Kurz nach Ladenöffnung, die Schlange in der Postfiliale im La Piazza in Überlingen reicht jetzt schon bis ins Treppenhaus. Anja heißt die Frau in der Schlange, die zwei Plätze vor mir steht. Schwer bepackt ist sie. Bislang kannte ich ihren Namen nicht. Sie dreht sich zu mir um, drückt mir ihre Pakete in die Hand und entschwindet mit den Worten: „Ich habe in drei Minuten unten im Erdgeschoss einen Friseurtermin.“ Ob ich bitte für sie die Pakete abgeben könne, es handle sich nur um Retouren.
Dem Absender auf dem Paket kann ich ihren Namen entnehmen. Bislang kannte ich sie nur vom Sehen. Es handelt sich um die immer gut gelaunte Mitarbeiterin eines Supermarkts, in dem ich gerne einkaufe. Und ob ich ihr den Post-Einlieferungsbeleg bringen könne, will sie wissen. Klar, sage ich. Aber das klappt nur, wenn mein Anstehen bei der Post nicht länger dauert als ihr Haarschnitt.
In der Schlange kann man Beschwerden lauschen
Ich fühle mich an Gillian Sandstrom erinnert, über die ich neulich in einem Magazin gelesen habe: Die kanadische Psychologin forscht zum Thema Mikro-Verbindungen und wie uns flüchtige Begegnungen glücklich machen. Ich also, mit zwei kurzfristig geerbten Paketen auf dem Arm, stehe weiter in der Schlange. Auf meine Frage in die Runde, ob ich für sonst noch jemanden das Paket abgeben solle, ernte ich nur betretenes Schweigen. Derweil lausche ich, wie sich die Leute über die Post beschweren.
Geschäftsinhaber Andreas Braun, ein Buchhändler, der nebenher die Postfiliale führt, lässt sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen. Ein beobachtenswertes Szenario. Interessant ist es ja auch, was die Leute so zur Post tragen. Da steht auf dem großen Stapel eine Kiste mit einem Kochtopf. Offenbar eine Retoure. Die Leute lassen sich also Kochtöpfe schicken, statt sie im örtlichen Handel zu kaufen, um dann festzustellen, dass sie nicht passen. Wie kommt denn so etwas? Ein Kochtopf! Und da wundern sich die Leute, wenn die Schlange vor der Post so unendlich lang ist.
Ein Tauschgeschäft zu Weihnachten
Ich könnte nebenbei ja auch Bücher lesen. Schließlich stehe ich in einer Buchhandlung. Doch stattdessen tippe ich diese Zeilen ins Handy. Ein Live-Ticker sozusagen. Die Pointe aber kommt erst noch. Anja lässt sich die Haare färben, ihr Termin dauert also noch. Während ich ihr den Einlieferungsschein überreiche, mich für das Vertrauen bedanke, und dafür, dass sie mich bei sich im Supermarkt immer so freundlich grüßt, überreicht sie mir einen Blumentopf mit Weihnachtsstern. Den hat sie in den drei Minuten vor ihrem Friseurtermin im Blumenladen im La Piazza noch schnell gekauft. „Danke“, sagt sie, „wir machen ein Tauschgeschäft daraus. Und fröhliche Weihnachten!“