Still ruhte der See – denkste! So ruhig der Bodensee vor Überlingen am Samstag (7. September) auch gewirkt haben mag, so stark war die Strömung tatsächlich: Als Schwimmer kam man entweder nicht vom Fleck, oder man wurde abgetrieben. Das bemerkte der Autor dieses Berichts am eigenen Leib.

Das Phänomen war vom Ufer aus nicht bemerkbar. Es war windstill. Wellen waren nicht erkennbar. Aber was steckte dahinter, und wie oft kommt so etwas vor? Ist eine derart starke Strömung nicht sogar eine Gefahr für Schwimmer?

Florian Troeger, Jugendleiter im Yachtclub BYCÜ: „Ein Schwimmer hat Probleme, dagegen anzukommen.“
Florian Troeger, Jugendleiter im Yachtclub BYCÜ: „Ein Schwimmer hat Probleme, dagegen anzukommen.“ | Bild: BYCÜ

Florian Troeger, Jugendleiter im Yachtclub BYCÜ, schätzte die Strömung am Samstag auf 1,5 Knoten. Er hatte darauf geachtet, weil der Yachtclub vor seinem Clubhafen eine Herbstregatta abhielt. Aus Seglersicht handelte es sich um eine mittelmäßig ausgeprägte Strömung, so Troeger. „Ein Schwimmer hat aber Probleme, dagegen anzukommen.“

Ohne Muskelkraft Richtung Sipplingen

Die Strömung am 7. September verlief von Ost nach West. Entlang des Ufers. Nur, wer mit kräftigen Armschlägen durch das Wasser zog, kam vom Fleck. Normales Schwimmen bedeutete, dass man auf der Stelle verharrte. Und wer gar nichts machte, wurde, frei von Muskelkraft, von Überlingen aus in Richtung Sipplingen getrieben.

Der Samstag, 7. September, war einer der letzten schönen Sommertage der Saison, der BYCÜ hielt eine Herbstregatta ab.
Der Samstag, 7. September, war einer der letzten schönen Sommertage der Saison, der BYCÜ hielt eine Herbstregatta ab. | Bild: Hilser, Stefan

Die von Troeger angenommenen 1,5 Knoten entsprechen einer Strömungsgeschwindigkeit von rund 2,8 Kilometern pro Stunde. Das ist erheblich mehr als bei ruhigem Wetter an normalen Tagen. „Typische Strömungsgeschwindigkeiten im Bodensee bei ruhigeren Wetterlagen liegen im Bereich weniger Dezimeter oder Zentimeter pro Sekunde“, informierte das Institut für Seenforschung in Langenargen.

Auch Taucher betroffen

Das Phänomen war vor allem im Uferbereich feststellbar, „insbesondere in den ersten 100 Metern vom Ufer entfernt“, wie Troeger festhielt. „Weiter draußen war dies deutlich geringer.“ Das deckt sich auch mit allgemeinen Beobachtungen der Wasserschutzpolizei. „Die Strömungen treten meist parallel zum Ufer und auch in tieferen Gewässerschichten auf, sodass Taucher davon auch betroffen sind“, antwortete Markus Schlatter, Pressesprecher der Wapo, auf SÜDKURIER-Anfrage.

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Von gefährlichen Situationen oder gar Unfällen hat die Wasserschutzpolizei nichts mitbekommen. Laut Schlatter seien auch der DLRG im Überlinger See (Überlingen, Sipplingen, Bodman-Ludwigshafen) keine besonderen Vorkommnisse gemeldet worden. Insofern stand für Schwimmer das Vergnügen im Vordergrund: Sie konnten in die eine Richtung zu Fuß am Ufer entlanggehen und in die andere Richtung sich im See treiben lassen. Generell gibt die Wapo die Warnung aus, bei Gewitter, Starkwind- oder Sturmwarnung nicht ins Wasser zu gehen. „Gerade ablandige Winde können dazu führen, dass man aus eigener Kraft nicht ans Ufer zurückkommt.“

Suche nach dem Grund der Strömung

Aber woher kommt nun die starke Strömung von Samstag? Flussmündungen sind das eine Thema. Im Überlinger See jedoch, an dem es keinen nennenswerten Zustrom gibt, hängen die Strömungen hauptsächlich vom Wind ab. Das Institut für Seenforschung teilte dazu auf Anfrage mit: „Der Gesamtwasserkörper des Bodensees kann in komplexer Weise reagieren, wie etwa durch die Bildung von Wirbelstrukturen des Strömungsfeldes oder Schwingungen der Wasserschichten.“

Auf offener See sind die Strömungen schwieriger erkennbar. Hier ein Bild des Segler-Nachwuchses des BYCÜ auf einer Regatta in Warnemünde ...
Auf offener See sind die Strömungen schwieriger erkennbar. Hier ein Bild des Segler-Nachwuchses des BYCÜ auf einer Regatta in Warnemünde mit Constantin Troeger und Vorschoterin Greta Wollmann. | Bild: BYCÜ

Die Landesanstalt für Umwelt bietet mit der Internetseite www.bodenseeonline.de ein Informationssystem, das für den Bodensee die Windverhältnisse, Wassertemperaturen, Strömungen und Wellen mit Modellen berechnet. Eine detaillierte lokale Betrachtung, so das Seenforschungsinstitut, sei nicht möglich. Um konkrete Angaben zur Strömung vom 7. September auf dem Überlinger See machen zu können, sei eine komplexe Betrachtung des Gesamtsees und des vorangegangenen Wetters nötig. „Von daher können wir leider keine gesicherte Erklärung für das Phänomen vom vergangenen Samstag geben.“

Nachwirkung des Sturms von Donnerstag?

Es gibt aber einen Näherungsversuch: „Es ist relativ sicher, dass die vorangegangenen Windverhältnisse über dem See für die Strömungen verantwortlich waren“, heißt es in der Antwort des Instituts. Die Strömung von Samstag könnte also eine direkte Auswirkung des Gewittersturms sein, der am Donnerstagabend Überlingen flutete. Auch die Wapo weiß aus Erfahrung, „dass die Strömung nach Starkregen- und Sturmereignissen etwas stärker ist“.

Letztlich bleiben die Strömungen rätselhaft

Wie der Segler Florian Troeger berichtet, hätten sie schon oft über das Phänomen der Strömung im Bodensee, und insbesondere im Überlinger See, „sinniert“. Es hätten viele Gespräche mit dem 2007 in Überlingen verstorbenen Meteorologen Siegfried Schöpfer stattgefunden. Schöpfer war Berater bei Segelregatten und mit Jörg Kachelmann gemeinsam Autor des Buchs „Wie wird das Wetter – eine leicht verständliche Einführung“. Troeger: „Zahlreiche Erklärungsversuche wurden schon über den Haufen geworfen. Auch Siegfried Schöpfer hatte zu Lebzeiten keine Erklärung.“