„Hey Pippi Langstrumpf“, schallt es aus 34 Kinderkehlen durch den Seminarraum des Überlinger Helios-Spitals, als die Viertklässler der Owinger Auentalschule an zwei Puppen die Herzdruckmassage üben. Die kleinen Hände flach übereinandergelegt und dann mit der Kraft von Oberkörper und Armen kräftig auf den Puppenbrustkorb gedrückt.

Zum Takt von Pippi Langstrumpf durfte jeder einmal die Puppe wiederbeleben. Die Kinder werden so spielerisch für das Thema sensibilisiert.
Zum Takt von Pippi Langstrumpf durfte jeder einmal die Puppe wiederbeleben. Die Kinder werden so spielerisch für das Thema sensibilisiert. | Bild: Jürgen Baltes

Doch warum Pippi Langstrumpf? „Weil das Lied jedes Kind kennt und es ein Tempo von 110 Beats per Minute hat“, erläutert Dominik Grab, Ausbilder beim Deutschen Roten Kreuz in Überlingen. In etwa diesem Tempo – das gar nicht so langsam ist – sollte eine Herzdruckmassage erfolgen. Und dabei hilft nichts besser als ein Song. Das könnte auch „Morgen kommt der Weihnachtsmann“ oder „Yellow Submarine“ von den Beatles sein.

Ole Bayer, Chefarzt der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin, Schmerztherapie sowie Tauchmedizin, bringt Viertklässler in den Takt: ...
Ole Bayer, Chefarzt der Anästhesie, Notfall- und Intensivmedizin, Schmerztherapie sowie Tauchmedizin, bringt Viertklässler in den Takt: Er erklärt ihnen die Herzdruckmassage. | Bild: Jürgen Baltes

Mit dabei ist Intensivmediziner Ole Bayer

Gemeinsam mit Ole Bayer, langjähriger Chefarzt für Anästhesie, Intensiv-, Notfall- und Tauchmedizin am Helios-Spital, hat Grab 85 Kinder der Auental- und der Überlinger Wiestorschule für das Thema Wiederbelebung sensibilisiert. Anlass war der „World Restart a Heart Day“ am 16. Oktober, der weltweite Tag der Wiederbelebung.

Wie wichtig das Thema ist, zeigt eindrücklich die Statistik: Von 100 Menschen, die hierzulande einen Herzstillstand erleiden, bekommen im Schnitt nur 42 Erste Hilfe, indem ein Passant gleich mit einer Herzmassage beginnt, solange bis der Rettungsdienst eintrifft. In Ländern wie Norwegen, wo Erste Hilfe als Schulfach gelehrt werde, liege dieser Wert bei 80, sagt Ole Bayer.

Bei Sanitäter Ralf Reichle konnte jeder ein EKG machen.
Bei Sanitäter Ralf Reichle konnte jeder ein EKG machen. | Bild: Jürgen Baltes

Erste Hilfe macht den Unterschied

Und diese Erste Hilfe mache oft den entscheidenden Unterschied, so der Mediziner – nicht nur zwischen Leben und Tod, sondern zwischen „einem ganz normalen Leben und einem Leben in Apathie“. Denn bereits nach drei bis vier Minuten ohne Herzschlag sterben erste Areale im Gehirn, der Notarzt ist aber im Schnitt erst nach neun Minuten vor Ort.

Ole Bayer begrüßt den Patienten Andreas Worreschk, der vor wenigen Tagen noch auf der Intensivstation lag. Die Freude über den ...
Ole Bayer begrüßt den Patienten Andreas Worreschk, der vor wenigen Tagen noch auf der Intensivstation lag. Die Freude über den glücklichen Ausgang ist bei beiden spürbar. Links hinten die Lehrerinnen Roswitha Meisole und Birgit Hoffmann. | Bild: Jürgen Baltes

Wer hätte diesen Unterschied besser illustrieren können als ein Patient, der zufällig im Helios-Spital weilte und sich gerne den Kindern vorstellte? Andreas Worreschk, Urlaubsgast aus dem Spreewald, ist vor zwei Wochen am Affenberg mit einem Herzstillstand zusammengebrochen.

Nur weil seine Frau und das Affenberg-Team gleich mit der Herzmassage begannen, bis der Helikopter eintraf, hat er das Ganze ohne neurologische Schäden überstanden. Zwei Rippen sind dabei gebrochen, doch das sei nicht der Rede wert. „Ich bin all diesen Menschen unendlich dankbar“, sagt der 57-Jährige. „Diese Hilfe hilft auch uns“, ergänzt Ole Bayer – denn leider gehe längst nicht jeder Fall so gut aus.

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Warum keiner Angst haben muss

Deshalb ist Ole Bayer die Reanimation auch sprichwörtlich „ein Herzensthema“. Bereits vor Corona haben Helios und DRK diese auf dem Überlinger Wochenmarkt demonstriert, vor zwei Jahren dann auf der Landesgartenschau. Auch nächstes Jahr soll es zum 16. Oktober wieder ein Event geben. Und dazwischen will Bayer so viele Schulen wie möglich dazu animieren, das Thema aufzugreifen.

Die Idee: Hausärzte sollen an die Schulen gehen und dort innerhalb einer Schulstunde die richtige Technik lehren. Und vor allem vermitteln, dass „niemand Angst haben muss, etwas falsch zu machen“. Denn „jede Hilfe ist besser als keine Hilfe“. Erste Ärzte und Schulen hätten sich bereits bei ihm gemeldet, sagt Bayer. Nun hofft er auf reges weiteres Interesse.

Immer wieder ein Magnet: Der Notarztwagen. „Wie schnell fährt der?“
Immer wieder ein Magnet: Der Notarztwagen. „Wie schnell fährt der?“ | Bild: Jürgen Baltes

Warum Kinder die richtige Zielgruppe sind

Sind denn Kinder dafür die richtige Zielgruppe? „Und ob“, sind sich Bayer und Grab einig. Denn ihrer Erfahrung nach sind es vor allem Erwachsene, die oft zögerlich sind und lieber andere helfen lassen, die es „vermeintlich besser können“. Kinder dagegen seien oft zupackender. Und wie zum Beweis schallt es auf die Frage, was im Notfall zu tun sei, wie aus einem Mund: „Prüfen, Rufen, Drücken“. Will heißen: einige Sekunden prüfen, ob der Betroffene noch atmet, falls ja auf die Seite legen, Hilfe rufen oder holen und schließlich mit der Herzmassage beginnen. „Auch Kinder können das“, sagt Bayer, allerdings meist nur kurz, denn es sei „sehr anstrengend“.

Beim Reanimationstraining mit Dominik Grab waren die Schüler voll dabei. Links Chefarzt Ole Beyer, Initiator des Aktionstags.
Beim Reanimationstraining mit Dominik Grab waren die Schüler voll dabei. Links Chefarzt Ole Beyer, Initiator des Aktionstags. | Bild: Jürgen Baltes

Als Belohnung für die Anstrengung gab es zum Mittag Pizza, nicht bevor noch kurz Rettungs- und Notarztwagen sowie die Druckkammer der Taucher besichtigt waren und Beyer einen Teddy narkotisiert hatte. Ein Vormittag also, der nicht nur lehrreich, sondern auch kurzweilig war. Übrigens auch für die beiden Lehrerinnen, die das Gelernte nun im Unterricht nochmal vertiefen wollen.