Mehr als 100.000 Erkrankte, an die 1500 Tote – all das allein in Deutschland. Die Corona-Pandemie hat das Land im Griff, und das geht seit Wochen mit massiven Einschnitten der persönlichen Freiheiten einher, um eine Eskalation der Lage zu vermeiden. Und dennoch: Sich an die Vorgaben zu halten scheint vielen Menschen weiterhin ungemein schwer zu fallen. Mehr noch: Noch immer halten sich die Stimmen derjenigen hartnäckig, die die von Covid-19 ausgehende Gewahr rundheraus anzweifeln.

„Corona ist für viele als Gefahr noch nicht greifbar“

Der Ärztliche Direktor der Oberberg Frachklinik Rhein-Jura in Bad Säckingen, Dr. Andreas Jähne, hat für all diese Tendenzen eine relativ einfache Erklärung: „Wir sind es als Gesellschaft einfach nicht mehr gewohnt, mit Gefahren umzugehen.“ Im Gegensatz zur Generation unserer Großeltern sind den meisten Mitteleuropäern Krieg, Vertreibung und Flucht erspart geblieben. „Wir haben uns derart an Frieden und Sorglosigkeit gewöhnt, dass wir nicht mehr in der Lage sind, Gefahren zu erkennen und uns entsprechend zu verhalten.“

Das gelte um so mehr in der aktuellen Situation, wo die Gefahr von einer Krankheit ausgehe – also von etwas zunächst Unsichtbarem: „Corona ist nach wie vor für viele Menschen als Gefahr nicht greifbar und wird daher völlig unterschätzt“, so Jähne. Und daher werden die oftmals simplen Maßnahmen, mit denen sich die unkontrollierte Ausbreitung des Virus‘ verhindern ließen, als reine Gängelung und Beschränkung der persönlichen Freiheit wahrgenommen.

„Egoismus kann tödlich sein“

„In unserer Gesellschaft, in der persönliche Freiheit das Maß aller Dinge ist, scheint es schwer vorstellbar, dass es schädlich sein kann, diese Freiheiten auszuleben“, schildert Jähne. „Aber man muss es so hart sagen: In diesem Fall gilt die Devise, dass Egoismus töten kann.“

Und genau das sei wahrscheinlich für viele Corona-Leugner oder -Ignoranten der Punkt, an dem sie ihre Zweifel festmachen: „Wir sind es nicht mehr gewöhnt, dass wir auf die Schwächsten in unserer Gesellschaft achten müssen und durch Fehlverhalten großen Schaden anrichten können.“ Aber genau das sei eben die harte Realität.

Andreas Jähne ist seit 2015 der ärztliche Direktor der Oberberg-Fachklinik Rhein-Jura.
Andreas Jähne ist seit 2015 der ärztliche Direktor der Oberberg-Fachklinik Rhein-Jura. | Bild: Eschbach, Susanne

In diesem Sinne sei es ein vergleichsweise kleiner Einschnitt in das eigene Leben, wenn man sich an die aktuelle Etiquette halte, persönliche Treffen mit Freunden vermeide und Abstandsgebote zu Menschen außerhalb des eigenen Haushalts einhalte: „Jeder sollte sich vor Augen führen, dass man durch Fehlverhalten seine Eltern, seine Nachbarn und seine Mitmenschen gefährdet. Das ist nicht etwas, was nur Menschen am anderen Ende der Welt betrifft.“

„Seien Sie ehrlich: Wie schlimm wäre eine Ausgangssperre tatsächlich?“

Und falls es doch zum Äußersten kommt und eine Ausgangssperre für alle verhängt wird? „Das ist alles kein Grund, um in Panik zu geraten“, betont Andreas Jähne. Denn selbst in den Ländern, in denen die Ausgangssperre bereits gelte, dürften Menschen immer noch ins Freie, um zur Arbeit zu gehen oder Besorgungen zu erledigen: „Ausgangssperre bedeutet ja nicht, dass die Türe von außen verriegelt wird.“

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Abgesehen davon müsse sich auch jeder ehrlich vor Augen führen, wie schlimm eine Ausgangssperre tatsächlich für ihn persönlich wäre: „Viele Menschen verbringen ihre Freizeit doch ohnehin in irgendeiner Form in den eigenen vier Wänden mit Streamingdiensten, Smartphone oder anderen technischen Gerätschaften.“

Insofern gebe es genügend Mittel, sich in einer Quarantäne-Situation zu beschäftigen, ohne dass einem zwangsläufig die Decke auf den Kopf fällt, ist Jähne überzeugt.

Auf jeden Fall wäre es völlig verkehrt, die Zeit damit zu verbringen, sich alle möglichen Horrorszenarien auszumalen oder in Existenzängste auszubrechen. „Es ist sicher richtig, dass in der jetzigen Zeit viel Verunsicherung herrscht, und es auf viele Fragen noch keine Antworten gibt.“

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Aber er könne nur jedem raten, die Zeit, in der man sich eben nicht mit anderen Menschen treffen sollte, möglichst sinnvoll zu nutzen: „Seien Sie möglichst aktiv, betrachten Sie die Situation auch als Chance, sich auch mal Zeit für sich selbst zu nehmen.“

Und im Übrigen gebe es ja auch eine Vielzahl von Möglichkeiten, um mit seinen Verwandten und Freunden in Kontakt zu bleiben: „Skypen und Telefonieren sind doch ganz praktische Mittel.“

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„Ausgangsbeschränkungen sind wie Zähneputzen“

Eine Ausgangssperre sei nicht das Ende der Welt. „Man muss sich einfach den Zweck des Ganzen vor Augen führen.“

In dieser Hinsicht seien die gegenwärtigen Beschränkungen wie Zähneputzen: „Es macht nicht wirklich Spaß, aber es ist sinnvoll.“ Und im Fall von Corona sei es nicht nur sinnvoll, sondern überlebensnotwendig, sich an derartige Vorgaben zu halten. Das Leben sei nicht beendet, nur weil man eine Zeit lang nicht in ein Café sitzen dürfe.

Und selbst wenn es hart auf hart komme: Jede Quarantäne und jede Ausgangssperre habe irgendwann auch wieder ein Ende.

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„Gemeinschaft kann profitieren“

Dass mit Corona und all den Begleiterscheinungen eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung einhergehen werde, sei aus Jähnes Sicht ein klarer Fall. „Auch die aktuelle Situation bietet Chancen für das Miteinander, und es gibt schon schöne Beispiele wie dies genutzt werden kann.“

Dass Menschen für andere einkaufen gehen, sei dabei nur ein Beispiel. „Es zeigt sich, dass man für sich bleiben und trotzdem etwas für andere tun kann.“ Das sei zugleich etwas, das viele Menschen ein Stück weit verlernt haben. Dass solche Werte in einer Krisensituation wiederentdeckt werden, davon könne eine Gemeinschaft am Ende sehr profitieren, ist sich Andreas Jähne sicher.