Was tun, wenn man als gescheiterter Jurastudent und Virtuose auf der Trompete durch die Lande zieht? Warum nicht einen alten Freiherrn in Säckingen, der in Bedrängnis ist, beschützen und dessen verängstigter Tochter das Herz brechen?
Ein unerfahrener Jüngling und charmanter Nichtsnutz in einem Liebeshändel mit dem adeligen Fräulein – das ist der Stoff, für den sich ein Opernpublikum erwärmen sollte. So dachten sich das der Komponist Bernhard Scholz und der Librettist Theobald Rehbaum, die sich mit ihrer Oper „Der Trompeter von Säkkingen“ auf das gleichnamige Epos Victor von Scheffels stürzten.
Dass diese erste Trompeter-Oper der Musikgeschichte – mal abgesehen von der kontrovers gesehenen Qualität des Librettos und der Musik – gleich nach der Premiere am Wiesbadener Königlichen Hoftheater 1877 abgesetzt wurde und für 145 Jahre sang- und klanglos von der Opernbühne verschwand, ist eine andere Geschichte. Die spätere Erfolgsoper Victor von Neßlers (mit dem berühmten „Behüt‘ dich Gott“) hat dafür gesorgt, dass das erste Bühnenwerk gänzlich in Vergessenheit geriet. Dem Bestseller-Epos Scheffels hat das aber nicht geschadet.
All die Widrigkeiten und Fragezeichen, die sich um diesen „Trompeter von Säkkingen“ ranken, haben den Germanisten Bernd Crößmann, der zehn Jahre lang das Klettgau-Gymnasium in Tiengen leitete und Vorsitzender der Scheffel-Freunde Bad Säckingen ist, an der Sache gereizt.
Crößmann hat sich auf die Libretti der drei existierenden Trompeter-Opern zubewegt und herausgefunden, dass ihr Inhalt gewaltige Unterschiede aufweist und im Abstand von etwa 25 Jahren eine Schnulze aus dem originalen Scheffel geworden ist. Bei dem Dichter klingt alles ironischer, nicht so romantisch wie in den Opern, wo es darum geht: Hauptsache sie kriegen sich und die Sache ist gebongt! Der Trompeter Werner Kirchhofer kommt als strahlender Held heraus. Er bleibt Sieger.
Das Libretto von Rehbaum war ambitionierter, wie Crößmann festgestellt hat. Wie der philologisch gewiefte Autor Rehbaum in seinen Erinnerungen 1914 schreibt, habe er die Dichtung den Erfordernissen eines Opernbuchs entsprechend zugeschnitten. „In den Mittelpunkt der Handlung hatte ich nicht das sentimentale Liebespärchen, sondern den aus echt dramatischem Holz geschnittenen Anführer der rebellischen Bauern, Friedli, gestellt“, so Rehbaum zu seien Änderungen und Umdeutungen der Handlung.
Der Librettist, der sich in zwei Briefen in „größter Verehrung“ Scheffel anbiederte, wusste aber auch, dass die breite Masse des Publikums lieber die gesungene Versicherung, dass es „zu schön gewesen wäre“ mit Trompetenbegleitung hören wollte. Er lässt kein gutes Wort am Konkurrenten Neßler, dessen Oper alle anderen überstrahlt: „So hatte denn Scholz‘ und mein Werk nicht annähernd den Erfolg wie Neßlers Süßholzextrakt.“ Vielleicht sprach da auch ein bisschen Neid heraus.
Beim Premierenpublikum fiel das Libretto durch. Über die Musik hieß es in einer Kritik der „Allgemeinen Deutschen Musikzeitung“, sie sei einfach, klar und melodisch, die Instrumentation verrate den gediegenen Musiker von feinem Geschmack. Beifall fanden die lyrischen Szenen im zweiten Akt: „Hier waren es besonders die Arie Margarethens mit dem Trompetensolo und das Liebesduett zwischen Werner und Margarethe, die mit stürmischem Applaus aufgenommen wurden.“
In Scheffels badischer Heimat hieß es in der „Karlsruher Zeitung“ hingegen, dass sich „Der Trompeter von Säkkingen“ von Scholz „keineswegs die Gunst der Wiesbadener erblasen habe“.
Es ist bis hin zu einem Kampflied der Bauern politisch einiges los in dieser frühesten Trompeter-Oper, die sich von der Scheffel-Vorlage doch stark wegbewegt und in der die Hauensteiner die Mauern des Säckinger Schlosses überwinden und Rehbaum seinem „Friedli“ mordbrennerische Absichten unterstellt.
Also ein aufregendes Textbuch, das die Scheffel-Freunde gereizt hat, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, des Dichters Versepos aus der Ecke zu holen und abzustauben, nicht nur auf Werbebilder zu setzen und gelegentlich einen neuen Blick auf den „Trompeter“ zu werfen.
Nach dem Vergleich der drei Libretti kommt Crößmann zum Schluss, dass die Neßler-Oper ein „etwas dümmliches“, aber erfolgreiches Libretto hat, und die Scholz-Oper das anspruchsvollste. In den zur Bad Säckinger Aufführung herausgekommenen „Scheffeltexten Heft 5“ schreibt Herausgeber Crößmann über das politisch überformte Libretto Rehbaums und darüber, warum die Oper im Kaiserreich womöglich aufgrund von Intrigen nicht überlebte.

Für eine Aufführung bei den Säckinger Kammermusik-Abenden wird der Text neu belebt von Erzähler Juri Tetzlaff, der sich am ursprünglichen Libretto Rehbaums und nicht an der etwas gedrechselten Scheffel-Dichtung orientiert, aber das Ganze in heutige umgangssprachliche Formen gießen will. Crößmann hat im Zuge seiner Recherchen den einzigen noch erhaltenen Klavierauszug in der Staatsbibliothek zu Berlin gefunden, ihn digitalisieren lassen und die Partitur damit öffentlich gemacht. Man kann sie jetzt herunterladen.
Der Klavierauszug bildet die Grundlage für die musikalische Bearbeitung und Einrichtung durch den Oboisten und Musikprofessor Jochen Müller-Brincken, der „eine Oper im Westentaschenformat“ in der Minimalbesetzung für ein Sängerpaar, Pianist und Sprecher daraus gemacht hat.
Von der Musik des relativ unbekannten Bernhard Scholz zeigt sich Müller-Brincken sehr angetan. Er hat viele Assoziationen an Opern von Richard Wagner festgestellt, obwohl der Komponist seinerzeit eher als Brahms-Anhänger galt. Aber das Datum spricht für sich: Zwölf Jahre nach Wagners „Tristan“ kam Scholz‘ „Trompeter von Säkkingen“ heraus.
Das Signalgeben war in jener Zeit eine wichtige offizielle Funktion der Trompeter. Und es gibt in dieser frühen Opernversion ein Thema, das sehr prägnant ist und den Trompeter charakterisiert. Immer, wenn er die Szene betritt, klingt es an: ein wirklich eingängiges Trompetenmotiv, das zu einer weiteren Erkennungsmelodie für die Trompeterstadt werden könnte.