Sein Haus ist völlig zerstört von der Flut, unbewohnbar und einsturzgefährdet. Der Mann steht davor und kehrt mit dem Besen die verschlammte Straße – dabei war dort gar nichts mehr zum Kehren. Dies war einer der vielen emotionalen Momente, den Tobias Schneider, Kommandant der Feuerwehr St. Blasien, bei seinem Einsatz im Hochwassergebiet rund um Ahrweiler erlebt hat.

Ein älteres Ehepaar in Walportzheim sei während der Flutwelle mit ihrem Hund auf dem Flachdach ihres Anbaus gestanden, gibt Tobias Förster, Kommandant der Feuerwehr Bad Säckingen, diesen Tatsachenbericht weiter. „Sie hörten das Rauschen, sahen das Wasser, hatten sich noch an diesem Abend voneinander verabschiedet“, so Förster. Für immer.
Doch eine Woche später war Förster es, der mit einem Techniker, wegen einer defekten Gasheizung zu genau diesem Pärchen ausrückte. „Sie erzählten mir von der Angst, die sie die ganze Nacht begleitet hatte.“ Sie seien sehr froh gewesen, überlebt zu haben.
„So etwas nimmt einen schon mit.“Tobias Förster, Kommandant der Feuerwehr Bad Säckingen und Stellvertretender Kreisbrandmeister
Die beiden Feuerwehrleute waren mit vielen weiteren Einsatzkräften aus der Region im Hochwassergebiet im Einsatz und sprachen nun in einem darüber.

Förster rückte als Verbandsleiter der Führungsgruppe vom 21. bis 24. Juli aus, also eine Woche nach dem Ereignis. Schneider eine weitere Woche später im Zug Hochwasser.
Von schöner Landschaft in die totale Verwüstung
115 Feuerwehrkameraden aus mehreren Landkreisen des Regierungspräsidiums Freiburgs hatte Förster unter sich. Denn die Führung des Verbands lag bei der Einheit aus dem Landkries Waldshut.
Alle trafen sich bei der Landesfeuerwehrschule Bruchsal, um dann in Richtung Nürburgring zu fahren. Schon in Bruchsal sei klar gewesen: „Hier ist irgendwas Besonderes im Gange“, so Förster, allein schon wegen den „unvorstellbaren Dimensionen.“

Als man dann auf Tausende Einsatzkräfte im Feldlager am Nurbürgring traf, habe sich dieser Eindruck verstärkt. Nach einigen Komplikationen hätten sie ihr Nachtlager aufgeschlagen – Zelte und Feldbetten auf einem Parkplatz. Schon gleich am nächsten Morgen ging es los. „Wir fuhren durch ganz normale Landschaften und irgendwann kam ein unsichtbares Tor und dahinter war die totale Verwüstung“, beschreibt der stellvertretende Kreisbrandmeister.
Das Beeindruckendste für ihn sei der Kontakt mit den Menschen gewesen. „Von Galgenhumor, Wut bis hin zur vollkommener Verzweiflung“, beschreibt er die Emotionen vor Ort. Und dann erzählt er von dem Treffen mit dem älteren Ehepaar. Die Dame sei in Bad Säckingen in Kur gewesen, die Verbindung sei gleich da gewesen. Dieses Gespräch wird Förster wohl lange nicht vergessen.
Mit Feuerwehrarbeit hatte das nichts zu tun
Förster und der Führungszug hatten als Aufgabe, die Einheiten gezielt in den Einsatz zu schicken. „Unsere Arbeit hatte mit Feuerwehrarbeit wenig bis nichts zu tun, das erinnerte eher an humanitäre Hilfe“, so der Bad Säckinger Kommandant: Wertvolles Porzellan zusammensuchen, Keller von Schlamm befreien und verbogene Laternen entfernen zählt er auf. Die Ahralee in Ahrweiler hätten sie befahrbar machen müssen, damit sie diese von den Müllbergen befreien konnten.

Schneider und der Hochwasser-Zug waren in einer Klinik direkt an der Ahr eingesetzt, deren Unter- und Erdgeschoss komplett zerstört waren. Sie hätten Gefahrenstoffe aus dem Gebäude gebracht, Schlamm aus dem Keller gepumpt, das Öl-Wassergemisch ausgesaugt und waren mit dem Tanklöschfahrzeug vor Ort, um den Staub auf den Straßen zu binden.
Auch Ansprechpartner für die Bevölkerung seien die Einsatzkräfte mit Blaulicht gewesen und so kam es, dass sie unter anderem bei einem kollabierten Lkw-Fahrer Erste Hilfe leisteten.
Verwesende Fische im modrigen Schlamm
„Das Ausmaße der Zerstörung bleibt im Kopf und ist unbeschreiblich“, so Tobias Schneider. Ein Mann habe ihm gesagt, er bekäme ja Geld und Spenden, doch was solle er damit, er habe ja nicht einmal einen Geldbeutel. Schneider erzählt auch von Todesängsten.

Alle beide beschreiben sie die Gerüche. „Da hat man sich erinnert an modrige Keller, bis zu Öl, verwesende Fische, Schlamm“, so Schneider. Hinzu kamen die schlechten hygienischen Zustände. „Überall standen Toitois, die überlaufen sind, da bestand Seuchengefahr“, erzählt Förster.
Einsatzkräfte erfuhren von Vermissten
Die Einsatzleitung war an einem Straßenzug in Ahrweiler stationiert und habe dort ihr Vesper mit den Bewohnern geteilt, wie Förster erzählt. Nebenan in einem Haus sei eine Frau aus dem Untergeschoss vermisst worden. „Die Fensterfront war rausgebrochen samt der Bewohnerin“, so die Erzählungen, die Förster widergibt. Doch das Einsatzteam habe selbst keine Leichen vorgefunden. Auch beim Einsatz von Schneider und seinem Team seien zwei Wochen nach dem Ereignis noch 50 Menschen vermisst worden. Allein schon deshalb habe man keine Einsatzkräfte unter 21 Jahren und nur psychisch Gefestigte mitgenommen.
„Denn man hätte jeden Moment auf menschliche Leichen treffen können.“Tobias Schneider, Kommandant der Feuerwehr St. Blasien
Doch dies kam nicht vor. Drei Tage Einsatz zehrte jedoch auch an den körperlichen Kräften. „Wir waren körperlich am Ende“, erzählt Schneider.
Abends die Einsätze gemeinsam verarbeitet
All das mache etwas mit den Einsatzkräften, vor allem emotional. Der Landkreis Waldshut biete deshalb das Einsatznachsorgeteam für Einsatzkräfte (ENT), das nach der Rückkehr Gespräche anbietet, wie Andreas Sütterlin vom Amt für Brand- und Katastrophenschutz des Landratsamtes informiert.

„Hier können wir unter vier Augen erkennen, ob die Belastung Überhand nimmt“, so Sütterlin.
Für Förster und sein Team sei die abendliche Rückkehr an den Nürburgring positiv gewesen. Dort habe man gemeinsam das Erlebte besprochen. „Das war ganz wichtig, damit die Leute mit erleichterndem Rucksack wieder zurück nach Hause gehen.“
Menschen konnten sich nicht vorbereiten
Für die Einsatzkräfte aus der betroffenen Region sei die Situation noch wesentlich schlimmer. Sie hätten weiter gearbeitet, obwohl sie alles verloren hätten, erzählt Förster. Und die Menschen dort hätten sich nicht vorbereiten können, sagt Schneider.

„Das war keine klassische Hochwasserlage, das war ein Starkregenereignis, bei dem die kleinen Bäche zum Problem wurden – das war unberechenbar“, so Sütterlin. Das Wasser sei innerhalb von Sekunden angestiegen und mit ihm die Angst, so Förster. Einer habe gesagt: „Hätten Sie uns davor gewarnt, wer hätte das geglaubt?“, so Förster.
Erkenntnisse für die Heimat
Tobias Schneider nehme von dem Einsatz Erkenntnisse mit nach Hause, etwa dass auch in St. Blasien die Einsatzpläne für zukünftige Hochwasserlagen optimiert werden müssen.
Und: Dass die Bürger davor gewarnt werden, nicht ihre Autos in der Tiefgarage zu retten, sondern zuallererst auf ihr eigenes Leben zu achten. Sütterlin könne sich vorstellen, dass neben den Warnmitteln wie dem modularen Warnsystem und der NINA-App künftig auch die Sirenen wieder mehr in den Fokus rücken.
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