In den vergangenen fünf Jahren war die ärztliche Versorgung in der Gemeinde Wutöschingen ein echtes Problem – für die Bevölkerung, aber auch für die Gemeindeverwaltung. Bürgermeister Georg Eble ließ nichts unversucht, den Ärztemangel in seiner Gemeinde zu beheben. Aber erst mit der Planung eines Ärztehauses stellte sich der gewünschte Erfolg ein. Damit ist die Gemeinde Wutöschingen im Landkreis Waldshut kein Einzelfall.
Viele Arztpraxen finden keinen Nachfolger
50 Prozent der Hausärzte im Landkreis Waldshut sind über 60 Jahre alt, viele Arztpraxen können trotz intensiver Suche keinen Nachfolger finden. In den kommenden Jahren droht ein drastischer Ärztemangel. Mehr als ein Dutzend Praxissitze im Kreis sind nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Baden Württemberg derzeit nicht besetzt. Für das Landratsamt Waldshut ist es eine große, im Zusammenspiel mit der Krankenhausversorgung, vielleicht sogar die größte Herausforderung, die es zu bewältigen gilt.
Eine Suche auf vielen Wegen
Zwei Wutöschinger Hausärzte hatten sich 2014 in den Ruhestand verabschiedet, seitdem gibt es nur noch eine Arztpraxis in der stetig wachsenden und derzeit rund 7000 Einwohner zählenden Gemeinde. „Für beide Ärzte konnte trotz aller Anstrengungen kein Nachfolger gefunden werden“, sagt Bürgermeister Eble.
Jede Möglichkeit der Werbung wurde genutzt: Von Inseraten in Fachzeitschriften über Flyer, die unter anderem auch beim Hausärztetag in Stuttgart auslagen, bis hin zum spezialisierten Personalbüro, welches die Suche unterstützen sollte – Georg Eble und die Gemeinde Wutöschingen ließen nichts unversucht. „Wir haben sogar 1000 Ärzte in größeren Städten angeschrieben, in denen es zu viele Mediziner gibt“, erzählt Georg Eble. Das Ergebnis war vernichtend: Die wenigen Rückmeldungen waren entweder Absagen oder verliefen schnell wieder im Sande.
Landkreis gibt Studie in Auftrag
Dass Handlungsbedarf besteht, weiß auch Landrat Martin Kistler. „Vom Landkreis wurde eine Projektstudie zur ambulanten medizinischen Versorgung in den Kommunen in Auftrag gegeben“, sagt Kistler. Ergebnis dieser Studie waren verschiedene Handlungsempfehlungen, die im Landkreis jetzt umgesetzt werden sollen.
Martin Kistler: „Als zukunftsweisend dürften sich verschiedene Formen ärztlicher Kooperationen, medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft, Beteiligungen von Kliniken an der ambulanten Versorgung und die medizinische Versorgung der Bewohner in Gesundheitszentren erweisen.“
Lange hat Wutöschingen nach einem Hausarzt gesucht. Für Georg Eble brachte dies auch eine Erkenntnis mit sich: Die Gemeinde muss sich für die Hausärzte attraktiver machen. „Die Investitionen zur Einrichtung einer Arztpraxis sind hoch und schrecken viele Ärzte ab. An dieser Stelle müssen wir als Gemeinde Unterstützung leisten. Nur wenn wir passende Praxisräume anbieten können und bei der Ausstattung behilflich sind, werden wir Erfolg haben“, sagt Georg Eble.
Er überzeugte den Gemeinderat und die Firma Ambiente Wohnbau als Investor davon, ein Ärztehaus in der Ortsmitte zu planen, in dem neben zwei Arztpraxen und zwei Wohnungen auch die örtliche Apotheke eine neue Heimat finden soll.
Das sei ein mutiger Schritt gewesen, denn bei Baubeginn war für die beiden Arztpraxen noch kein Interessent in Sicht. Doch schon nach kurzer Zeit meldete ein Zahnarzt aus der Nachbargemeinde Interesse an den 280 Quadratmeter großen Praxisräumen im ersten Stock und inzwischen hat sich mit Sandra Schuh auch eine Hausärztin gefunden, die nach Fertigstellung des Ärztehauses eine Hausarztpraxis eröffnen wird.
Bewusste Entscheidung für Arbeit als Hausärztin
Während sich viele Ärzte heute gegen die Selbstständigkeit entscheiden und die Arbeit im Angestelltenverhältnis ohne Risiko und mit festen Arbeits-und Urlaubszeiten vorziehen, hat sich Sandra Schuh bewusst für die Arbeit als Hausärztin auf dem Land entschieden. „Ich mag den persönlichen Kontakt zu meinen Patienten, es ist einfach schön, zu den Menschen eine Beziehung aufzubauen, ihre Geschichte zu kennen und damit auch besser ärztliche Hilfe leisten zu können.“ Sandra Schuh weiß, wovon sie spricht, denn bis vor wenigen Monaten war sie als Ärztin im Krankenhaus Bad Säckingen tätig.
Lieber als Hausarzt als im Krankenhaus
„Ich mochte meine Arbeit im Krankenhaus auch, aber es ist für mich nicht leicht, die knapp getaktete Zeit, die für einen Patienten bleibt, mit meinen Vorstellungen vom Arztberuf zu vereinbaren. Meist bekam ich von den Patienten nur einen flüchtigen Eindruck und bedauerte das sehr.“ Die Mehrarbeit als Hausärztin scheut sie nicht: „Die Arbeit erfüllt mich und macht mir Freude, das ist mir wichtiger als geregelte Arbeitszeiten“, sagt sie, betont aber auch: „Jeder Mediziner muss abwägen, wie und wo er seinen Arztberuf ausüben möchte.“
Als das Spital Bad Säckingen geschlossen wurde, nutzte Sandra Schuh die Gelegenheit zur Neuorientierung. Über einen befreundeten Arzt erfuhr die in Lauchringen lebende Medizinerin von der Ärztesuche in Wutöschingen und kam so mit Bürgermeister Georg Eble in Kontakt.
„Der Neubau des Ärztehauses und die finanzielle Unterstützung bei der Praxiseinrichtung waren schon ein Argument für meine Entscheidung, künftig in Wutöschingen zu praktizieren“, erklärt die zweifache Mutter. „Ich wurde in die Planung mit einbezogen, konnte meine Wünsche zu Raumaufteilung und Gestaltung mit einbringen“, lobt sie die Zusammenarbeit. Und für den Bürgermeister steht fest: „Für uns ist Frau Doktor Schuh wie ein Sechser im Lotto.“
Gemeinde vermietet die Praxis
Die Bauarbeiten am zukünftigen Ärztehaus in Wutöschingen laufen auf Hochtouren, bis September nächsten Jahres soll das von Architekt Harald Jäger geplante dreistöckige Gebäude mit Tiefgarage fertig gestellt sein. Die Allgemeinarztpraxis im Erdgeschoss mit 220 Quadratmetern kauft die Gemeinde Wutöschingen und wird sie an Sandra Schuh vermieten.
Die Gemeinde hat sich erfolgreich für das Landes-Ärzteprogramm beworben und erhält als Gemeinde mit anerkanntem Notstand einen Zuschuss für die Praxiseinrichtung in Höhe von 30 000 Euro. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Südbaden hat einen Zuschuss von 80 000 Euro bewilligt, der ebenfalls für Gemeinden gewährt wird, die eine Unterversorgung mit Hausärzten im ländlichen Bereich nachweisen können.
„Mit dem Ärztehaus schaffen wir in Wutöschingen perfekte Bedingungen. Wir haben eine Allgemeinärztin, einen Zahnarzt und die Apotheke unter einem Dach und schaffen im obersten Geschoss noch Wohnraum“, sagt Georg Eble und ergänzt „Es wäre problemlos möglich, das Gebäude zu vergrößern, um weitere Praxisfläche zu schaffen. Weitere Ärzte sind uns willkommen.“
Wie es andere Kommunen machen
- Die hausärztliche Versorgung: In den vergangenen Jahren wurde im Landkreis Waldshut immer wieder versucht, durch Veränderungen der Betriebsformen von Arztpraxen auf die sich wechselnden Anforderungen der niedergelassenen Ärzte und den demografischen Wandel einzustellen, erklärt das Landratsamt Waldshut auf Anfrage. Es wurden neben der Einzelarztpraxis die Modelle von Praxis Sharing, Gemeinschaftspraxen, Praxisgemeinschaften oder Medizinischen Versorgungszentren entwickelt. Hiermit wollte man dem Anspruch Genüge tun, sowohl Praxispersonal, Räumlichkeiten, als auch medizinisch technische Geräte kostengünstiger zu nutzen. Ein anderer Aspekt war, den sich ändernden Ansprüchen junger Mediziner an ihren Arbeitsplatz Rechnung zu tragen, insbesondere durch die steigende Zahl an Absolventinnen des Medizinstudiums. Vor diesem Hintergrund entschieden sich Kommunen oder Ärzte, sogenannte Ärztehäuser zu bauen.
- Ärztehäuser als Lösung: Im Landkreis Waldshut wurden schon einige Ärztehäuser gebaut, weitere sind in naher Zukunft geplant. In der Gemeinde Lauchringen gibt es mittlerweile schon zwei Ärztehäuser. Erste Überlegungen, mit einem Ärztehaus die medzinische Versorgung zu sichern, gab es dort bereits vor mehr als 15 Jahren. 2008 eröffnete in Lauchringen das Ärztehaus I, bereits wenige Jahre später reifte der Plan, die medizinische Versorgung, vor allem mit Fachärzten, durch ein zweites Ärztehaus auszubauen. Im September 2017 wurde das Ärztehaus II in Lauchringen eröffnet. Weitere Ärztehäuser gibt es unter anderem in Bad Säckingen, Grafenhausen, Rickenbach und Wehr, weitere sollen in Bad Säckingen, Murg und
St. Blasien entstehen– um nur einige zu nennen. - Versorgungszentren als Genossenschaft: Überlegungen gibt es laut Landratsamt, Medizinische Versorgungszentren in Form einer Genossenschaft zu etablieren. Hierzu werden gerade von Seiten des Ministeriums für Soziales und Integration und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz die Weichen gestellt und Machbarkeitsanalysen auf den Weg gebracht. Hierzu wurden im Landkreis Waldshut die Kommunen Hohentengen, Ühlingen-Birkendorf und Bonndorf ausgewählt.