Michael Baas

Herr Böhm, welche Bedeutung hat der Handel mit Großbritannien für die Wirtschaft im Kammergebiet Hochrhein-Bodensee?

Er ist wichtig, aber nicht überlebenswichtig. Der Export aus Baden-Württemberg nach Großbritannien ist seit der Brexit-Abstimmung bereits deutlich gesunken, in den vergangenen vier Jahren um 32 Prozent. Das heißt, wir haben schon die schleichende Anpassung an den Brexit. Ein „No Deal“-Brexit, wie er jetzt droht, wäre aber mit Abstand das schlechteste Szenario. In Deutschland beschäftigen britische Unternehmen in 1400 Niederlassungen 240 000 Menschen, deutsche Firmen betreiben in Großbritannien sogar 2500 Niederlassungen mit circa 400 000 Beschäftigten. Bundesweit hängen am Export nach Großbritannien rund 750 000 Arbeitsplätze.

Ist das Import- und Exportvolumen der regionalen Wirtschaft mit Großbritannien auch zu beziffern?

Das wird auf der Ebene statistisch nicht erfasst. Für Baden-Württemberg liegt Großbritannien mit einem Exportvolumen von elf Milliarden Euro auf Platz sechs der wichtigsten Exportländer.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

Wichtigste Branchen in Baden-Württemberg sind der Fahrzeugbau, Autozulieferer und Maschinenbau. Im Kammerbezirk zwischen Konstanz und Weil sind es vor allem Autozulieferer und Maschinenbau, aber auch Pharma und Chemie. Von unserem produzierenden Firmen mit Export betrifft der Brexit rund 170.

Hat die regionale Wirtschaft auch in Großbritannien investiert?

Die Zahl hiesiger Firmen, die dort produziert, ist sehr überschaubar. Das sind vielleicht eine Handvoll. Die meisten sind im Handel tätig, exportieren also.

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Würde in der Region nach einem harten Brexit ein Stellenabbau drohen?

Ich weiß nicht, ob sich das unmittelbar auswirkt. Bedenkt man, dass die Konjunktur weltweit abkühlt, wäre ein Abbau sicher nicht allein auf den Brexit zurückzuführen. Statistisch dürfte dieser da eher untergehen. Aber klar ist, dass die bloße Unsicherheit über die weitere Entwicklung für unsere Unternehmen bereits heute eine massive Einschränkung bedeutet. Investitionen müssen zurückgenommen oder zurückgestellt werden. Bestehende Lieferbeziehungen sind mit massiven Unsicherheiten belastet.

Rechnen Sie infolge des Brexit – wie immer der aussehen wird – mit der Abschwächung der regionalen Konjunktur?

Jein. Sollte es tatsächlich zum harten Brexit kommen, dürfte das britische Pfund weiter an Wert verlieren. Damit werden dort eingeführte Waren, also unser Export, teurer. Das dürfte die Importe in Großbritannien bremsen. Das wiederum dürfte sich kurzfristig auch auf unsere Wirtschaft auswirken. Längerfristig wird sich das aber wieder einpendeln. Dann wird Großbritannien zu einem Land wie die Schweiz oder den USA, wohin Exporte mehr Bürokratie erfordern.

Sind die Firmen auf den Brexit – wie hart auch immer – vorbereitet?

Die negativen Folgen eines harten Brexit liegen in den fälligen Zöllen sowie der Abwicklung des Warenverkehrs. Das drohende Zollvolumen für deutsche Unternehmen wird aktuell auf über drei Milliarden Euro geschätzt. Das operative Handling wird faktisch ein Flaschenhals. Zolltechnisch wird Großbritannien, wie gesagt ein zusätzliches Land, für das Formalitäten anfallen – wie für die Schweiz oder China. Aber Zollabfertigung ist komplex. Das ist am Hochrhein mit den Lastwagenstaus an der Grenze täglich zu erleben. Das größte operative Problem sehe ich denn auch in der Logistik. Vor allem am Anfang wird das ein Problem werden nicht zuletzt auf britischer Seite. Dort gibt es quasi noch keine Infrastruktur zur Zollabwicklung für Lastwagen.

Uwe Böhm.
Uwe Böhm. | Bild: Daniel Gramespacher

Es heißt aber, vor allem kleinere und mittlere Betriebe seien kaum in der Lage, die Brexit-Bürokratie zu managen?

Das sehe ich nicht so schwarz. In der Region gibt es viele Firmen, die in die Schweiz exportieren. Die wissen wie Zoll geht. Zudem gibt’s schon Dienstleister, die Verzollungsprozesse begleiten. Das größte Problem wird nicht der Zoll sein.

Sondern?

Wie gesagt die Logistik. Ich rechne da mit langen Staus an den Grenzen. Am Anfang dürfte es da harsch werden und, bis genug Kapazitäten aufgebaut sind, auch zu Lieferengpässen kommen.

Sollte die EU doch noch Zugeständnisse machen?

Dieser Zug ist aus meiner Sicht abgefahren. Selbst wenn die EU zu substanziellen Zugeständnissen bereit sein sollte, was ich bezweifle, wäre es zu spät, diese in die Verfahren einzubringen. Das sind reine Gedankenspiele.

Was ist Ihr Vorschlag, die Situation zu lösen?

Ich bin dafür, die Grundsatzdebatten einzustellen und praktische Fragen – Zoll, Transport, Logistik – schnell zu klären. Am Anfang ist das sicher Notfallmanagement, aber das wird sich einspielen.