Wichtigste Regelung der Rechtsprechung
Im Mai 2017 erlangte ein weitreichendes Urteil des Bundessozialgerichts Rechtskraft, wonach die beiden Säulen des Schweizer Rentensystems – die AHV und die BVG – bei der Bemessung von Krankenkassenbeiträgen als Einheit gesehen werden müssten. Denn: „Eine hinreichende Sicherung des Lebensunterhalts ergibt sich erst aus dem Zusammenwirken von Erster und Zweiter Säule“, lautete die Begründung der Richter.
Konkret werden Schweizer Renten damit der deutschen gesetzlichen Rente gleichgestellt, was bedeutet, dass nur der halbe Krankenkassenbeitrag dafür zu bezahlen ist. Bei Menschen, die nach Mai 2017 in den Ruhestand gegangen sind, wird seither standardmäßig der halbe Beitragssatz auf ihre Schweizer Rente berechnet.
Meiste Kassen benachteiligen Bestandskunden
Altversicherte wurden derweil in aller Regel über die Veränderungen weder informiert, noch wurden ihnen Beiträge erstattet, die sie zu viel bezahlt haben. Lediglich die AOK Hochrhein-Bodensee ging aktiv auf ihre Kunden zu und erstattete zuviel bezahlte Beiträge im Gesamtvolumen von mehreren Millionen Euro.
Diesen skandalösen Umgang vieler Krankenkassen mit ihren Bestandskunden hatte der SÜDKURIER vergangenes Jahr aufgedeckt. Die Erkenntnisse hatten ein großes Echo sowohl von Betroffenen zwischen Lörrach und Bodensee wie auch vom Verband der Auslandsschweizer hervorgerufen.
Wer sich nicht wehrt, zahlt auch weiterhin zuviel. Das sei nach wie vor gängige Praxis und wurde unserer Zeitung in zahlreichen Gesprächen mit betroffenen Lesern vom Hochrhein und aus dem Bodenseeraum bestätigt.
Immerhin: Die meisten Beschwerden zeigten Erfolg. Eine Untersuchung wird in Gang gesetzt, an deren Ende in aller Regel eine Rückzahlung steht. Die Höhe variiere, bewegte sich aber im teils oberen fünfstelligen Bereich, wie uns mehrere Leser mitteilten.
Problematik zieht immer weitere Kreise
Auch bei der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg ist das Thema erst im Nachgang zur SÜDKURIER-Berichterstattung in nennenswerter Zahl auf der Agenda aufgetaucht, wie Peter Grieble, Abteilungsleiter Versicherungen, Pflege, Gesundheit, auf Nachfrage erklärt.
Hatte es noch im Juni 2018 gerade eine einzige Beschwerde in diesem Zusammenhang gegeben, hätten sich zwischenzeitlich „mehrere Dutzend“ Menschen an die Verbraucherzentrale gewandt. Für Grieble ist klar: „Krankenkassen kennen die Rechtslage nun nach unserem Eindruck besser und berechnen für die Zukunft diesbezüglich grundsätzlich richtig.“
Dagegen müssten sich Altversicherte selbst um ihr Recht bemühen. „Das Thema wirft ein eindrucksvolles Schlaglicht auf die große Intransparenz bei der Berechnung der Verbeitragung, allgemein ein sehr großes Verbraucherproblem“, so Grieble.
Woran es hapert
Selbst Experten tun sich bei der Beantwortung dieser Frage schwer, denn einen nachvollziehbaren Grund gebe es nicht. „Selbstverständlich müssen Krankenkassen die Beiträge aufgrund von Recht und Gesetz berechnen und dürfen nicht eigenes Gutdünken walten lassen. Das Urteil des BSG ist eindeutig“, erklärt etwa Peter Grieble von der Verbraucherzentrale.
Das sieht auch Fachanwältin Herr so. Woran es hapert, sei eine zentrale Aufsichtsbehörde: „Für die AOK ist das Sozialministerium zuständig, bei anderen ist es das Bundesversicherungsamt.“ Ebendies führe dazu, dass Informationen nicht in gleicher Weise an alle Institutionen weitergegeben werden.
Auch der Umstand, dass viele Krankenkassen ihre Zentrale in anderen Teilen Deutschlands haben, komme erschwerend hinzu: „Da fehlt möglicherweise das Verständnis, dass dieses Thema einen erheblichen Anteil der Versicherten betreffen könnte.“
Betrugsversuch schwer nachweisbar
Aus diesem Grund wäre eine Anzeige wegen versuchten Betrugs aller Voraussicht nach wenig erfolgversprechend: „Betrug setzt immer einen Vorsatz voraus. Der ist hier aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gegeben.“

Viel eher sei davon auszugehen, dass die Tragweite der Thematik nicht ernst genug genommen werde. „Natürlich müssen sich aber auch Krankenkassen an Recht und Gesetz halten“, stellt Barbara Herr klar. Und dass die eingetretenen Veränderungen gerade gegenüber der Bestandskundschaft nicht automatisch angewandt werde, sei auf jeden Fall fragwürdig.
Grundsatzentscheidung durch Gerichte wäre denkbar
Insofern wäre eine juristische Klärung der Problematik sicherlich eine spannende Angelegenheit, schätzt die Fachanwältin. Die Vorbereitung eines solchen Gerichtsverfahrens wäre zwar „extremst aufwendig“.
Doch die eigentliche Verfahrensführung wäre verhältnismäßig einfach. Erleichtert würde es aber sicherlich dadurch, dass sich mehrere Leute zusammentun, um ein solches Verfahren anzustoßen.