An ihren ersten Igel kann sich Karin Hohn noch gut erinnern. Acht Jahre alt war sie, als ihre Familie einem kleinen, stacheligen Kerl über den Winter Unterschlupf bot. „Aus heutiger Sicht haben wir damals alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann“, sagt sie und lacht. „Aber er hat überlebt.“
Die Liebe zu Igeln ist bis heute geblieben. Längst ist Karin Hohns Zuhause nicht nur Winterquartier für Igel: Sie kümmert sich als Mitglied des Vereins Igelherz Villingen-Schwenningen ganzjährig um die Tiere und beherbergt auf ihrem Grundstück in Durchhausen die Igelstation des Vereins. „Achtung, Igel! Langsam fahren“ steht auf einem Schild vor dem Grundstück.

„Hier bin ich!“, ruft es aus dem weißen Überseecontainer am Rand des Gartens. Karin Hohn steht in der Tür. Graue Jeans, türkisfarbenes Shirt, langer geflochtener Zopf, damit die Haare bei der Arbeit nicht stören.
Mehr als 300 Tiere im Jahr
Und Arbeit hat sie genug: Bis zu acht Stunden am Tag verbringt die 62-Jährige mit der Pflege der Igel, die entweder zu ihr in die Station gebracht werden oder die sie irgendwo abholt. 379 Tiere waren es im Jahr 2024. Teilweise werden die Tiere von weit her gebracht, bis aus Freudenstadt und Esslingen bei Stuttgart.
Bis vor einigen Jahren hat sich Karin Hohn vorwiegend um Auswilderungen gekümmert und Igel aufgepäppelt. Dann gab ihre Vorgängerin die Igelstation irgendwann auf und zog zurück in ihre Heimat, die Schweiz – und der Verein stand vor der Frage, wo die Igelstation künftig betrieben werden könnte.
Karin Hohn überlegte nicht lange – und schaffte auf eigene Kosten den Container an, der seitdem in ihrem Garten steht. Für das Interieur, Medikamente, Verbandmaterial und Futter kommt der Verein auf.
Viele Igel kommen mit Bisswunden
Was sie in letzter Zeit besonders beschäftigt: Viele Igel kamen zuletzt mit schweren Hundebissverletzungen zu ihr. Sieben bisher allein in diesem Jahr. Aber rollen sich Igel nicht ein, sobald Gefahr droht? Und sind sie nicht vor allem nachtaktiv?
Begegnung kann tödlich enden
Die Antwort müsste korrekterweise heißen: Jein. „Treffen Hunde und Igel aufeinander, kann das für den Igel tödliche Folgen haben. Manche Hunde beißen selbst dann heftig zu, wenn der Igel sich als Kugel zusammengerollt hat und seine Stacheln sie verletzen“, schreibt etwa der Naturschutzbund auf seiner Webseite (Nabu).
Hundehalter sollten deshalb vermeiden, dass sich Hund und Igel zu nahe kommen. Und: „Lassen Sie Ihren Hund abends und nachts nicht unbeaufsichtigt in den Garten, wenn Sie wissen, dass bei ihnen ein Igel unterwegs ist.“
Tagaktive Tiere sind meistens krank
Meistens treffe es diejenigen Tiere, die ohnehin schon angeschlagen seien, sagt Karin Hohn. Sie rollen sich nicht ein, sind schlaff und apathisch und damit ein leichtes Opfer.
Für Mähroboter zum Beispiel, aber auch für Füchse und Hunde. Eigentlich sind Igel nachtaktiv. Einzige Ausnahme: In den Monaten Juni bis August, wenn ihre Babys zur Welt kommen, sind die Igelmütter auch tagsüber auf Nahrungssuche.
Perdita ist so ein Fall aus der Reihe Bisswunden: Das Igelweibchen hat rechts und links zwei symmetrisch klaffende Wunden an den Schläfen. Außerdem wurde ihr ein Auge ausgebissen. Der Glaskörper ist unwiederbringlich zerstört. Seit zwei Wochen wird sie in der Igelstation gepflegt.

Karin Hohn ärgert sich, dass Tiere, die ganz offensichtlich von Hunden verletzt wurden, nicht vo den Hundebesitzern aufgesammelt werden. Woran das liegt? „Ich vermute, manche haben Angst, dass ihnen eine Strafe droht, weil Igel unter Naturschutz stehen. Manche fürchten vielleicht auch, dass sie den Tierarzt bezahlen müssen.“
Insektenschwund lässt Igel hungern
Was Karin Hohn ebenfalls Sorge bereitet: Immer häufiger treffe man unterernährte Igel an. Durch den drastischen Insektenschwund finden sie immer weniger Futter – ein Beispiel für die Fragilität des Ökosystems. Gerät ein Teil aus dem Gleichgewicht, kommt auch anderes ins Wanken.

Schon im Jahr 2018 kam die Universität Sydney zu dem Schluss, dass die Population bei 41 Prozent aller Insektenarten weltweit zurückgeht und dass ein Drittel aller Arten vom Aussterben bedroht ist.
Schnecken als Krankheitsüberträger
Als Insektenfresser sind Igel auf ein ausreichend großes Nahrungsangebot angewiesen – Käfer, Larven und Ohrwürmer beispielsweise. „Wenn sie die nicht mehr finden, fressen sie verstärkt Schnecken und Würmer, die aber wiederum Innenparasiten übertragen“, erklärt Karin Hohn.
Viele der Tiere, die bei ihr landen, weisen den genannten Hungerknick auf: Eine Einbuchtung hinter dem Kopf, wo sich normalerweise Fettdepots befinden sollten.
Igelmädchen Sarah ist so ein Fall. Sie wurde vor wenigen Tagen von Kindern der Villinger Goldenbühlschule gerettet. Karin Hohn vermutet, dass Sarah schon untergewichtig in den Winterschlaf gestartet ist.

Der nächste Patient wird gebracht
Während sie Sarah vorsichtig in die Waage setzt – 370 Gramm wiegt das Tierchen – klopft es an der Containertür. Eine Frau aus dem Ort bringt einen Igel: Sie hat ihn in einem Kellerschacht entdeckt. Offenbar hat er verzweifelt versucht, sich zu befreien, sagt Karin Hohn nach einem Blick auf die abgeschabten Krallen und die lädierten Füßchen.
Der kleine Kerl bekommt den Namen Leo. Ein Leichtgewicht mit gerade einmal 329 Gramm. Karin Hohn wird ihn erst einmal mit einer Infusion versorgen: Flüssigkeit und Nährstoffe. Dann gibt es Futterbrei aus einer Spritze.
Leo braucht einen Moment, bis er versteht, was dieses Plastikding vor seiner Nase soll, dann schlabbert er gierig. Karin Hohn hofft, dass er durchkommt. Wenn es ihm schlechter gehen sollte, wird ein Besuch beim Tierarzt fällig.
Auch Karin Hohn ist mit den Igeln regelmäßig beim Tierarzt, meist in der Praxis von Ewa Huber im nahegelegenen Trossingen. Nicht immer sei es für Igelstationen einfach, Tierärzte zu finden, die bereit sind, sich um die Wildtiere zu kümmern. Die meisten haben mit Heimtieren genug zu tun. Außerdem gelten Igel als schwierige Patienten: Wenn sie sich nicht richtig aufrollen, kann man sie kaum untersuchen.
Außerdem ist ihr Stachelkleid eine Art Fünf-Sterne-Hotel für Ungeziefer wie Zecken oder Flöhe. Karin Hohn ist froh, dass es in der Region gut funktioniert und sie sich mit den Igeln an alle Praxen wenden kann.

Von den 379 Igeln aus dem Jahr 2024 sind 85 gestorben. 33 mussten eingeschläfert werden, weil für sie jede Hilfe zu spät kam. Dabei würden schon einfache Maßnahmen den Tieren sehr helfen, sagt Karin Hohn.
Etwa, indem man Kellerschächte abdeckt, damit sie nicht zur tödlichen Falle werden. Auch im Frühjahr nicht zu stark zurückgeschnittene Hecken und Sträucher sind hilfreich: Oft landen in der Igelstation von Heckenscheren aus dem Winterschlaf gerissene Tiere, manche mit regelrecht abrasierten Stacheln und Verletzungen an der Stachelhaut.

Wer Igel im Garten hat und ihnen etwas Gutes tun will, sollte sie füttern und ihnen außerdem Unterschlupfmöglichkeiten bieten: Laub – und Reisighaufen liegen lassen oder ein Igelhaus aufstellen.