Am Landgericht in Konstanz hat der Prozess gegen einen 29-jährigen Mann begonnen, der am 4. April 2024 in Uhldingen-Mühlhofen für Angst und Schrecken sorgte. Er soll mit einem Messer zufällig ihm in die Quere kommende Personen bedroht haben. Die Polizei wusste sich nicht anders zu helfen, als den Mann mit gezielten Schüssen in Schach zu halten. Doch erst ein Sondereinsatzkommando der Polizei vermochte es, den damals 28-Jährigen festzunehmen. Nun sitzt er unter anderem wegen Bedrohung vor Gericht.

Der Mann aus Syrien wurde durch die Schüsse aus der Polizeipistole lebensgefährlich verletzt. Nach elf Tagen im Krankenhaus wurde er nicht ins Gefängnis, sondern in die Psychiatrie eingeliefert. Er leidet mutmaßlich an einer Psychose, die sich teils in Verfolgungswahn äußert und in früheren akuten Phasen in lebensgefährlichen Selbstzerstümmelungen. Wenn er, wie ärztlich verordnet, weiterhin seine Medikamente genommen hätte, wäre der Uhldinger Fall vermutlich nicht passiert.

Polizistin: „Hand geht jetzt schneller zur Waffe“

Am 4. April verließ er mit einem Messer gegen 8.30 Uhr ein Hotel in Unteruhldingen, in dem er in der Küche arbeitete, heißt es in der Anklageschrift. Der Weg des Angeklagten führte an der Asylunterkunft in Unteruhldingen über die Aachstraße nach Oberuhldingen, durch die Straße Ölgarten und die Alte Poststraße. Dabei richtete er das Messer nicht gegen sich selbst, sondern erhob es gegen zufällig auf dem Weg befindliche Personen, die friedlich ihrer Arbeit nachgehen wollten, als Landschaftsgärtner oder als Verkäufer. Ebenso bedrohte er später Polizeibeamte. Einer 52-jährigen Streifenpolizistin kamen im Zeugenstand die Tränen. Sie sei seit 29 Jahren im Schichtdienst tätig, „so etwas habe ich noch nie erlebt“. Auf so eine Situation könne man sich nicht vorbereiten, sie sei seitdem vorsichtiger geworden. „Die Hand geht jetzt schneller zur Waffe.“

Das Landgericht Konstanz von außen (Archivbild).
Das Landgericht Konstanz von außen (Archivbild). | Bild: Timm Lechler

Bodycam zeigt, wie Angeklagter vor Polizisten tänzelte

Wie der Angeklagte vor Gericht sagte, hätte er es eher in Kauf genommen, erschossen zu werden, als sich zu ergeben. Er schreckte nicht zurück, als die Polizei Warnschüsse abgab. Wie auf einem Video einer Bodycam zu sehen ist und Zeugen schilderten, tänzelte er mit dem Messer vor mittlerweile sechs Streifenpolizisten herum, die irgendwann anfingen, auf ihn zu schießen, weil sie ihn für unberechenbar hielten und damit rechneten, dass er möglicherweise auf sie oder andere Unschuldige losgehen könnte. Selbst, als ihn vier Kugeln aus einer Polizeipistole im Bauchraum und am Fuß trafen, legte er laut Zeugenaussagen das Messer nicht aus der Hand.

Rechtsanwalt Andreas Henneman (rechts) verteidigt den 29-jährigen Mann vor dem Landgericht in Konstanz.
Rechtsanwalt Andreas Henneman (rechts) verteidigt den 29-jährigen Mann vor dem Landgericht in Konstanz. | Bild: Hilser, Stefan

Vielmehr habe er sich auf einen Gartenstuhl gesetzt, eine Zigarette angezündet und die Musik auf seinem Handy aufgedreht. „Die Ängste waren stärker als der Schmerz“, begründete er. Wobei der psychiatrische Gutachter in einer vorläufigen Einschätzung Zweifel formulierte, ob das Angstmotiv wirklich zutrifft, nachdem das Video der Bodycam eines Polizisten zeigte, wie der Täter „voller Imponiergehabe“, so der Gutachter, vor den Beamten herumtänzelte, statt sich zurückzuziehen.

Bedrohter Mann trifft auf Angeklagten

Der Angeklagte fühlte sich an jenem Morgen angeblich von allen Leuten, denen er begegnete, bedroht. Er behauptete vor Gericht, dass er das Messer nur eingesteckt habe, weil er sich verteidigen wollte. Tatsächlich stellte er verschiedenen Leuten nach, fuchtelte mit dem Messer herum. Ein Mann verschanzte sich in seinem Auto. Ein 46-jähriger Landschaftsgärtner stürzte nach eigenen Angaben zu Boden, als er vor dem Mann davonrannte. Er beschrieb eindrücklich vor Gericht, wie sich der mutmaßliche Täter über ihn stellte und drohend die Messerspitze auf ihn richtete. „Ich habe mit meinem Leben abgeschlossen“, schilderte es der 46-Jährige. „Ich habe mich nur noch gefragt, mit wie vielen Stichen er mich töten wird.“

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Vor Gericht kam es nun erstmals wieder zur Begegnung der beiden Männer. Er habe ihm verziehen, sagte der 46-jährige Landschaftsgärtner und wünsche dem Angeklagten, dass er sein Leben geregelt bekomme. Die Entschuldigung, die der Angeklagte aussprach, nahm der Mann im Zeugenstand mit einem Dankeschön entgegen. Andere Zeugen lehnten es ab, sich Entschuldigungsworte anzuhören, auch die Streifenpolizistin.

Warum der 29-Jährige auf freiem Fuß ist

Mittlerweile ist der Angeklagte wieder auf dem freien Fuß. Die vorläufige Unterbringung wurde außer Vollzug gesetzt. Vor dem Landgericht geht es jetzt auch um die Frage, ob der 29-Jährige schuldunfähig ist und statt einer Strafe eine Unterbringung in der Forensik erfährt. Er wurde dem Prozess nicht aus der U-Haft vorgeführt, sondern folgte der Ladung zum Prozess aus freiem Willen. Der psychiatrische Gutachter wird am zweiten Verhandlungstag, am 15. Januar, zu der Frage berichten, was im Kopf des Angeklagten wohl vorgegangen ist.

Angeklagter nennt drei Gründe

Der Angeklagte zeigte zumindest vor Gericht Krankheitseinsicht. Als Gründe für seine seit etwa fünf Jahren anhaltende Psychose nannte er eine familiäre Disposition, auch sein Onkel leide darunter. Zweitens seine Erfahrungen in Syrien, wo er angeschossen worden sei und Freunde von ihm von Folter berichtet hätten. Drittens räumte er Drogenmissbrauch ein. Blutuntersuchungen nach seiner Festnahme brachten Spuren von Kokain- und Amphetamin-Konsum zum Vorschein.

Mann wollte Hotellerie-Ausbildung machen

Der 29-Jährige kam 2015 als Flüchtling nach Deutschland. Er spricht sehr gutes Deutsch und kommt im Prozess ohne Dolmetscher aus. Er schlug sich mit Gelegenheitsjobs in der Gastronomie durch und verfolgte das Ziel, eine Ausbildung zum Hotelfachmann zu absolvieren. Das sei der Grund gewesen, warum er im Januar 2024 von Ludwigsburg an den Bodensee gezogen war.

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Problem dabei: Der Kontakt zu seinem Arzt riss offenbar ab und bei der Suche nach einem neuen Arzt sei er aufgefordert worden, erst einmal seinen Versicherungsstatus zu klären. Wie er vor Gericht aussagte, habe er früher Depotspritzen mit Psychopharmaka mit einer Wirkungsdauer von drei Monaten erhalten. Und drei Monate nach seine Ankunft am See schritt er zu der mutmaßlichen Tat. Ein Urteil wird am 20. Januar erwartet.