Für den Personalmangel in Kliniken und Pflegeheimen gibt es im Deutschen extra ein Wort: Pflegenotstand. Der Internationale Verband der Pflege­kräfte (ICN) kritisiert reiche Länder dafür, dass sie ihren Mangel an Pflegepersonal durch den „Import“ billiger Fachkräfte kaschierten. Das sei niemals akzeptabel gewesen, wird Verbandschef Howard Catton im Ärzteblatt kritisiert. Nun würden die Pflegekräfte wegen der Corona-Pandemie in ihren Herkunftsländern noch dringender gebraucht als bisher. Der Pflegenotstand könnte in den reichen Ländern noch prekärer werden als er schon ist.

Tatjana Korfhage und Sebastian Tulzer auf der Station Süd 0 im Helios Spital Überlingen. Mit ihnen führte der SÜDKURIER ein Telefonat zu ...
Tatjana Korfhage und Sebastian Tulzer auf der Station Süd 0 im Helios Spital Überlingen. Mit ihnen führte der SÜDKURIER ein Telefonat zu der Frage, wie sie ihre Arbeitsbelastung empfinden. Die Pressesprecherin des Unternehmens nahm an der Telefonkonferenz ebenfalls teil. | Bild: Helios Spital Überlingen

Nur ein Covid-Patient auf der Intensivstation

Pflegenotstand? Überlastung wegen Corona? Wenn man den Worten der Verantwortlichen in der Helios-Klinik in Überlingen folgt, trifft beides nicht zu. Den innerhalb des Klinikverbunds veröffentlichten Zahlen ist zu entnehmen, dass (Stand 17. Dezember) an der Helios-Klinik in Überlingen nur zwei Covid-Patienten auf Normalstation liegen, und eine an Covid-19 erkrankte Person auf der Intensivstation.

Helios klagt nicht über Personalmangel

Die Helios-Klinik in Überlingen beklagt sich nicht über einen Personalmangel. Im Gegenteil. Laut Pflegedirektorin Daniela Klesel gibt es keine dauerhaft unbesetzten Stellen. Schwierig sei nur die Besetzung im Bereich der Intensivpflege, hier gebe es zu wenig ausgebildete Fachkräfte. Insgesamt beschäftigt das Helios-Spital Überlingen rund 120 Pflegekräfte in folgenden Pflegeberufen: Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, Intensivfachpflege, Altenpflege sowie Pflegehilfe.

Claudia Prahtel
Claudia Prahtel | Bild: Hanspeter Walter

Während allgemein das zu geringe Lohngefüge beklagt und als Grund für den Pflegenotstand angegeben wird, betont Claudia Prahtel, Kliniksprecherin, dass der hauseigene Tarif (TV-Helios) sich am Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) anlehne. „Nach unserer Einschätzung wirkt sich eine tarifgebundene Bezahlung positiv auf die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern aus.“ Die Beschäftigten in der Pflege erhielten zudem diverse Vergünstigungen, wie eine betriebliche Altersversorgung. Und seit diesem Jahr eine Pflegezulage von bis zu 300 Euro.

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Kritik von der Gewerkschaft

Laut Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mussten sich die Mitarbeiter ihre Zulage im Konzerntarifvertrag mit Aktionen und Warnstreiks erarbeiten. Zunächst habe sich Helios nämlich „strikt geweigert“, die Zulage für ihre bundesweit 18 000 vom Tarifvertrag berührten Mitarbeiter zu zahlen, so Sylvia Bühler aus dem Verdi-Bundesvorstand in einem Pressebericht von März 2019. Das zeige, „dass Helios die Anerkennung der Belastung und die Aufwertung der Pflege nur halbherzig angeht“. Diese Aussage stammt betontermaßen schon von März 2019, Corona war damals noch in weiter Ferne. Mittlerweile kommt wohl keine Klinik umhin, um ihre Pflegekräfte zu buhlen.

Pflegedirektorin Daniela Klesel, die selbst 30 Jahre in der Pflege gearbeitet hat, glaubt, dass das Gehalt alleine einen Personalmangel nicht beheben könne: „Neben dem Gehalt spielen auch Faktoren wie die Zusammenarbeit im Team und der Umgang mit den Mitarbeitern eine wichtige Rolle.“

Ärztlicher Direktor: Höheres Gehalt wäre hilfreicher Beitrag

Im Vergleich zu Ärzten werden die Pfleger nach allgemeiner Wahrnehmung zu schlecht bezahlt. Sehen das auch die Ärzte so? Dr. Christoph Miltenberger, Ärztlicher Direktor am Helios-Spital Überlingen, ging auf SÜDKURIER-Anfrage nicht direkt auf den Vergleich von Gehältern zwischen Pflegern und Ärzten ein, teilte aber mit: „Auch nach unserer Einschätzung muss die Attraktivität des Pflegeberufes gesteigert werden, um den Bedarf an Pflegekräften nachhaltig decken zu können. Eine bessere Bezahlung kann sicherlich dazu beitragen, dass sich mehr Menschen dafür entscheiden in der Gesundheits- und Krankenpflege zu arbeiten.“

Christoph Miltenberger
Christoph Miltenberger | Bild: Helios-Spital Überlingen

Die wichtigste Stellschraube für eine Verbesserung der Situation liegt laut Pflegedirektorin Daniela Klesel nicht innerhalb der Klinik, sondern bei Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Stichwort Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung. Alleine dieses unaussprechbare Wortungetüm verhindert schon, dass es in der öffentlichen Diskussion Raum einnimmt. Es scheint aber ein wichtiger Punkt zu sein. So kritisiert Klesel, dass in der Verordnung aktuell nur die Patientenzahl als Bemessungsgröße für den Personalschlüssel gelte, nicht das Alter der Patienten oder der Schweregrad der Erkrankung. „Das greift zu kurz.“

Was sagen die in der Pflege beschäftigten?

Sebastian Tulzer ist seit 15 Jahren in der Pflege am Helios-Spital Überlingen beschäftigt. Der 44-Jährige ist Gesundheits- und Krankenpfleger. Als er zu Beginn der Corona-Krise vom Applaus hörte, der in Italien für Pflegekräfte und die arbeitende Bevölkerung gespendet wurde, empfand er das als wohltuend und schön. Den Applaus in Deutschland wiederum nahm er als „aufgesetzt“ und wenig glaubhaft wahr. Taten seien dem Applaus aber nicht gefolgt. Die Pflegezulage habe es vorher schon gegeben.

Sebastian Tulzer
Sebastian Tulzer | Bild: Helios-Spital Überlingen

Tatjana Korfhage, examinierte Krankenschwester, die seit 29 Jahren in der Pflege arbeitet, bestätigt: Sie würde sich statt des Applauses wünschen, dass ihre Arbeit in der Bevölkerung besser wertgeschätzt wird. Für den Pflegenotstand ist in ihren Augen der schlechte Ruf verantwortlich, unter dem ihr Beruf leide. Es stimme einfach nicht, wenn sie hört, dass man da „hauptsächlich für Körperpflege und menschliche Ausscheidungen zuständig ist“. Es komme sehr auf die Fach- und Sozialkompetenz an, ihr Beruf sei sehr vielseitig. „Das wird in der Gesellschaft so aber leider nicht gesehen.“

„Taten sind dem Applaus nicht gefolgt.“
Sebastian Tulzer, Gesundheits- und Krankenpfleger

Es stimme auch nicht, sagt Korfhage, dass man in ihrem Beruf unter einer permanenten Zeitnot stehe, die die Kommunikation mit den Patienten verhindere. Sie sagt, dass es schon auch Stoßzeiten gebe, in denen man priorisieren muss. Das persönliche Gespräch finde aber statt, man lache auch mal gemeinsam, alles das lasse sich in die täglichen Abläufe einbauen.

Tatjana Korfhage
Tatjana Korfhage | Bild: Helios-Spital Überlingen

Die beiden Pflegekräfte zur Corona-Lage

Wie Krankenschwester Tatjana Korfhage beschreibt, haben sich Struktur und Abläufe in der Pandemie verändert, manches sei komplizierter geworden. Zum Beispiel die Sicherstellung, dass ein Patient coronafrei ist, wenn er zurück ins Pflegeheim überwiesen wird.

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Korfhage und Tulzer finden beide, dass es vielen Angehörigen am Verständnis für die veränderte Situation fehle. Die Besuchsverbote und Einschränkungen machten einsam, ohne Zweifel. In Sorge um die Patienten riefen die Angehörigen jetzt viel öfter an und erkundigten sich bei den Ärzten, wollen Essen vorbeibringen oder stehen mit frischer Kleidung an der Pforte. Korfhage: „Es hat sich mit Corona viel im Gesamten verändert, was es für Angehörige, das Personal und die Patienten schwieriger macht.“