Unternehmen, die heute nicht an morgen denken, sind übermorgen vielleicht schon Geschichte. Eine Firma, die auf dem Feld der Innovation nicht stehen bleiben will, ist der Energiedienst (ED). Der örtliche Energieversorger betreibt hierzulande mehrere Großwasserkraftwerke, das E-Netz in der Region und testet seit zwei Jahren den möglicherweise kommenden Energieträger Wasserstoff.
Im Dezember 2019 hat ED direkt neben dem Wasserkraftwerk in Grenzach-Wyhlen eine Power-to-Gas-Anlage in Betrieb genommen. Wasserstoff, das ist derzeit das Zauberwort in der Energiebranche – zumal grüner Wasserstoff, den ED herstellt. Mit dem in der Region einzigartigen Projekt tastet sich das Unternehmen gewissermaßen in die grüne Zukunft.
Dass die Pilot-Anlage seit einigen Monaten stillsteht, begründen die Experten von ED mit Kinderkrankheiten. Dass die Wasserstoffstrategie von ED weiter auf Expansion steht, berührt das offenbar nicht.

Wasserstoff – das Gas der Energiewende?
Denn der Versorger plant konkrete nächste Schritte: Direkt neben die bestehende Anlage, die in den nächsten Tagen wieder in Betrieb gehen soll, wird eine neue, wesentliche größere Power-to-Gas-Anlage gebaut. Auch sie wird mit dem Strom aus ED-Wasserkraft grünen Wasserstoff herstellen.
Während schon der Pilot eine ganz ordentliche Leistung von einem Megawatt hatte, ist die neue Anlage auf fünf Megawatt ausgelegt, berichtet Alain Bregy, Programm-Manager Wasserstoff in der Energiedienst-Gruppe, im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Das wäre dann nicht nur die größte Anlage in unserer Region sein. Wenn die Maschinen laufen, wird der Standort Grenzach-Wyhlen die größte Produktionskapazität für grünen Wasserstoff in ganz Süddeutschland haben, ordnet Andre Büssers von der Unternehmenskommunikation die Bedeutung der Anlage ein.
Das Unternehmen sieht zwei Jahre nach Inbetriebnahme des Pilots in der Herstellung von grünem Wasserstoff durchaus ein Geschäftsfeld für die Zukunft – das im Moment aber durchaus noch der Förderung bedürfe, wie Alain Bregy hinzufügt. „Denn letztlich steckt die Technik noch in den Kinderschuhen“, sagt er. Gleichwohl glaubt man bei ED an das Potenzial der Wasserstoff-Technik, sonst würde in Grenzach-Wyhlen nicht für rund 20 Millionen Euro in eine 5-Megawatt-Anlage investiert. 7,5 Millionen gibt das Land Baden-Württemberg als Förderung dazu.
Gibt es Planungen für weitere Wasserstoff-Projekte?
Beim Wasserkraftwerk in Wyhlen seien die Kapazitäten mit dieser Erweiterung ausgereizt, meint Bregy. Allerdings gebe es Überlegungen für andere hauseigene Kraftwerksstandorte wie etwa in Laufenburg.
Wann strömt grüner Wasserstoff?
Bis aus der geplanten Anlage der erste grüne Wasserstoff gezapft werden kann, vergeht noch einige Zeit. Derzeit läuft bei der Gemeinde Grenzach-Wyhlen das Bebauungsplanverfahren, anschließend wird der Bauantrag beim Regierungspräsidium Freiburg gestellt. Andreas Bittner, externer Genehmigungsfachmann von EnBW, geht davon aus, dass nach erfolgreichem Abschluss der Verfahren im Frühjahr 2023 der Spatenstich erfolgen kann.

Nach der Bauzeit von etwas mehr als einem Jahr ist der Testbetrieb ab Mitte 2024 geplant. Anfang 2025 soll der Dauerbetrieb beginnen. Die EnBW Energie Baden-Württemberg ist Mutter der ED Holding AG und unterstützt das Projekt.
Wofür kann Wasserstoff eigentlich verwendet werden?
Grüner Wasserstoff wird von Experten als einer der wichtigen Bausteine der Energiewende betrachtet. Die Industrie, die für bestimmte Verfahren Wasserstoff einsetzt, sei laut Alain Bregy ein Abnehmer, wie auch die künftige Entwicklung der Mobilität. Hier seien Brennstoffzellen aber vor allem im Schwerlastverkehr sinnvoll.
Bregy nennt ein Beispiel: Zurzeit fahren in einem Langzeitpraxistest 50 Lastkraftwagen in der Schweiz. Nach den bisherigen Erfahrungen solle auf 1500 aufgerüstet werden, berichtet Alain Bregy. Das Problem: Es fehle an ausreichend grünem Wasserstoff. Dies zeige den wachsenden Bedarf.
Nur: Derzeit sei die Herstellung von Wasserstoff durch Strom angesichts der Energiepreise keine wirtschaftliche Geschichte, schränkt er ein. Der Strommarkt habe Zeiten gesehen mit einem Preis von 20 Euro pro Megawattstunde – „jetzt ist der Preis 20 Mal höher“, sagt Bregy. Aber auch das werde sich wieder regulieren, ist er sich sicher.
Was kann man sich unter eine 5-MW-Anlage vorstellen?
Die Wasserstoff-Experten der ED haben eine Faustregel parat: Eine Power-to-Gas-Anlage mit einem Megawatt könne pro Stunde 18 Kilogramm Wasserstoff erzeugen. Bei Dauerbetrieb sind das am Tag 432 Kilogramm. Zum Vergleich: Ein Lkw (28 Tonnen) schafft mit 31 Kilogramm Wasserstoff 400 Kilometer Reichweite.
Das bedeutet: Ein 1-MW-Elektrolyseur produziert am Tag umgerechnet 5760 Wasserstoff-Lkw-Kilometer. Bei einer 5-MW-Anlagen werden es 2160 Kilogramm am Tag oder 28.800 Co2-freie Lkw-Kilometer. Die Jahresproduktion läge über 780 Tonnen Wasserstoff.
Grenzach-Wyhlen als Blaupause fürs ganze Land
Gleichzeitig hat das Projekt in Wyhlen auch einen Forschungsaspekt in Kooperation mit dem Zentrum für Sonnenenergie und Wasserstoff (ZSW) Stuttgart.
Angedockt an die bestehende Anlage ist nämlich eine weitere, kleinere mit 300 KW. Sie wird betrieben vom ZSW. Das ZSW ist eine gemeinnützige Stiftung, gegründet vom Land Baden-Württemberg mit den Universitäten Stuttgart und Ulm, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und mehreren Unternehmen wie Daimler und Bosch. Durch die direkte Nachbarschaft der beiden Anlagen ergaben sich erhebliche Synergien.
Die Erkenntnisse aus Wyhlen haben der ZSW geholfen, auf dem eigenen Areal in Stuttgart einen Wasserstoff-Elektrolyseur mit einer Leistung von einem MW in Betrieb zu nehmen. Zusammen mit einem Partner aus der Industrie will ZSW in zwei Jahren damit in Serie gehen und entlang der Schwäbischen Alb bis zu 80 solcher Anlagen installieren – Technologie aus Grenzach-Wyhlen fürs Schwabenland.