In Hand- und Fußschellen betritt der Angeklagte den Verhandlungssaal. Seit etwa fünf Monaten sitzt der 36-Jährige in Untersuchungshaft. Er soll ohne Grund in einer Bar im westlichen Landkreis Waldshut drei Gäste mit einem abgebrochenen Glas angegriffen und zwei davon schwer verletzt haben. Jetzt steht er wegen des Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, einer versuchten Körperverletzung und der Beschädigung einer Sache vor dem Amtsgericht Bad Säckingen. Es sind mehrere Verhandlungstage angesetzt, der erste Anfang Dezember in den Räumen des Amtsgerichts Waldshut.
Was soll passiert sein?
Als er am 28. Juli, am frühen Morgen des bereits angebrochenen Sonntags in einer Bar die Getränkerechnung bezahlen wollte, habe er seine Geldbörse nicht finden können, berichtet der Angeklagte der Richterin Stefanie Hauser. Er sei überzeugt gewesen, vor Ort bestohlen worden zu sein. Der 36-Jährige ergriff darauf ein Glas und schmiss es in die verspiegelte Wand, die hinter dem Barkeeper zersplitterte. Das zeigen Videoaufzeichnungen aus zwei Perspektiven in den Innenräumen. Zu sehen ist dort auch, wie der Angeklagte danach auf die Straße hinausging. Dorthin folgten ihm andere männliche Besucher der Bar.
Zwei davon soll der 36-Jährige auf der Straße ohne rechtfertigenden Grund mit einem abgebrochenen Glas angegriffen und schwer verletzt haben, lautet die Anklage. Eine weiterte Person soll er angegriffen haben, diese habe aber rechtzeitig zurück in die Gaststätte flüchten können. Draußen habe der Angeklagten an einem geparkten Auto Windschutz- und Heckscheibe beschädigt. Dabei sei ein Schaden von 2000 Euro entstanden, verliest die Staatsanwältin.
Der Angeklagte spricht von Notwehr
Der Angeklagte sagt aus, er habe seine Geldbörse mit 1000 Euro vermisst. Deren Wert sei für ihn weit über den monetären Betrag hinausgegangen, denn das Geld habe er von seiner Mutter bekommen, um Schulden bezahlen zu können, wie er darlegt. Das Fehlen habe ihn aus der Fassung gebracht. „Ich schäme mich über mein Verhalten“, so der Angeklagte reumütig vor Gericht.
Zum vermeintlichen Tathergang auf der Straße sagt der Angeklagte, dass ihm dort ein Mann in Boxhaltung entgegengetreten sei. Aus Angst vor Schlägen und weiteren männlichen Personen, die ebenfalls aus der Bar gestürmt seien, habe er sich mit dem abgebrochenen Glas verteidigen wollen.
Die Aggression ist vom Angeklagten ausgegangen, sagen Zeugen
Fünf Barbesucher sagen als Zeugen aus, dass die Aggression bereits in der Bar vom Angeklagten ausgegangen sei. Die beiden geschädigten Nebenkläger – zwei Brüder – seien die ersten gewesen, die dem Angeklagten aus der Bar gefolgt seien. Andere seien nachgezogen, was auch Videos zeigen.
Was auf der Straße genau geschah, ob der Angeklagte dort tatsächlich durch Boxhaltung bedroht worden sei oder nicht, dazu konnten drei der fünf Zeugen, darunter ein Freund der beiden Brüder, nichts sagen. Die beiden auf der Straße vom Angeklagten verletzten Brüder beteuern, keine aggressive Haltung eingenommen zu haben.
Beide sagen, sie hätten nicht gewusst, dass der Angeklagte ein abgebrochenes Glas mit sich führte. Der Angeklagte habe ohne Wortwechsel mit dem Arm ausgeholt und damit zugestochen. Die Scherbe habe zunächst die Hand des 35-jährigen Älteren und dann die des Jüngeren in Abwehrhaltung getroffen, sagen die Brüder aus. Beide hätten sich blutend in die Bar begeben.
Der Anwalt des Angeklagten räumte die Frage ein, warum sie seinem Mandanten aus der Bar gefolgt seien. „Ich wollte Zivilcourage zeigen und die Situation klären, um Schlimmeres zu verhindern. Außerdem ist der Besitzer der Bar ein Freund von uns. Da er nicht da war, ist es sozusagen unsere Aufgabe, aufzupassen“, sagt der jüngere, 33-jährige Bruder, der auch am schwersten verletzt wurde. Er habe versucht, den Angeklagten nach dem Grund für seine Aggression zu fragen, sagt er.
Einer der Geschädigten hat bis heute kein Gefühl in der linken Hand
Während die Handverletzung des 35-Jährigen eine Narbe hinterließ, trägt der jüngere Bruder im Gerichtssaal noch immer eine Schiene an der verletzten Hand. An vier Fingern sind ihm Muskeln, Nerven und Sehnen durchtrennt worden. Nach einer siebenstündigen Operation unter Vollnarkose hat er sechs Wochen nicht arbeiten können. Er habe noch immer kein Gefühl in der linken Hand und sei im Alltag stark beeinträchtigt, sagt der 33-Jährige. Inwieweit sich die Nerven regenerieren, sei ungewiss.
Der Angeklagte hatte Alkohol und Drogen im Blut
Zwei als weitere Zeugen geladene Polizeibeamte konnten beim Angeklagten am Tatort Alkoholgeruch wahrnehmen. 0,78 Milligramm pro Liter Blut habe der Test ergeben. Der Zustand des Mannes habe sich von aufgeregt zu schläfrig entwickelt. Im Krankenhaus sei er dann immer verwirrter geworden, als hätte er sein Gedächtnis verloren, so ein Polizeibeamter. In seinem Blut seien Betäubungsmittel festgestellt worden. Eine verminderte Schuldfähigkeit stehe im Raum, so Richterin Hauser.
Im Spital übrigens hat der Angeklagte zufällig sein gestohlen geglaubtes Portemonnaie an seinem Körper gefunden. Die Verhandlung wird am 20. Dezember im Amtsgericht Bad Säckingen fortgesetzt.