Es war ein Versprechen, das beinahe in Vergessenheit geriet. 1945 oder 1946 muss es gewesen sein, als Karl Borgmann seinen Kindern versprach: „Wenn wieder Frieden ist, koche ich euch einen Waschkessel voll Schokoladenpudding.“ So erzählt es sein Sohn Rainer Borgmann, der Familie und Freunde jetzt, 80 Jahre später, in Überlingen zu einem Schokoladenfriedensfest einlud. Auch seine Schwester Margrit Breitenstein kann sich noch gut an jenen Moment erinnern: „Wir standen vor der Haustüre und blickten in die Waschküche.“ Ein Kessel voll Schokoladenpudding, voll bis oben hin. Die Kinder gerieten ins Schwelgen bei dieser Vorstellung. Denn die Kriegsjahre waren geprägt von Verzicht und Hunger. „Wir haben richtig Kohldampf geschoben“, berichtet Eva Schneider-Borgmann.

Glück, mal eine Speckschwarte zu ergattern

Rainer Borgmann nimmt an, dass sein Vater die vier Geschwister Eva, Albert, Rainer und Margrit mit dem süßen Versprechen trösten wollte. Margrit Breitenstein spricht eindrücklich über eine Suppe mit Rüben und Kartoffeln, die es immer wieder zu essen gab. „Diese schreckliche Runkelrübensuppe“, sagt die 83-Jährige lachend. „Unsere Mutter war froh, wenn sie eine Speckschwarte ergattert hat.“ Die Familie wohnte in Freiburg. Mutter Grete Borgmann war viel auf dem Fahrrad unterwegs. Sie unternahm Hamsterfahrten an den Kaiserstuhl. In den ländlichen Gebieten wurde versucht, Sachwerte gegen Nahrungsmittel zu tauschen.

Doch Grete Borgmann hielt auch Ausschau nach ihrem Mann Karl, der in amerikanische Kriegsgefangenschaft geraten war. Von 1942 bis 1945 schrieben sie einander Briefe. Diese Korrespondenz umfasst circa 1500 Seiten. Jeden Tag verfassten die Eheleute jeweils mindestens einen Brief. Teile des Briefwechsels wurden 2010 vom Haus der Geschichte Baden-Württemberg unter dem Titel „Zum Glück hilft die Sehnsucht – Ein Briefwechsel 1944/45“ herausgegeben. „Sichtbar wird die Resistenz einer tief katholisch, antinazistisch geprägten Familie gegen die nationalsozialistische Diktatur“, heißt es in der Buchbeschreibung.

Karl Borgmann, Hauptschriftleiter der Caritaszeitschrift in Freiburg, wurde im Jahr 1942 eingezogen. Grete Borgmann war zeitlebens Frauenrechtlerin und damals hochschwanger mit Tochter Margrit. „Mein Vater war ein großer Pazifist“, sagt Rainer Borgmann. Der 85-Jährige, der inzwischen in Owingen lebt, erinnert sich an einen großen Friedenswillen. Schwester Margrit fügt hinzu: „Er wollte nicht in den Krieg.“ Und doch kam es so. Karl Borgmann wurde ihr zufolge in Frankreich stationiert. 1942 beendete er in der Schreibstube sein Buch „Volksliturgie und Seelsorge. Ein Werkbuch zur Gestaltung des Gottesdienstes in der Pfarrgemeinde“. Aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft wurde er im August 1945 entlassen.

Vater kehrt 1945 aus Kriegsgefangenschaft zurück

„Das war am 4. August 1945, meinem Geburtstag“, erklärt Rainer Borgmann sichtlich bewegt. Das war einige Monate nach dem Ende des Krieges. Karl Borgmann weckte seinen jüngsten Sohn aus dem Mittagsschlaf. Schwester Eva sauste mit dem Fahrrad nach Hause, als sie die Neuigkeit hörte, und fand den Vater beim Rasieren im Badezimmer vor. Für die Familie ging es darauf an den Wiederaufbau. Zwecks Selbstversorgung wurde in den eigenen Garten investiert. Dass es nie zum Waschkessel voll Schokoladenpudding kam, dafür haben die Geschwister unterschiedliche Erklärungen. Rainer Borgmann sagt: „Es kam für ihn offensichtlich nicht mehr dieser Frieden.“ Margrit Breitenstein nimmt an, dass das Versprechen nicht mehr so wichtig war. „Es kann sein, dass wir Kinder das im Frieden gar nicht mehr so wollten. Wir waren erstaunt, was es zu kaufen gab.“ Das Jahr 1948 nennt sie als wichtigen Zeitstempel, was die Versorgungslage betraf.

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Die Geschwister verstreute es irgendwann in alle Winde und Karrieren. Rainer Borgmann lebte mit seiner Familie in Villingen-Schwenningen und war Geschäftsführer in verschiedenen Firmen. „Mit viel Empathie“, wie er sagt. Bruder Albert wurde Professor in den USA, wo er auch starb. Schwester Eva war in Freiburg Schulrektorin und unter anderem Präsidentin des Deutschen Frauenringes sowie Vorstandsmitglied im Deutschen Frauenrat. Ersterem hatte ebenfalls Mutter Grete als Mitbegründerin angehört. Schwester Margrit verschlug es zur Caritas. Die ersten Caritas-Feiern hatte sie mit Papa Karl erlebt, wie einem Zeitungsbericht zu ihrem Ruhestand zu entnehmen ist. Kinder und Enkelkinder wurden über die Jahrzehnte geboren. Karl Borgmann starb 1993, Grete im Jahr 2001.

Vor Wochen wieder Gedanken an Pudding

Erst vor einigen Wochen erzählte Rainer Borgmann seinem Sohn Richard vom Schokoladenpudding und so wurde die „unvollendete Tat vollendet“, wie Margrit Breitenstein erläutert. „Ich hoffe, er schaut wolkenzufrieden auf uns hinunter“, sagt Rainer Borgmann über seinen Vater. Gut hätte es ihm gefallen, wenn an diesem Tag der Frieden in der Ukraine Einzug gehalten hätte. Was nicht ist, kann aber noch werden, ist sich der 85-Jährige sicher. Vater Karl hätte in der Hungerzeit des Zweiten Weltkrieges übrigens eine Scheibe Pumpernickel mit viel Butter gut geschmeckt. Seine Nachfahren genossen nun nach einem gemeinsamen Essen einen eigens kredenzten, veganen Schokoladenpudding mit Kokossoße, eine moderne Interpretation. Das Dessert habe vortrefflich geschmeckt, sagt Borgmann.