Der in Überlingen lebende Mateusz Ostrozny denkt gerne in großen Dimensionen. So groß und PS-kräftig wie seine Autos und Motorräder. Der Ingenieur fährt einen 1000 PS starken BMW und eine Reihe weiterer Fahrzeuge, die er um sein Bett herum geparkt hat.

Ostrozny träumt nicht nur nachts von starken Autos, sondern ganz aktuell von einem gigantischen Treffpunkt für die Tuningszene. Dafür klappert er derzeit Rathäuser ab, um in der Nähe der Autobahn ein Grundstück zu ergattern, auf dem sich Autofreunde aus einem Umkreis von 100 Kilometern treffen sollen.
Es hört sich paradox an, doch ist Ostrozny davon überzeugt, mit seinem Plan nicht für Lärm, sondern im Gegenteil, für Ruhe in den Innenstädten zu sorgen. Dort entwickelten sich getunte Fahrzeuge in den letzten Jahren zu einem Dauerärgernis.
Wen Ostrozny erreichen will
Patrick Brielmayer erfüllt alle Klischees, die einen an einen Raser denken lassen. Er fährt einen Lamborghini, 640 PS stark, mit Schweizer Kennzeichen. „Das Auto ist schon übel laut“, gibt er zu. Doch habe es eine ganz normale Straßenzulassung.
Brilmayer ist kein Raser aus der Schweiz, vielmehr wuchs er in Owingen auf, betreibt in Luzern eine Firma – und ist mit dem Überlinger Mateusz Ostrozny befreundet. Sie kennen sich aus der Tuning-Szene.
Ostrozny sagt, er habe guten Einfluss auf junge Leute aus der Szene. Er dränge sie dazu, unnötigen Lärm in den Innenstädten zu vermeiden.

In der Tat gibt es Beschwerden zuhauf gegen Autofahrer, die mit krachendem Auspuff durch die Städte röhren. Ostrozny hat einen Plan im Kopf, wie er für Ruhe sorgen will. Er ist geradezu von dem Gedanken beseelt, den Ruf der Szene aufzupolieren.
Ostroznys Konzept
Das sagt ein Mitglied der Tuningszene
Patrick Brielmayer, der eine Lamborghini Huracán Performante fährt, glaubt, dass das Konzept funktioniert. Der Treffpunkt werde für die Szene im weiten Umkreis so beliebt, dass man es sich nicht erlaube, vom Chef – also Ostrozny – rausgeworfen zu werden.
Brielmayer verdient sein Geld in Luzern mit einer Firma für IT-Consulting. „Wir sind die guten Hacker“, sagt er. Seine Firma durchleuchtet die Computer anderer Firmen und checkt ab, ob sie sicher sind gegen Cyberangriffe im Netz.
Die Spürnase für Bösewichte im Internet weiß sehr wohl darum, dass es auch in der Tuningszene Typen gibt, die sich nicht an die Regeln halten. Die eine oder andere Anzeige für zu lautes Fahren habe auch er schon eingesteckt, gibt er zu. Gleichzeitig ruft er aber dazu auf, den Ruf der Guten in der Szene nicht zu verderben.
Autofahrer Brielmayer: „Wir sind keine Verbrecher“
Ihn ärgere es, „wenn alle über einen Kamm geschoren werden“, sagt Brielmayer. Raser und Tuningszene: Das ein habe nichts mit dem anderen zu tun. Wenn es so dargestellt würde, als ob die eine Szene automatisch mit der anderen etwas zu tun habe, dann stimme das nicht. „Wir sind keine Verbrecher.“ Genauso ärgere es ihn, wenn die Fahrer in getunten Autos mit Schweizer Kennzeichen automatisch als Raser betrachtet würden. „Auch hier werden immer gleich alle über einen Kamm geschoren, dabei stimmt das aber gar nicht.“
Brielmayer wuchs in Owingen auf, seine Verwandtschaft wohnt in der Überlinger Münsterstraße. Er sei zwar schon länger nicht mehr zu Hause gewesen, bittet die Überlinger vorsorglich aber schon um Nachsicht, wenn er mit seinem Lamborghini das nächste Mal nach Hause fährt. „Der ist schon übel laut.“
Das sagt ein ruhebedürftiger Arzt
„Motorenlärm braucht wirklich niemand“, sagt der pensionierte Arzt Dr. Ulrich Zimmermann. Er wohnt in der Goldbacher Straße. Dort hört er sehr genau, wenn knatternde Motorräder und Autos mit explodierendem Auspuff über Überlingen hereinfallen. Die Stadt gilt, neben anderen Städten am Bodensee, als beliebter Treffpunkt für aufgemotzte Autos, deren Fahrer viele Runden drehen, um ihr brummendes Blech anderen vorzuführen.

Zimmermann wohnt oberhalb der Bahnstrecke. Dort ist er schon genug belastet durch stehende und durchfahrende Dieselloks. „Dazu braucht kein Mensch auch noch getunte Autos.“ Schon gar nicht am Wochenende, und nicht in einer Kurstadt, findet Zimmermann.
Ostroznys Ziel: Innenstädte befreien
Nun ist es ja gerade das von Ostrozny formulierte Ziel, Innenstädte vom Lärm und Gestank durch getunte Autos zu befreien. Bei seinem Tuningtreffen im Sommer sei ihm das gelungen. Die Veranstaltung war in die Kritik geraten, weil er sich nicht an die Corona-Vorschriften gehalten habe. Doch habe er es geschafft, dass von den hunderten anreisender Autofahrer, die sich im Gewerbegebiet trafen, keiner die Bewohner in der Innenstadt nervte.

Anwohner: Trotzdem braucht das niemand
Ulrich Zimmermann erinnert sich an das besagte Wochenende: „Ich will nachträglich gerne zugeben, dass nur wenige dieser Protzautos durch die Stadt gefahren sind – wenn sich diese Szene außerhalb treffen will, kann ich damit leben.“ Dennoch frage er sich, ob diese Szene in der heutigen Zeit sein muss: „Wir leben mit Mundschutz und Ausgangssperre und hier tosen getunte und teuer aufgemotzte Fahrzeuge durch die Straßen – sinnlos Benzin verschleudernd.“ Zimmermann kommentiert: „Überlingen wäre gut beraten, den Verkehr und den Lärm aus der Stadt rauszuhalten – gerne Jugend, gerne Feste, gerne Landesgartenschau und Ähnliches, aber Motorenlärm braucht wirklich niemand.“