renate Lohr, Vorsitzende im Trachtenbund: „Für mich ist die OB-Wahl eine Persönlichkeitswahl, unabhängig von einer Partei. Ich erwarte, dass er das Wohl der Stadt und ihrer Bürger im Auge hat und mit gesundem Menschenverstand die Geschicke vor Ort leitet.“ Ihre Entscheidung leitet die Trachtenmutter „nicht nur von den Äußerungen des Bewerbers ab, sondern auch von seinem generellen Auftreten in den Medien und in der Öffentlichkeit. Ist er mir sympathisch? Oder ist er unnahbar und eventuell hochnäsig?“
Für das Brauchtum und für die Vereine, so die Erwartungen Lohrs, „sollte er stets ein offenes Ohr haben und wohlwollend deren Belange unterstützen, soweit es in seiner Macht steht“. Lohr formulierte wörtlich: „Das Ehrenamt sollte von ihm nicht unterschätzt, sondern geschätzt werden, denn ohne die Ehrenamtlichen würde vieles im Städtle und darüber hinaus überhaupt nicht zustande kommen.“ Und dann, in der Wahlkabine? Lohr: „Letztendlich entscheidet mein Bauchgefühl, wen ich auf dem OB-Stuhl sitzen sehen will. Ich bin damit, in Verbindung mit meiner Menschenkenntnis, selten schlecht gefahren.“
Franco DeSanctis vom gleichnamigen Feinkost-Handel wünscht sich von einem OB „wahrhaftiges Interesse am Einzelhandel, dass er authentisch Verbindung sucht und seine Nahbarkeit beweist“. Unter einem guten Chef im Rathaus stelle er sich jemanden vor, „der zu einem konstruktiven Miteinander beiträgt“. Dabei verweist De Sanctis auf seinen eigenen Betrieb, den er gemeinsam mit seinem Bruder Roberto führt. „Führung bedeutet, sich zurückzunehmen und andere fördern, damit sie wachsen können. So wie es Christian Streich, der ehemalige Trainer des SC Freiburg vorlebte, der sich nicht als Star sieht, sondern das Wir in der Fußballmannschaft förderte.“
An seine eigene Jugendzeit erinnernd, mit vielen Möglichkeiten, sich in der Stadt zu treffen, sagt er: „Jugendliche brauchen reale Räume, wo sie sich treffen können, keine virtuellen Räume.“ So wünscht sich der 50-Jährige einen OB, „der mit den Jugendlichen über realistische Ziele in einen kreativen Austausch geht, damit sie sich wahrgenommen fühlen und Selbstwirksamkeit erfahren“. De Sanctis: „Ein OB braucht, um die Bürger hinter sich zu scharen, im Zweifel eher soziale Kompetenz als fachliche Kompetenz.“ Das soziale Miteinander in der Stadt ist ihm wichtig, und hier ermuntert der Händler zu kreativen Ideen und einer „mit dem Herzen gesteuerten Politik“. Die steigenden Steuereinnahmen von Diehl Defence, so sein Vorschlag, könne man gezielt dafür einsetzen, den inneren Frieden in der Stadt zu stärken.
Für Dekanin Regine Klusmann ist Integrität wichtig, „dass ein Oberbürgermeister glaubwürdig für das steht, was er sagt, und dass er sein Mäntelchen nicht in den Wind hängt“. Die Parteizugehörigkeit sei nicht wichtig, „sehr wohl aber, dass er bestimmte ethische Werte vertritt und in seiner Vorbildfunktion vorlebt“. Ein OB solle das Miteinander in der Stadt stärken, „dass niemand ausgegrenzt wird“. Wichtig sei ein konstruktives Miteinander im Gemeinderat. „Ein OB beeinflusst das Klima im Rat, indem er andere Meinungen einbezieht, indem er zu überzeugen und zu argumentieren weiß. Dabei handelt es sich um eine besondere kommunikative Fähigkeit. Sie ist eine Kunst, für die man besondere persönliche Voraussetzungen mitbringen muss.“
Die Theologin plädiert: „Für offene Debatten, in denen man wirklich aufeinander hört, in der sich eine Meinung bildet – anders als bei vorab in Hinterzimmern vorbereiteten Entscheidungen.“ Das Ideal von einem Stadtoberhaupt: „Krisenfest in schwierigen Situationen, einen kühlen Kopf behalten, wenn Katastrophen ausbrechen. Es braucht Erfahrung, wie eine Verwaltung funktioniert, das Wissen um die Gesetze, und die Souveränität, sich auch mal über etwas hinwegzusetzen, weil es Unsinn ist. Den gesunden Menschenverstand in der Verwaltung fördern, damit die Beschäftigten in den Ämtern mit Augenmaß, aber mutig, Spielräume nutzen.“
Roland Ruf, Turnvereins-Vorsitzender, also Chef in Überlingens größtem Verein, stellt sich bei der Wahl solche Fragen: „Wie hat sich der OB-Kandidat ehrenamtlich in seiner Laufbahn engagiert und das Ehrenamt gelebt? Hat der Kandidat direkte Berührungspunkte mit Vereinen und Organisationen? Wie stellt er sich die Zusammenarbeit mit Vereinen vor und wie unterstützt er sie?“ Ein Anliegen ist Ruf die Integration von geflüchteten Kindern und Jugendlichen in die Vereinsarbeit. „Wie kann sie besser gelingen?“, fragt er. Außerdem blickt der Realschullehrer auf die ab 2026 verbindliche Ganztagsbetreuung an Grundschulen und fragt nach den Ideen der OB-Kandidaten. „Welche Rolle sollen die Vereine bei der Umsetzung spielen?“
Professor Dr. Andreas Kruse wünscht sich von einem Oberbürgermeister „hohe Kompetenz mit Blick auf die Steuerung und Integration von Verwaltungsprozessen sowie große Überzeugungsfähigkeit mit Blick auf die Schaffung einer sozialen Identität der Verwaltung“. Wichtiges Kriterium ist für ihn die Frage, ob der Kandidat „fachliche und persönliche Souveränität bei der Vorbereitung und Leitung von Sitzungen des Gemeinderates“ mitbringt. Kruse und Zeitler sprechen in einem Podcast, der auf Zeitlers Wahlkampf-Internetseite veröffentlicht wird, über Mensch und Amt. (Anm. d. Red.: Kruse war Mitglied der SPD, ist während der Kanzlerschaft Gerhard Schröders aber ausgetreten. Die Information in einer ersten Fassung dieses Berichts, wonach Kruse und Zeitler Parteifreunde seien, war falsch und sei hiermit korrigiert).
Andreas Kruse ist einer der bedeutendsten Altersforscher in Deutschland. Er formuliert: „Ein OB braucht die Fähigkeit zur überzeugenden Vermittlung von Entscheidungen und deren Grundlagen an die Bürgerschaft, wobei bei den Entscheidungen immer das Gemeinwohl mitbedacht werden muss. Hohe Kompetenz mit Blick auf soziale Wohnraumversorgung, ökologische Stadterneuerung, wirtschaftliche Strukturplanung und Bürgerbeteiligung. Offenheit für die Bedarfe aller Generationen sowie für Möglichkeiten der intergenerationellen Solidarität und Fairness in zentralen Bereichen des kommunalen Zusammenlebens.“