Als er frisch gewaschen und desinfiziert in mentholfarbenem Aufzug mit Haarnetz und Mundschutz durch die Türe in den Operationssaal tritt, sagt die bereits operierende Chefärztin Tamara Hesselmann: „Den Tisch etwas höher fahren bitte.“ Peter Bahr ist seit Anfang des Jahres Assistenzarzt im Klinikum Hochrhein und 2,12 Meter groß. SÜDKURIER-Reporter Nico Talenta hat ihn einen Tag lang auf seiner Arbeit begleitet.

SÜDKURIER-Reporter Nico Talenta (links) und Assistenzarzt Peter Bahr.
SÜDKURIER-Reporter Nico Talenta (links) und Assistenzarzt Peter Bahr. | Bild: Nico Talenta

Handwerk im Operationssaal

Über ein kleines Radio in der hinteren Ecke des Raumes ertönt leise das Lied „Mamma Mia“ der Kultband Abba, während die Ärzte mitten in einer Kniegelenkoperation stecken. Bahr findet sich schnell ein und beginnt der Chefärztin und dem Oberarzt zu assistieren.

Die Chirurgen tragen Schutzbrillen, während sie so lange sägen, bohren und hämmern, bis alles perfekt passt – die ganze Situation erinnert schon an Handwerker auf einer Baustelle. Bahr spricht vom optimalen Trio: „Eine leitende Chefärztin, ein lernender Oberarzt und ein noch viel mehr lernender Assistenzarzt.“

Die Säge kommt zum Einsatz Video: Nico Talenta

Peter Bahr ist nicht der einzige Assistent im OP-Saal. Auch Rosa, ein spezialisierter Roboter, hilft mit. Mit ihr kann Chefärztin Tamara Hesselmann das Knie genaustens vermessen und zurechtsägen. Wichtig dabei ist: Der Roboter operiert nicht. Alle ausführenden Handlungen an der Patientin macht die Expertin selbst.

Die wichtigste Zeit während der OP

Auf einmal muss es schnell gehen: Eine OP-Pflegerin stellt eine Stoppuhr. Hesselmann erkundigt sich fast minütlich nach der Zeit, während sie das künstliche Kniegelenk mit einer Art Creme einschlägt, das von der Konsistenz und Farbe etwas an Zahnpasta erinnert. „Die Zementzeit ist die Wichtigste während der ganzen Operation“, sagt sie. Fünf bis maximal sechs Minuten bleiben ihr, um alles an die richtige Stelle zu bringen – danach ist das Verbindungsmittel ausgehärtet.

Das Röntgenbild des Knies mit neuer Prothese nach der Operation.
Das Röntgenbild des Knies mit neuer Prothese nach der Operation. | Bild: Nico Talenta

Schon während die Ärzte die Wunde am Bein der Patientin zunähen, bestellt eine OP-Pflegerin den nächsten Patienten. Abschließend röntgt Hesselmann das Knie. Kaum ist die erste Patientin dann am Aufwachen und der OP-Saal gereinigt, fahren Helfer einen durch die Narkose bereits tief schlafenden Mann herein. Die nächste Knieprothese steht an.

Um abschließen nachzusehen, dass alles am richtigen Ort sitzt, röntgen die Ärzte das operierte Knie.
Um abschließen nachzusehen, dass alles am richtigen Ort sitzt, röntgen die Ärzte das operierte Knie. | Bild: Nico Talenta

Medizinstudium in Litauen

Für Peter Bahr war nach dem Abitur zunächst unklar, was er in seinem Berufsleben mal machen möchte. Zunächst entschied sich der heute 30-Jährige deshalb dazu, mit seiner damaligen Freundin ein Jahr nach Ostafrika zu reisen, um dort „eine Art Pflegepraktikum“ zu machen. Erst während dieser Reis entschied er sich, nach dem freiwilligen Jahr ein Medizinstudium anzufangen.

Peter Bahr, Assistenzarzt im Klinikum Hochrhein.
Peter Bahr, Assistenzarzt im Klinikum Hochrhein. | Bild: Nico Talenta

Für seine damalige Freundin hingegen sei schon immer klar gewesen, dass sie in Lettland ein Medizinstudium anfangen möchte. Weil die Bewerbungsfrist dort allerdings bereits verstrichen waren, entschied sich Bahr dazu, im Nachbarland Litauen anzufangen zu studieren. Er lernte Litauisch und studierte auf Englisch. Im Jahr 2018, noch während seines Studiums, flog er für zwei Monate in den Libanon, um dort in der hausärztlichen Akutversorgung Erfahrungen zu sammeln.

Im Operationssaal bekommt Peter Bahr Gummihandschuhe übergezogen.
Im Operationssaal bekommt Peter Bahr Gummihandschuhe übergezogen. | Bild: Nico Talenta

Prägende Auslandseinsätze

„Es ist ein instabiles Land mit Millionen Flüchtlingen. Die Menschen dort sind unglaublich stolz, gebildet und wahnsinnig zäh“, berichtet der 30-Jährige. Als Mediziner sei er auch unter Radikalen geduldet gewesen: „Weil ich ihre Kinder versorgt habe, ansonsten hätten sie mich, glaube ich, gerne einen Kopf kürzer gemacht.“ Als dann ein paar Jahre später der Krieg in der Ukraine ausbrach, zog es ihn nach seinem Studium im Sommer 2023 zusammen mit einem Notarzt aus Villingen-Schwenningen zur medizinischen Versorgungskette an die Front.

Vor dem Betreten des OP-Saals wäscht sich Assistenzarzt Peter Bahr gründlich.
Vor dem Betreten des OP-Saals wäscht sich Assistenzarzt Peter Bahr gründlich. | Bild: Nico Talenta

Seit Januar 2024 ist Peter Bahr jetzt als Assistenzarzt im Klinikum Hochrhein. Wie er hier in die Region kam? Seine Mutter wohnt nicht weit von Waldshut-Tiengen. Außerdem sei es sinnvoll, „seinen Facharzt an einem kleineren Klinikum zu starten“, erklärt Bahr. So ließen sich mehr praktische Erfahrungen sammeln.

Neben ärztlichen Aufgaben wartet viel Organisation

Wenn der 30-Jährige nicht gerade mit Chefärztin Tamara Hesselmann im Operationssaal steht, wartet genug Arbeit auf der Station auf ihn. Er und seine Kollegen kümmern sich dort um die ärztliche Betreuung der Patienten vor und nach den Operationen. Hinzu kommen organisatorische Aufgaben. Beispielsweise die Frage, wie die Patienten nach Hause kommen und wie sie dort weiter versorgt werden. „Das sind alles Dinge, die einen sehr beschäftigt halten.“

Eines der Instrumente im OP, das unter anderem die Herzfrequenz des schlafenden Patienten angibt.
Eines der Instrumente im OP, das unter anderem die Herzfrequenz des schlafenden Patienten angibt. | Bild: Nico Talenta

Und trotzdem: Den freundlichen Mann mit seiner beruhigend tiefen Stimme kann so schnell nichts aus der Ruhe bringen. „Durch die Kriegsaufenthalte und zehn Jahre Ausland bin ich recht stressresistent“, schätzt sich Bahr selbst ein und fügt an, „Job ist Job.“ Er schleppe auch keine Erlebnisse mit sich herum, die seine Psyche belasten würden.

Auf die Frage nach Hobbys gesteht sich der Assistenzarzt aber schmunzelnd ein: „Das ist eine traurige Sache.“ Das Leben richte sich primär nach der Arbeit, die die Flexibilität voraussetze, Überstunden aufzunehmen. Aktiv in einem Verein mitwirken, das gehe, wenn überhaupt, nur abends und auch nur dann, wenn der Feierabend garantiert sei. Bahr selbst trainiert in seiner Freizeit gerne im Fitness-Studio. „Am liebsten würde ich sechsmal die Woche pumpen gehen.“

Assistenzarzt Peter Bahr arbeitet konzentriert an einer Knieprothesen-Operation mit.
Assistenzarzt Peter Bahr arbeitet konzentriert an einer Knieprothesen-Operation mit. | Bild: Nico Talenta

In der Ambulanz wegen einer Blase am Fuß

Auch in der chirurgischen Ambulanz kommt Peter Bahr zum Einsatz. Hier behandelt er verletzte Patienten aller Schweregrade, die (noch) nicht stationär aufgenommen wurden. Der erste Patient am heutigen Tag kommt eigentlich aus Nordrhein-Westfalen, wurde wegen einer offenen Blase am Fuß während seines Wander-Urlaubs aber an das Klinikum Hochrhein verwiesen.

„Normalerweise würde ich deswegen nicht in ein Krankenhaus gehen, aber da ich bei einem Hausarzt, den ich hier aufgesucht habe, aus Kapazitätsgründen abgewiesen wurde und die 116 117 mich in Baden-Württemberg nach eigener Aussage nicht an einen Hausarzt weitervermitteln darf, bin ich hier gelandet“, erklärt er seine Geschichte.

Peter Bahr erklärt einem Patienten, wie er seine Wunde am besten versorgt.
Peter Bahr erklärt einem Patienten, wie er seine Wunde am besten versorgt. | Bild: Nico Talenta

Ein großes Problem in deutschlands medizinischer Versorgung ist die fehlende Digitalisierung, weiß auch Bahr. Durch das Studium in Litauen und mehreren Aufenthalten in England könne der 30-Jährige die medizinische Versorgung der einzelnen Länder gut miteinander vergleichen und kenne sich damit aus, was wo gut laufe und was nicht.

In der chirurgischen Ambulanz im Klinikum Hochrhein sitzt Peter Bahr am Computer und tippt per Hand die Angaben des Patienten in das System ein – eine potenzielle Fehlerquelle. „Nicht jeder Patient kann genau angeben, welche Medikamente er nimmt und wie viel davon. So entstehen ganz leicht Fehler. Warum sind solche Daten nicht auf der Versichertenkarte gespeichert?“ Eine rhetorische Frage des Arztes. Die Antwort liegt auf der Hand: Datenschutz.

Peter Bahr nimmt die Beschwerden eines Patienten in der chirurgischen Ambulanz auf.
Peter Bahr nimmt die Beschwerden eines Patienten in der chirurgischen Ambulanz auf. | Bild: Nico Talenta

Der Wunsch nach einem EU-weiten Patientenmanagement

Wichtig ist ihm, zu betonen, dass die Umstände nicht am Klinikum Hochrhein liegen, sondern am Gesetzgeber. Im komplett digitalisierten Litauen gebe es ein System für das gesamte Land, hier gebe es verschiedene. „Das führt dazu, dass ich beispielsweise einen Patienten, der in Freiburg schon geröntgt wurde und dann zu uns kommt, nochmal röntgen muss.“

So entstünden enorme Kosten, während Kapazitäten gleichzeitig besser genutzt werden könnten. „Das ist echt frustrierend und ein Grund dafür, dass der Beruf manchmal nicht so richtig Spaß macht. Eigentlich will man ja Menschen helfen und nicht die ganze Zeit Papierkram erledigen“, fasst Assistenzarzt Peter Bahr zusammen. Für die Zukunft wünscht er sich ein EU-weites Patientenmanagement. „Dann hätten Ärzte wieder mehr Zeit für ihre Patienten.“

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