Herr Dr. Jähne, was genau ist das Burnout-Syndrom?
Ein Burnout-Syndrom ist ein Folgezustand einer chronischen Überlastung und noch keine eigenständige Erkrankung. Die Betroffenen sind erschöpft, ausgelaugt beziehungsweise ausgebrannt. Wie bei einem ausgebrannten Haus steht noch die Fassade, aber dahinter ist nur Leere. Wird die Überlastung nicht rechtzeitig abgebaut, kann es zu manifesten körperlichen oder psychischen Erkrankungen kommen, die wir Ärzte dann in der Regel als Folgezustände des Burn-outs sehen. Das kann dann bei Patienten individuell sehr verschieden sein. Bluthochdruck oder Tinnitus, Schlafstörungen, Panikattacken oder eine Depression können die Folge sein.
Woran erkennt man das Burnout-Syndrom?
In erster Linie fühlen sich Betroffene körperlich überlastet, erschöpft, schlapp und energielos. Das geht einher mit emotionaler Erschöpfung und dem Gefühl ausgelaugt zu sein. Viele Betroffene können sich nicht mehr regenerieren, leiden unter Schlafstörungen. Eine verminderte Arbeitsleistung kann die Folge sein, man ist nicht mehr so kreativ, flexibel, fit, hat nicht mehr so viele neue Ideen. Konflikte mit Kollegen oder Vorgesetzten sind nicht untypisch, weil Betroffene reizbar und unleidig werden. Viele ziehen sich zurück, distanzieren sich, werden emotional gleichgültig, empfinden Sinnlosigkeit bei ihrer Arbeit und Frustration.
Gibt es eine Berufsgruppe, die besonders vom Burnout betroffen ist?
Wir gehen davon aus, dass es eine individuelle Kombination aus der Stärke der Belastungsfaktoren und der Stärke der Widerstandskraft oder Resilienz ist. Es gibt diejenigen, die eine hohe Widerstandsfähigkeit haben, da braucht es große Belastungsfaktoren, und dann gibt es andere, die weniger Widerstandskraft haben, bis die Schwelle zum Burn-out überschritten wird. In erster Linie haben viele im Kopf, dass es Manager betrifft, da diese sehr viel arbeiten, aber es kann jeden treffen. Sehr häufig sind Menschen in sozialen Berufen betroffen, die für andere da sind: Menschen im medizinischen Bereich, Polizei, Feuerwehr, Seelsorge, Sozialarbeiter oder Lehrer. Gerade jetzt in der Corona-Pandemie können auch Alleinerziehende, die in Teilzeit arbeiten und nun parallel auch fürs Home-Schooling zuständig waren, vom Burnout betroffen sein. Auch pflegende Angehörige, die einen älteren Menschen vielleicht sogar zusätzlich zu Beruf und eigener Familie versorgen, haben ebenfalls ein hohes Burnout Risiko.
Können Betroffene aus Ihrer Erfahrung heraus wieder komplett genesen?
Absolut. Je früher man handelt, desto besser. Viel findet auch im Arbeitsleben statt. Dort gibt es Vorbeugemaßnahmen, die Arbeit strukturieren und auch berechenbar machen und so die Mitarbeiter unterstützen. Sehr viel kann auch in der persönlichen Einstellung verändert werden, indem man lernt, seine eigenen sehr hohen Ansprüche an sich selbst zu überdenken und zu sehen, dass man nicht immer 120 Prozent leisten muss und kann. Hier gilt es zu überlegen, was denn passiert, wenn ich das Ziel nicht erreiche, wenn ich das Angebot nicht bis heute Abend rausschicken kann. Stressmanagement kann man lernen und ebenso, dass es im Leben andere Bereiche als Pflichterfüllung gibt.
Also ist ein Ausgleich wichtig?
Viele denken ja immer, man muss sich selbst zurücknehmen, um anderen zu helfen. Ich meine damit nicht das Helfersyndrom, sondern den sehr hohen Anspruch an sich selbst, um für andere da zu sein. Andere sparen in beruflichen Stresssituationen gerade am Sport oder am Hobby, um möglichst viel Zeit für die Arbeit zu haben. Aber das Leben ist ein Marathonlauf und kein 100-Meter Sprint. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass man selbst auch Bedürfnisse hat. Ich kann nur dann viel leisten, wenn es mir gut geht. Schöne Eindrücke und regelmäßiger Sport, Kultur und Kreativität, Entspannung, Freunde treffen, Wochenenden für die Familie sind wichtig, um Energie aufzutanken und Stress im Alltag abzubauen.
Schaffen Betroffene es auch allein aus der Krise?
Je weiter fortgeschritten das Burnout ist, desto wichtiger ist die Therapie. Ich sehe als Arzt berufsbedingt natürlich nur diejenigen, die Hilfe brauchen und nicht die, die es von allein herausschaffen, die beispielsweise einen Partner haben, der sagt, wir müssen jetzt etwas unternehmen. Bleibt der chronische Überlastungszustand dauerhaft hoch, kann er zu Folgeerkrankungen wie Depressionen führen. Hier braucht es therapeutische Hilfe. Aber ich will auch betonen, dass nicht aus jeder Arbeitsüberlastung ein Burnout entsteht, und viele finden selbst gute Möglichkeiten im Umgang mit Stress.
Was kann man präventiv unternehmen?
Es läuft oft darauf hinaus, zu erkennen, was ein Energiefresser und was ein Energiespender ist und zu lernen beides in Einklang zu bringen. Es kann hilfreich sein, sich eine selbstkritische, selbstbeobachtende Haltung zuzulegen. Was mache ich und wie geht es mir dabei? Wie hoch ist eigentlich mein Stresspegel, wo ist das Problem, was kann ich ändern? Was kann ich leisten und was nicht? Persönlich kann man darauf achten, wie der Alltag jenseits des Jobs aussieht. Was macht mein Leben jenseits der Verpflichtungen aus? Habe ich einen Freundeskreis? Habe ich Zeit für die Familie? Wo tanke ich auf? Und wie kann ich die positiven Dinge ausbauen. Es gibt auch sehr gute Selbsthilfebücher zu Themen wie Stressabbau, die neben dem besseren Umgang mit Belastungsfaktoren helfen, den intensiveren Ausgleich und die Freude an schönen Dingen wiederzuentdecken.
Fragen: Susann Duygu-D‘Souza