Ohne sie wäre der Schulbetrieb an vielen Grund- Haupt, Real- und Gemeinschaftsschulen in der Region wohl kaum aufrecht zu erhalten – und doch fühlen sie sich als „Lehrer zweiter Klasse“. Die Rede ist von Quereinsteigern, mit denen die Schulbehörden seit Jahren versuchen, den nach wie vor grassierenden Lehrermangel abzumildern.
Landesweit sind es in diesem Schuljahr laut Kultusministerium 790 Lehrer ohne das zweite Staatsexamen, die an baden-württembergischen Grund- Haupt-, Real- und Gemeinschaftsschulen unterrichten. „Darunter befinden sich zum Beispiel Personen mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium, Erzieherinnen und Erzieher sowie angehende Lehrkräfte, die bisher nur das erste Staatsexamen absolviert haben, die Zeit bis zum Beginn des Referendariates aber dadurch überbrücken, dass sie als Vertretungslehrkraft arbeiten“, so ein Pressesprecher des Ministeriums.
Moritz Becker arbeitet beispielsweise seit Ende 2018 als Sportlehrer an der Realschule in Wehr. Er ist ein sogenannter „Nichterfüller“, der nicht alle Kriterien erfüllt, die laut Kultusministerium für eine dauerhafte Anstellung notwendig sind.
Nach seinem Sportstudium in Basel ließ er sich seinen Abschluss in Deutschland als Diplom-Sportlehrer anerkennen. Für das Kultusministerium reicht das aber nicht für eine Anstellung als Sportlehrer aus. Jahr für Jahr hangelt er sich von Vertrag zu Vertrag, wie er erzählt. „Abgesehen von den finanziellen Einbußen, weil in den Sommerferien die Sozialversicherungsbeiträge allein gezahlt werden müssen: Es ist es ein irrsinniger bürokratischer Aufwand“, sagt Becker.
„Nichterfüller“ wie Becker sind auch seine Kolleginnen Sophie Deitmer, die als Muttersprachlerin Französich unterrichtet, und die staatlich geprüfte Sportlehrerin Brita Riina, deren Geschichte sie hier nachlesen können.
Immer vor Ablauf des Vertrages müssen Becker und seine Kollegen sich arbeitslos melden. Auch wenn nach den Sommerferien ein weiterer Vertrag wahrscheinlich ist, kann kein Lehrer sicher sein, dass sein Job weiter geht. Planungssicherheit? Fehlanzeige. Grotesk ist eine andere Verpflichtung: Urlaube und Reisen von Arbeitslosen müssen von der Agentur für Arbeit genehmigt werden. Das gilt auch für die arbeitslosen Lehrer in den Sommerferien. Es ist zwar nur eine Formsache, aber dennoch empfinden Betroffene dies als lästig und einige geradezu erniedrigend.
Olga Neustroeva ist die dritte Sportlehrerin, die an der Wehrer Schule als Quereinsteigerin mit Kurzzeitverträgen unterrichtet. Mittlerweile ist sie seit fünf Jahren hier, wobei ihr aktueller Vertrag eine Überraschung brachte: Er läuft nämlich ungewöhnlicherweise über zwei Jahre statt nur bis zu den nächsten Sommerferien.
„Alle Kollegen gönnen es ihr von Herzen, das ist keine Frage“, so Benita Hasselblatt, Mitglied des Waldshuter Kreisvorstands der GEW. „Aber die Gründe dafür sind völlig unklar. Es gibt keine Kriterien und keine Transparenz“, kritisiert sie.
Dies triff auch auf die ganz seltenen Fällen zu, wenn ein Vertrag eines Quereinsteigers doch einmal „entfristet“ wird. Wer davon profitiert und nach welchen Kriterien ausgewählt wird, sei völlig unklar.
Benita Hasselblatt selbst hatte im vergangenen Jahr, das Glück, dass sie nach mehreren befristeten Verträgen nun tatsächlich eine unbefristete Stelle antreten konnte.
Kultusministerin: „Wertvolle Stütze der Unterrichtsversorgung“
Für dieses Frühjahr habe das Kultusministerium angekündigt, weitere 50 Stellen im Land zu entfristen, so die Gewerkschafterin. Dies bestätigt auch die Kultusministerin: „Es gibt einige Personen, die seit einigen Jahren mit befristeten Verträgen dabei helfen, die Unterrichtsversorgung in ausgesprochenen Mangelregionen zu verbessern. Diese Personen sind eine wertvolle Stütze der Unterrichtsversorgung. Um ihnen ein faires Angebot zu machen, wollen wir ihnen eine Perspektive auf eine unbefristete Anstellung geben, wenn sie sich im Schuldienst bewähren“, so Kultusministerin Susanne Eisenmann auf Nachfrage des SÜDKURIER.
Diese Möglichkeit soll für Personen geschaffen werden, die insbesondere an sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren sowie in den Fächern Sport, Musik und Bildende Kunst unterrichten. Diese Regelung gelte aber nur, wenn absehbar ist, dass keine Bewerberinnen und Bewerber mit anerkannter Lehrbefähigung für die konkrete Stelle zur Verfügung stehen, so das Ministerium.
Für die Gewerkschaft reicht eine solch einmalige Maßnahme nicht aus. Da nicht absehbar sei, dass der Lehrermangel bald zu Ende gehe, müssten den engagierten Quereinsteigern bessere Perspektiven gegeben werden. „Wir wollen transparente Regelungen und Weiterqualifizierungsmöglichkeiten für alle Kolleginnen“, betont Hasselblatt. Die Kolleginnen müssen ihrer Meinung nach die Möglichkeit haben, durch das Ablegen einer Prüfung fest in den Schuldienst zu kommen.