"Möchten Sie einen Ausfuhrschein?" Die meisten deutschen Kunden am Hochrhein dürften schon mindestens einmal genervt mit den Augen gerollt haben, wenn diese Frage vor ihnen an der Kasse des Einkaufsmarkts gestellt wurde. Bedeutet sie doch meist eine Verzögerung ihres eigenen Einkaufs, sollte die Frage von einem Schweizer Kunden mit Ja beantwortet werden. Auch an den Grenzübergängen sorgen die so genannten grünen Zettel regelmäßig für längere Wartezeiten, schließlich müssen sie dort abgestempelt werden, damit sie beim nächsten Einkauf gültig sind.
Jedes Jahr bearbeitet das Hauptzollamt Singen, zu denen alle Dienststellen zwischen Bad Säckingen und Konstanz gehören, im Schnitt 10,2 Millionen Ausfuhrzettel zur Rückerstattung der Mehrwertsteuer – das entspricht 33.800 Ausfuhrscheinen pro Tag. Zu viele, findet der Lörracher FDP-Bundestagsabgeordnete Christoph Hoffmann und fordert die Einführung einer Bagatellgrenze: "Die Zöllner haben sicher Besseres zu tun", sagte der Abgeordnete aus dem Dreiländereck jüngst in einer Fragestunde des Bundestags.
Aktuell prüft das Bundesfinanzministerium die Einführung einer Bagatellgrenze in Höhe von 175 Euro. Es folgt damit einem Auftrag des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundestages. Bereits im Februar hatte sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit Vertretern der Gewerkschaft Verdi und des Zolls getroffen, um über eine mögliche Bagatellgrenze zu diskutieren. Er lasse nun zwei Varianten zur Umsetzung prüfen, wie es aus internen Kreisen in Berlin heißt.

Während Zöllner und Gewerkschaft eine Bagatellgrenze begrüßen, stößt die Idee, die in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehrfach aufkam und immer wieder verworfen wurde, bei den Waldshuter Abgeordneten und Einzelhändlern aus Waldshut-Tiengen auf Widerstand. "Ich würde es sehr bedauern, wenn die große Vielfalt an Geschäften hier bei uns verloren ginge und die Stadtzentren dadurch an Attraktivität verlieren. Genau diese Gefahr sehe ich", sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter. "Da gibt es den Metzger und den Bäcker um die Ecke, die kleine Modeboutique oder das kleine Geschäft für regionale Lebensmittel", zählt die Politikerin auf.
Gerade diese Handelsgeschäfte wären die großen Leidtragenden einer Einführung der Wertobergrenze. Profitieren hingegen würden große Discounter-Ketten. "Sofern die Einführung einer so genannten Bagatellgrenze unausweichlich ist, dann muss die Grenze so angesetzt sein, dass sie den Namen Bagatellgrenze verdient und es sich wirklich um kleinere Beträge handelt", fügt Schwarzelühr-Sutter hinzu. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Felix Schreiner teilt die Meinung seiner Kollegin: "Eine Wertgrenze in Höhe von 175 Euro ist keine Bagatellgrenze mehr", sagt er auf Nachfrage dieser Zeitung.
„Der Werbe- und Förderungskreis Waldshut bevorzugt die Mehrwertsteuerrückerstattung wie bisher", sagt dessen Sprecher Jochen Seipp im Namen der Waldshuter Einzelhändler. Aus Sicht des Handels stelle die Möglichkeit der Rückerstattung einen zusätzlichen Kaufanreiz dar, fügt der Geschäftsführer eines Möbelgeschäfts hinzu. Nikola Kögel, Sprecherin der Aktionsgemeinschaft Tiengen, vertritt folgende Meinung: "Die 175 Euro sind sehr hoch angesetzt." Die Beträge, die die Kunden in ihrem Buchladen ausgeben, lägen deutlich darunter, sagt sie und fügt hinzu: "Wir müssten mit Umsatzeinbußen rechnen", sollte die Bagatellgrenze tatsächlich kommen und auf 175 Euro festgesetzt werden.

Ähnlich sieht es die CDU-Landtagsabgeordnete Sabine Hartmann-Müller und lehnt eine Bagatellgrenze in Höhe von 175 Euro ab. "Diese würde insbesondere kleineren Einzelhändlern schaden“, schreibt sie in einer Pressemitteilung. Auf lange Sicht liegt ihrer Meinung nach die Lösung für das Abstempeln der grünen Zettel in einem automatisierten Verfahren. "Deshalb erwarte ich von Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass er den eingeschlagenen Weg seines Vorgängers, Wolfgang Schäuble, fortsetzt", so Hartmann-Müller in ihrer Stellungnahme.
Auch der Werbe- und Förderungskreis setzt "zur Entlastung der ausführenden Stellen auf das zolltechnische Projekt einer zeitgemäßen digitalen Lösung“, teilt Jochen Seipp mit. Und Felix Schreiner sagt: "Das Problem ist ja nicht die Mehrwertsteuererstattung, sondern das Verfahren. Es muss im Jahre 2019 doch möglich sein, eine digitale Lösung zur Abwicklung der Ausfuhrzettel zu ermöglichen."
Diese digitale Lösung in Form einer Ausfuhrschein-App für das Smartphone liegt derzeit auf Eis. Aus einem Bericht des Bundesministeriums geht hervor, dass das Projekt aktuell nicht weiter verfolgt werde. Es wolle erst den parlamentarischen Beschluss zur Einführung einer Bagatellgrenze abwarten und das Thema Ausfuhrschein-App danach eventuell noch einmal neu bewerten. Die Kosten für die Entwicklung und Umsetzung der App werden auf knapp 26 Millionen Euro geschätzt.
Blick auf andere Länder
In anderen Nachbarstaaten der Schweiz gibt es bereits Bagatellgrenzen. In Frankreich erhalten Einkaufstouristen ab einem Wert von 175 Euro die Mehrwertsteuer zurück, in Italien ab 155 Euro und in Österreich ab 75 Euro. In der Schweiz selbst liegt die Bagatellgrenze bei 300 Franken. Länder wie Spanien, Irland und Großbritannien verzichten hingegen auf eine solche Mindestgrenze bei der Mehrwertsteuererstattung.