„Wir mussten es uns erarbeiten“: Corinna Apel bringt es auf den Punkt. Heute können sie und ihre Kollegen Ivana Kruljac und Winfried Müller darüber schmunzeln, wenn sie von ihren Anfängen als Mitarbeiter des Sapia Hotels Garni St. Fridolin in Bad Säckingen erzählen.

Die Awocado gGmbH ist Betreiberin des Hotels St. Fridolin und Gesellschafter des Hotels Rheinsberg. Das Besondere an den beiden Hotels: Hier arbeiten zu einem hohen Anteil Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderungen. Frauen und Männer, die sich bewusst gegen ein Arbeitsleben in einer Werkstätte für Menschen mit Handicap entschieden haben.

So wie Corinna Apel, Ivana Kruljac und Winfried Müller. Sie hatten jeweils eine Werkstattempfehlung aufgrund ihrer Behinderung. Aber: Wir wollten nicht dorthin“, sagen die drei einstimmig.

Arbeitskollegen und Freunde: Corinna Apel, Winfried Müller und Ivana Kruljac (von links).
Arbeitskollegen und Freunde: Corinna Apel, Winfried Müller und Ivana Kruljac (von links). | Bild: Rank, Marion

Mittlerweile feiern sie bereits ihr zehnjähriges Dienstjubiläum. Auch ihr Chef Niels Bosley, Geschäftsführer der Awocado und seine Ehefrau Sabina-Theresa (Hotel Rheinsberg) sind seit zehn Jahren dabei.

Der Anfang war schwierig

Lehrjahre sind bekanntlich keine Herrenjahre, davon können Corinna Apel, Ivana Kruljac und Winfried Müller ein Lied singen, und bedingt durch ihre Behinderung, war ihr Start noch etwas schwieriger. Der neue Job im Hotel St. Fridolin stellte alle drei vor große Herausforderungen. „Hier gibt es kein Netz mit doppeltem Boden. Wir behüten nicht“, erklärt Hotelier und Chef Niels Bosley.

„Wir haben die Mitarbeiter entwickelt, dass es für die Gäste passt und sie glücklich sind und nicht umgekehrt. Wenn dabei aber ...
„Wir haben die Mitarbeiter entwickelt, dass es für die Gäste passt und sie glücklich sind und nicht umgekehrt. Wenn dabei aber auch die Mitarbeiter glücklich sind, ist es um so besser“, sagt Geschäftsführer Niels Bosley. | Bild: Marion Rank

Ivana Kruljac, 35, war einst Sonderschülerin, danach ein Jahr im Internat. Bevor sie im Hotel St. Fridolin begann, arbeitete sie nach dreijähriger Arbeitslosigkeit im Service im Restaurant Römerhof in Küssaberg.

Corinna Apel, 40, arbeitete zuvor zehn Jahre lang bei Sedus Stoll im Gemüsegarten.

Winfried Müller, 34, absolvierte von der Schule aus ein Praktikum beim Hotel Rebstock in Laufenburg, besuchte 18 Monate lang die Akademie Himmelreich, ein Kompetenz-Zentrum für Inklusion in Kirchzarten.

Hintergrund und Betrieb

Das Bettenmachen wurde für Ivana Kruljac zum größten Problem: „Die Hotelbettwäsche hat mich herausgefordert. Keine Spannbetttücher, sondern Laken.“ Winfried Müller ergänzt: „Wir haben unseren Chef nach Spannbetttüchern gefragt“, erinnert er sich und lacht.

Ivana Kruljac ist für das Housekeeping, also die Zimmerreinigung, die Gänge und Bereiche wie die Lobby zuständig, unterstützt beim Frühstück, in der Rezeption, übernimmt die Urlaubsvertretung der Kollegen.

Winfried Müller übernimmt neben Housekeeping und Rezeption mit Reservierungen, Buchungen und Telefonaten gerne den Gästeempfang. PC-Programme waren für ihn anfangs Herausforderungen und der Zeitdruck am Telefon machte ihm zu schaffen, der persönliche Kontakt zu den Gästen war einfacher für ihn.

Corinna Apel richtet mit Wurst belegte Brötchen für die Lunchpakete der Hotelgäste.
Corinna Apel richtet mit Wurst belegte Brötchen für die Lunchpakete der Hotelgäste. | Bild: Rank, Marion

Auch Corinna Apel kämpfte. Ihre größte Herausforderung: Das Loslösen von zu Hause. Sie wohnte in Görwihl bei ihren Eltern, arbeitete im Hotel St. Fridolin anfangs in der Küche, war für die Zubereitung des Frühstücks zuständig, später kam das Housekeeping hinzu.

Das Frühstück für die Hotelgäste muss früh gerichtet werden: Arbeitsbeginn 6.30 Uhr morgens. Wie sollte Apel es schaffen, rechtzeitig mit öffentlichen Verkehrsmitteln von Görwihl zum Hotel zu gelangen? Unmöglich. Doch ihren Aufgabenbereich wechseln wollte sie nicht.

Niels Bosley sagt: „Das war ein Abenteuer für sie, auf eigenen Füße zu stehen. Aber wir haben alle an sie geglaubt und so hat sie in Bad Säckingen eine eigene Wohnung bezogen.“ Corinna Apel ergänzt: „Vier Jahre hat es gedauert, bis ich das Frühstück alleine machen konnte.“

„Den Mann meiner Träume suche ich noch.“
Ivana Kruljac, 35

Schwierig war es für alle drei Mitarbeiter, und das nicht nur aufgrund des Handicaps: „Die Mitarbeiter ohne Handicap haben uns nicht so viel zugetraut.“ Corinna Apel gibt offen zu: „Das hat mich ein bisschen geärgert.“ Kollege Müller war selbstbewusster: „Ich habe gesagt, das kann ich schon.“

Wertschätzung erfahren

Zehn Jahre später: Ihr Job und das Vertrauen, das andere in sie gesetzt haben, vor allem Chef Niels Bosley, hat das Selbstvertrauen der drei gestärkt. Corinna Apel freut sich, wenn sie aus dem Urlaub kommt und die Kollegen sagen: „Gott sei Dank bist du wieder da. Das tut mir gut.“ Und Winfried Müller erklärt: „Ich habe mich weiterentwickelt, treffe mittlerweile auch schon mal kleine Entscheidungen selbst. Das Hotel ist mein Leben.“

Mitarbeiter mit Handicap dürfen zeitlich nicht überfordert werden, was bedeutet, dass nicht alle in Vollzeit arbeiten können, wie Niels Bosley ausführt. Corinna Apel, Ivana Kruljac und Winfried Müller arbeiten in Teilzeit, 21 Stunden die Woche.

Winfried Müller und Ivana Kruljac beim täglichen Bettenmachen im Hotel St. Fridolin, eine der Aufgaben, die zum Housekeeping gehört.
Winfried Müller und Ivana Kruljac beim täglichen Bettenmachen im Hotel St. Fridolin, eine der Aufgaben, die zum Housekeeping gehört. | Bild: Rank, Marion

Die Mitarbeiter werden nach Mindestlohn bezahlt, meist auch darüber, erklärt der Geschäftsführer. Er ergänzt, dass man bei den Mitarbeitern nicht von ausgebildeten Mitarbeitern wie im Hotelgewerbe sprechen könnte.

Das sagt Geschäftsführer Niels Bosley

Der Hotelier hat mittlerweile zehn Jahre Erfahrung mit der Beschäftigung von Mitarbeitern mit Handicap.

 

Die Integrationsbetriebe würden sich an ortsüblichen Tarifvertrag orientieren. Die Mehrzahl der Mitarbeiter mit Handicap würden mittlerweile in eigenen Wohnungen leben, ohne intensive Betreuung durch Eltern. So wie Corinna Apel und ihr Kollege Winfried Müller. Allerdings hätten die Mitarbeiter jeweils einen gesetzlichen Betreuer, wie Bosley ausführt.

Musik, kochen und Sport

Corinna Apel, Ivana Kruljac und Winfried Müller sind zu selbstständigen Menschen gereift, die ihr Leben nach den ihnen gegebenen Möglichkeiten fest im Griff haben. Die drei unterscheiden sich kaum von anderen jungen Menschen, haben die gleichen Hobbys, Interessen, Wünsche und Träume.

Ivana Kruljac liebt Musik, die ganze Palette der Charts aus der Popmusik. Sie und ihre beiden Kollegen sind große Fans der hiesigen Band Sameday Records. Ivana Kruljac trifft gerne Freunde, frönt einmal pro Woche in Tiengen ihrem liebsten Hobby: dem Reiten. Und noch etwas verrät die quirlige 35-Jährige: „Ich habe einen Turnschuh- und Handtaschentick.“

Corinna Apel liebt es zu kochen und zu backen, besucht seit zehn Jahren regelmäßig vom Landratsamt Waldshut angebotene Kochkurse. Auch Kollege Winfried Müller ist seit zehn Jahren mit von der Partie, Ivana Kruljac seit einem. Aber Corinna Apel hat auch noch andere Vorlieben: „Ich mag Schlager. Besonders Helene Fischer, von ihr habe ich schon drei Konzerte besucht.“ Die 40-Jährige selbst spielt seit neun Jahren Keyboard, besitzt ein eigenes Instrument, besucht alle 14 Tage den Unterricht in Bad Säckingen.

Allrounder: Winfried Müller ist nicht nur im Housekeeping tätig, sondern auch an der Rezeption, wo er auch kleinere Büroarbeiten erledigt.
Allrounder: Winfried Müller ist nicht nur im Housekeeping tätig, sondern auch an der Rezeption, wo er auch kleinere Büroarbeiten erledigt. | Bild: Rank, Marion

Keyboard spielt auch Kollege Winfried Müller seit neun Jahren. Für den Fall, dass es mit dem Notenlesen mal nicht so klappt, hat er auf den Noten Fingerhilfen. Musikalisch ist der 34-Jährige breit aufgestellt: von Pop bis Klassik. Er mag Schlagerstars wie Helene Fischer und Beatrice Egli und schätzt die US-amerikanische Violinistin Lindsey Stirling.

„Ich habe mich weiterentwickelt, treffe mittlerweile auch schon mal kleine Entscheidungen selbst. Das Hotel ist mein Leben.“
Winfried Müller, 34

Der Naturfreund fotografiert außerdem gerne und ist sportbegeistert: Er schwimmt, fährt Rad, hat sich ein gebrauchtes E-Bike zugelegt und ist damit auch den Slow-Up mitgefahren.

Und noch ein weiteres Hobby hat Winfried Müller: „Ich sammle Käppis, so rund zehn Stück habe ich etwa.“ Natürlich kann er die nur privat tragen, nicht im Hotel. Und noch etwas sammelt Winfried: DVDs. „Zwei bis drei Kisten voll sind es. Ich könnte ein eigenes Kino eröffnen“, sagt er und lacht.

Über Pläne, Träume und Ängste

Und welche Träume haben die drei Hotelangestellten für die Zukunft? Ivana Kruljac muss nicht lange überlegen: „Ich hätte so gerne eine eigene Ein- bis Zwei-Zimmer-Wohnung in Bad Säckingen oder Umgebung, möchte gerne auf eigenen Füßen stehen. Und wenn ich das Geld dazu hätte, würde ich gerne den Führerschein machen und mir dann einen VW Golf kaufen. Und ich wünsche mir eine eigene Familie mit ein bis zwei Kindern.“

Und der passende Mann dazu? „Den Mann meiner Träume suche ich noch“, sagt sie und lacht verschmitzt. Zukunftsängste plagen Ivana Kuljac keine: „Ich weiß, dass mein Job hier sicher ist.“

Auch Winfried Müller träumt von einer eigenen Familie, einem kleinen Häuschen mit Garten und, wenn das liebe Geld nicht wäre, würde er sich an den Führerschein wagen und sich ein eigenes Auto zulegen, um etwas unabhängiger von öffentlichen Verkehrsmitteln zu sein.

„Ich schwimme und laufe gerne. Und ich liebe es, im Sommer auf dem Balkon zu sitzen. Ich liebe die Natur.“
Corinna Apel, 40

Bedingt durch einen angeboren Sehfehler ist Corinna Apel eingeschränkt: Damit hat sich für sie die Frage nach Führerschein und Autofahren erledigt, aber auch Dinge wie Fahrradfahren, was sie eigentlich gerne tun würde. Aber es gibt sportliche Alternativen: „Ich schwimme und laufe gerne. Und ich liebe es, im Sommer auf dem Balkon zu sitzen. Ich liebe die Natur, bin durch meine Eltern Mitglied beim Naturschutzbund Nabu.“

Und noch eine Leidenschaft hat sie: „Ich reise gerne, war schon auf Borkum, Mallorca und Teneriffa.“ Das möchte Corinna Apel auch gerne einmal zu zweit erleben, träumt von einem Mann und einem kleinen Häuschen mit Garten. Und Kinder? Die 40-Jährige mit der frechen Kurzhaarfrisur, die bis dahin noch so viel gelacht hat, wird still. Und erzählt von ihrer größten Angst: „Meine Eltern zu verlieren.“

Winfried Müller musste eine solche Erfahrung bereits machen. Seine Mutter starb an Lungenkrebs. Der 34-Jährige sagt, dass er auch manchmal Angst hat vor dem Sterben. Doch er schüttelt die trüben Gedanken gleich wieder ab, erzählt, dass er Mitglied beim Naturschutzbund Nabu ist.

Corinna Apel, Winfried Müller und Ivana Kruljac müssen mit ihren Ängsten leben. Aber etwas Wichtiges ist ihnen gelungen: Sie sind über sich selbst hinausgewachsen, führen größtenteils ein selbstbestimmtes Leben. Sie haben ihren Traumjob gefunden, gehen darin auf. Etwas, wovon manch anderer – ungeachtet eines Handicaps – nur träumen kann.

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