Der Kreistag Lörrach ist gegen eine Bagatellgrenze von 175 Euro zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer an Kunden aus der Schweiz und fordert die forcierte Entwicklung digitaler Verfahren. Allenfalls übergangsweise sei eine niedrige Bagatellgrenze um 50 Euro denkbar, betonten einzelne Redner am Mittwoch. Indes drohe dem Handel auch dann allein im Kreis ein Umsatzminus von 150 Millionen Euro, überschlug IHK-Experte Bertram Paganini. Das Gremium beauftragte die Landrätin, diese Haltung des Kreises gegenüber Bund und Land zu verdeutlichen.
Anlass der Positionierung ist ein Vorstoß aus dem Bundesfinanzministerium. Dieser hatte angesichts der zähen und kostspieligen Entwicklung eines digitaler Verfahrens angeregt, eine Mehrwertsteuerrückerstattung erst ab bestimmten Umsätzen zu gewähren, wie andere Anrainer der Schweiz, und dafür gleich die maximal mögliche Obergrenze von 175 Euro vorgeschlagen – auch weil das dem Bund dreistellige Millionenbeträge zusätzlich bringen könnte. Die seit 2014 forcierte und inzwischen testreife Version einer digitalen Zollabfertigung wurde dagegen gestoppt. Bei der Handelslobby und der Industrie- und Handelskammer (IHK) schrillen darob bereits die Alarmglocken.
Gefahr für „Lö“ und die Dreiländergalerie
Der Einzelhandel, aber auch Gastronomie, Hotellerie, Kino- und Kulturbetriebe in der südbadischen Grenzregion profitieren fraglos von der Nachfrage aus der Schweiz. In den Kreisen Lörrach, Waldshut und Konstanz liegt der Anteil der Schweizer Kunden im Einzelhandel laut der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee bei zirka 30 Prozent, in einzelnen Branchen bei über 50 Prozent. Unter dem Strich ermittelt IHK-Handelsexperte Paganini allein für die drei Kreise ein auf der Schweizer Nachfrage basierendes Umsatzvolumen von rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr.
Ein Drittel des Einzelhandelsumsatzes
Davon entfallen etwa 605 Millionen auf den Handel im Kreis Lörrach und machten da rund ein Drittel des Einzelhandelsumsatzes aus. Eine Bagatellgrenze von 175 Euro würde 90 bis 95 Prozent dieses Umsatzes betreffen, mutmaßt Paganini. Große, zusätzliche Handelsflächen schaffende Neubauprojekte wie die Dreiländergalerie in Weil oder das Geschäftshaus „Lö“ wären damit akut gefährdet, prognostiziert er. Rund ein Drittel der 1,4 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche im IHK-Bezirk sei von der Schweizer Nachfrage beeinflusst. Gehe diese weiter deutlich zurück, seien auch betriebswirtschaftlich Anpassungen, sprich Arbeitsplatzabbau und Ladenschließungen, zu erwarten.
Die vom Finanzministerium und Minister Olaf Scholz (SPD) anvisierte Bagatellgrenze aber macht für Paganini genau so ein Szenario realistisch – auch weil darüber ein Dominoeffekt drohe und Kopplungskäufe, also kleinere Einkäufe in mehreren Läden, drastisch zurückgehen würden. Das aber treffe gerade kleinere Geschäfte. Ein digitales Verfahren wäre für den Handelsexperten, der Vergleiche mit anderen Ländern wie Frankreich für wenig konstruktiv hält, dagegen „eine elegante Lösung“ – zumal für Deutschland und seinen Anspruch Hochtechnologieland zu sein.
Auch andere Branchen werden beflügelt
Aus Sicht des Kreises geht es dabei indes gar nicht nur um den Einkaufstourismus, wie Landrätin Marion Dammann deutlich machte. Vielmehr beflügele die Schweizer Nachfrage durch Mitnahmeeffekte auch andere Branchen bis zum Kulturbetrieb und unterstütze so eine positive Entwicklung der Innenstädte. Zudem verschaffe das so anfallende zusätzliche Steueraufkommen Kommunen zusätzliche Spielräume und müsste gegengerechnet werden gegen das durch den Mehrwertsteuerverzicht entgangene Volumen. In diese Argumentation gehört auch, dass Hotellerie und Gastronomie ohnehin nicht von der Mehrwertsteuerrückerstattung profitierten, da ihre Leistungen nicht exportiert werden.
Zwar ist offen, ob es allein die Mehrwertsteuerrückerstattung ist, die Schweizer über die Grenze lockt. Für Paganini aber ist klar, dass Umsätze ohne dieses Schmiermittel spürbar nieriger wären. Auch wenn für die einheimische Bevölkerung damit Schattenseiten verbunden sind – von langen Warteschlagen an Kassen bis zu Engpässen beim Parken – waren im Kern alle Fraktionen gegen die hohe Bagatellgrenze.
Pfund nicht aus der Hand geben
Stattdessen fordern sie, das „Pfund“ dieser Rückerstattung, wie es Paul Renz (CDU) nannte, nicht aus der Hand zu geben, und plädierten für ein digitales Verfahren. „Das ist der Königsweg“, betonte Bernd Martin (Grüne). Angesichts der Ansprüche, Vorreiter der Digitalisierung sein zu wollen, sei das Aus für diese Ansätze sowieso „unverständlich“. Selbst die SPD, deren Landtagsabgeordneter Rainer Stickelberger eine Bagatellgrenze befürwortet, positioniert sich klar gegen die anvisierte Höhe. Sie kann sich allenfalls und als „Interimslösung“, so Gabriele Weber, eine um 50 Euro vorstellen. Aber auch die würde, da ist Paganini sicher, Umsatz kosten.