Im Prozess vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Waldshut-Tiengen wegen des Tods eines Säuglings aus Bad Säckingen deutet sich eine Wende an. Am dritten Verhandlungstag haben mehrere der acht vernommenen Zeugen recht unverblümt Zweifel an der Täterschaft des 32 Jahre alten Kindsvaters geäußert. Sie halten die Kindsmutter für die Täterin.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Vater vor, das Kind Ende Mai in der elterlichen Wohnung am Arm durch die Luft geschleudert zu haben. In dessen Folge habe es einen Spiralbruch am Arm und einen Genickbruch erlitten. Vier Wochen später ist im Uni-Kinderspital beider Basel (UKBB) nach vier Ethik-Konzilen entschieden worden, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Wenig später starb das Baby.
Freund traut dem Angeklagten die Tat nicht zu
Richtig emotional wurde es zum Ende des dritten Verhandlungstags. Ein langjähriger Freund des Angeklagten bat, sich von diesem verabschieden zu dürfen. Eng lagen sich beide lange in den Armen, drückten und küssten sich und dicke Tränen kullerten über ihre Wangen. Auf keinen Fall, so sagte dieser Zeuge, traue er seinem Freund diese Tat zu.
Nach der Festnahme seines Freundes hatten die Eltern des Zeugen die Kindsmutter für ein bis zwei Monate bei sich aufgenommen. Dabei will er eine Wesensveränderung bei der Frau festgestellt haben: „Es war nicht die Frau, die wir gekannt haben.“ Wie zuvor eine andere Zeugin sagte auch er, dass die Kindsmutter in mehreren Gesprächen unterschiedliche Varianten des Tathergangs erzählt hatte.
Verteidiger: Nimmt der Angeklagte die Schuld auf sich?
Seit Stunden steuerte der Prozess am dritten Verhandlungstag zielstrebig auf die Frage zu, die der Verteidiger schließlich einem weiteren langjährigen Freund des Angeklagten stellte. Die Antwort kam spontan und war schonungslos offen: „Es wird darüber gesprochen; alle Menschen, die ich kenne, sagen das“, meinte der Zeuge auf die Frage des Verteidigers, ob der Angeklagte aus Liebe zu seiner Frau etwas auf sich nehme, was in Wirklichkeit die Kindsmutter getan habe.
Oberstaatsanwaltschaft wirft Verteidiger Spekulation vor
Oberstaatsanwalt Christian Lorenz reagierte gereizt und ungehalten auf die Gesprächsführung des Verteidigers, die sich mehr an Spekulationen als an Fakten orientiere. Der aber hielt stramm Kurs und sah sich durch den Verhandlungsverlauf in seiner Strategie bestätigt.
Kurzfristig war auch die stellvertretende Leiterin der Intensivstation des UKBB in den Zeugenstand berufen worden. Sie spricht fließend Italienisch und fungierte bei den Gesprächen der Ärzte und Pfleger mit den Eltern des Säuglings als Dolmetscherin. Sie gab an, dass der Kindsvater in einem Telefonat direkt vor ihrer Bürotüre auf Italienisch gesagt hatte: „Wenn es zu einer Verhaftung kommen sollte, nähme er die Schuld auf sich.“ Und tags zuvor habe er zu seiner Frau gesagt, sie solle jetzt nichts mehr sagen, und wenn, dann im sizilianischen Dialekt, den verstehe hier niemand. Allerdings versteht die stellvertretende Stationsleiterin auch diesen Dialekt perfekt.
Pflegekraft beschreibt Mutter als distanziert
„Sind wir Mörder?“, habe die Kindsmutter gefragt, nachdem sie mit der schrecklichen Diagnose der Ärzte konfrontiert worden war. Bei den Gesprächen mit dem Klinikpersonal, so die stellvertretende Stationsleiterin, habe die Kindsmutter sehr aufgelöst gewirkt. Sie habe versucht, zu weinen. „Meiner Wahrnehmung nach aber schien das gespielt“, sagte die Pflegekraft. Und abschließend: „Die Mutter war sehr distanziert, nicht sehr leidend. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie Liebe zu diesem Kind empfand.“
Der Tag, an dem sich das sechs Wochen alte Baby in Bad Säckingen die lebensbedrohenden Verletzungen zuzog, sollte für die Familie zu einem großen Freudentag werden. Am Nachmittag unterzeichneten die Eltern vor dem Notar in Schopfheim den Kaufvertrag für ein Einfamilienhaus. Nach Unterzeichnung des Vertrags, so berichtet die Immobilienmaklerin vor Gericht, habe der Vater das Kind hochgehalten und voller Freude zu ihm gesagt: „So, jetzt hast Du ein Haus!“
Maklerin beschreibt Angeklagten als „stolzen und fürsorglichen Vater“
Die Maklerin gab an, den Kindsvater als „stolzen und fürsorglichen Vater“ gesehen zu haben. Von der Kindsmutter habe sie auch keinen schlechten Eindruck gehabt. Diese habe aber stets nur sehr kurze Antworten gegeben. Das Kind sei während des Notartermins „sehr ruhig gewesen“, sagte die Maklerin.
Auch sie gab ihre Einschätzung preis: „Ich kann es mir nicht erklären, warum wird er beschuldigt und nicht die Mutter?“ Ganz ähnlich äußerte sich die frühere Besitzerin des Hauses in Öflingen: „Er war sehr nett zur Tochter; von ihr habe ich nichts mitbekommen.“
Es gibt aber auch andere Stimmen: War der Angeklagte überfordert?
Eine sich unterscheidende Sicht auf die Dinge wurde am dritten Verhandlungstag aber auch erkennbar. Der Vorgesetzte des Angeklagten bei dessen Arbeitgeber in der Schweiz schloss nicht aus, dass dieser angesichts einer Fülle von Ereignissen binnen weniger Wochen überfordert gewesen sei. Diese Ereignisse von Jahresbeginn bis Ende Mai seien der neue Job, die neue Wohnung, die Hochzeit, die Geburt des Kindes und schließlich der Hauskauf gewesen.
Ganz anders die Einschätzung des Freundes. „Bei denen läuft es wie geschmiert“, dachte der sich. Noch wenige Tage vor dem schrecklichen Ereignis sei die junge Familie bei ihnen zu Besuch gewesen. „Es war ein sehr stolzer Vater vor mir gestanden, die Mutter hat insgesamt eine kühlere Haltung eingenommen.“ Später hätten er und seine Frau von der ursprünglichen Absicht Abstand genommen, die Kindsmutter bei sich aufzunehmen. Dies auch aus einer diffusen Sorge um das eigene Kleinkind heraus.
Die Frau dieses Freundes berichtete schließlich noch, dass die Kindsmutter ihr gegenüber unterschiedliche Angaben über den Verlauf des Abends in der Wohnung in Bad Säckingen gemacht habe. „Ich bin an dem Punkt, dass ich keine der drei Varianten mehr glaube“, sagte sie und berichtete, dass ein weiterer Freund belastende Aussagen zur Kindsmutter gemacht habe. Der Mann soll nun auch noch gehört werden.
So geht es weiter
Mit einem Urteil wird noch vor Weihnachten gerechnet. Am kommenden Montag, 16. Dezember, werden die Gerichtsmediziner und weitere Zeugen gehört. Ob an diesem Tag noch plädiert wird oder erst am 17. Dezember, ist offen. Mit dem Urteilsspruch ist aber frühestens am 17. Dezember zu rechnen. Vorsichtshalber hat die Kammer unter Vorsitz von Richter Martin Hauser auch noch den 19. Dezember reservieren lassen.