Leni Burger ist sieben Jahre alt. Sie spielt Fußball beim SV Rietheim, tanzt begeistert bei den Villinger Mini-Glonkinchen mit und geht seit September 2024 in die erste Klasse. Dass Leni die Marbacher Grundschule besucht, ist dabei alles andere als selbstverständlich, denn Leni hat das Down-Syndrom.

Der Weg zum Platz in die Regelschule war dabei nicht so einfach, wie man es im Jahr 2025 erwarten könnte.

Die neue Bundesregierung hat viel zu tun

Auf Hürden wie diese macht alljährlich am 5. Mai der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung aufmerksam. 2025 steht er unter dem Motto „Neustart Inklusion“.

Durch die vorgezogenen Neuwahlen seien wichtige Reformen wie die des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes und des Behindertengleichstellungsgesetzes gestoppt worden, so die Aktion Mensch.

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Mit Aktionen, die unter anderem von der Aktion Mensch unterstützt werden, wird vom 26. April bis 11. Mai bundesweit auf die Belange von Menschen mit Behinderung aufmerksam gemacht.

Auf die Belange von Menschen wie Leni. „Bis zur Einschulung sind wir gefühlt nie an bürokratische Grenzen gestoßen“, sagt ihre Mutter Ramona Burger. Sie ist Erzieherin und leitet die Schwenninger Betriebs-Kita Glühwürmchen der Firma Waldmann. Schon seit mehr als zehn Jahren werde dort inklusiv gearbeitet, schildert sie.

„Wir können zu Hause viel fördern, aber am meisten lernt Leni von anderen Kindern.“
Ramona Burger, Mutter von Leni

Leni hat die Glühwürmchen-Kita besucht, und für ihre Eltern stand bald fest: Leni soll auch in eine inklusive Grundschulklasse gehen, in der sie eine Schulbegleitung zur Unterstützung erhält.

Inklusion, so lange der Weg passt

„Wir können zu Hause viel fördern, aber am meisten lernt Leni von anderen Kindern“, sagt ihre Mutter. Dass das Konzept der inklusiven Beschulung womöglich nicht für immer funktioniert, ist Ramona Burger bewusst. „Wenn wir merken, dass das System für Leni nicht mehr passt, ist ein Schulwechsel natürlich keine Frage.“

Lenis Schulbücher sind speziell auf die Bedürfnisse von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf in inklusivem Unterricht zugeschnitten.
Lenis Schulbücher sind speziell auf die Bedürfnisse von Kindern mit erhöhtem Förderbedarf in inklusivem Unterricht zugeschnitten. | Bild: Göbel, Nathalie

Das steht aktuell aber gar nicht zur Diskussion: Leni besucht eine inklusive Grundschulklasse, die auch noch zufällig an der Grundschule ihres Wohnorts Marbach gebildet wurde.

„Das ist wie ein Sechser im Lotto“, freut sich Ramona Burger. Bedeutet es doch, dass Leni zusammen mit den Freunden aus der Nachbarschaft in die Schule laufen kann.

Wo Deutschland ist, ist Bürokratie nicht weit

Bis Leni im Herbst 2024 stolz ihre Schultüte im Arm halten konnte, war es jedoch ein langer Weg. Unzählige Telefonate mit Ämtern hat Ramona Burger geführt, Leni musste eine ganze Reihe von Tests absolvieren. „Ich stand vor einem bürokratischen Chaos, obwohl mir das Thema ja nicht fremd ist“, schildert Ramona Burger.

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Deutschland und Bürokratie: Scheinbar unzertrennlich, und das in allen Lebensbereichen. Das Wirtschaftsinstitut ifo kam 2024 in einer Studie zu dem Ergebnis, dass Deutschland jährlich 146 Milliarden Euro durch bürokratische Hürden verliert. 2019 meldete das Institut der deutschen Wirtschaft, dass weniger Bürokratie den Unternehmen dabei helfen würde, mehr Menschen auf behindertengerechten Arbeitsplätzen zu beschäftigen.

Es verwundert wenig: Auch vor der schulischen Inklusion macht der Verwaltungsapparat nicht Halt. „Manchmal dachte ich, wir sind die erste Familie, die ein Kind mit Down-Syndrom inklusiv beschulen lassen will“, sagt Ramona Burger.

Verschiedene Zuständigkeiten

Das Thema Zuständigkeiten ist bereits ein Hindernis: Für Kinder mit geistiger oder körperlicher Behinderung ist das Sozialamt (heute Amt für Soziale Sicherung, Pflege und Teilhabe) zuständig, während Kinder mit seelischen Behinderungen wie Autismus die Jugendhilfe betrifft, erklärt Kristina Diffring vom Landratsamt Schwarzwald-Baar.

Die Jugendhilfe finanziert für die Schulbegleitung Fachkräfte wie Erzieher oder Sozialpädagoginnen, das Sozialamt bezahlt keine Fachkräfte.

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Im Umkehrschluss heißt das: Für die Schulbegleitung eines Kindes mit seelischer Behinderung können sich Familien zum Beispiel an die Caritas oder an freie Träger wie die Switch GmbH wenden, die entsprechende Fachkräfte beschäftigen.

Familie Burger muss selbst auf die Suche gehen

Die Schulbegleitung für Leni musste Familie Burger hingegen selbst finden. „Es gibt da leider keine fertigen Konzepte“, sagt Ramona Burger. Also machte sie sich selbst auf die Suche. Mit Erfolg.

Lenis Schulbegleiterin Viktoria Gühring ist beim Pflegedienst Home Instead angestellt. „Die Pflegedienste erhalten für Schulbegleitungen nur Hilfskräftebudgets, sodass es sich für sie eigentlich nicht lohnt, das anzubieten“, sagt Ramona Burger.

Leni und ihre Schulbegleiterin Viktoria Gühring. „Sie ist mein Goldschatz“, sagt die 41-Jährige über die Erstklässlerin.
Leni und ihre Schulbegleiterin Viktoria Gühring. „Sie ist mein Goldschatz“, sagt die 41-Jährige über die Erstklässlerin. | Bild: Viktoria Gühring

Dennoch haben einige Pflegedienste Schulbegleitungen im Angebotskatalog – ein Glück für die Burgers und für Lenis Begleiterin Viktoria Gühring gleichermaßen.

Mit Kindern zu arbeiten, sei eigentlich schon immer ihr Traum gewesen, sagt Viktoria Gühring. Sie hat selbst zwei Kinder, neun und 16 Jahre alt, und zuletzt einen klassischen Vollzeit-Bürojob. Weil die Ausbildung zu Erzieherin früher nicht vergütet wurde, absolvierte sie nach dem Realschulabschluss eine kaufmännische Lehre.

Ein Volltreffer für beide Seiten

Als sie im Whatsapp-Status einer Freundin las, dass eine Familie aus Marbach auf der Suche nach einer Schulbegleitung sei, schrieb sie spontan um 23 Uhr abends noch eine Nachricht, dass sie Interesse hätte. Ein Volltreffer.

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Für Viktoria Gühring wurde der spontane Entschluss zum Neustart und zur Herzensangelegenheit. „Ich habe Leni kennengelernt und war sofort verliebt“, sagt sie. „Sie ist mein Goldschatz.“ In der Inklusionsklasse ist sie für Leni und zwei weitere Kinder als Begleiterin im Einsatz. Sie hilft ihnen bei allem, wo Hilfe benötigt wird: Das kann bei der Freiarbeit in Mathematik sein oder auch bei der Stiftführung, wenn in Deutsch ein neuer Buchstabe erlernt wird.

Vier Kinder mit Schulbegleitung

Ein viertes Kind aus der Klasse hat ebenfalls eine Schulbegleitung, in diesem Fall eine Fachkraft. Außerdem wird die Klassenlehrerin von einem Sonderschullehrer unterstützt. „Zwei Lehrpersonen, zwei Schulbegleiter – das ist natürlich ein unglaublich toller Betreuungsschlüssel“, sagt Ramona Burger.

„Sport ist mein Lieblingsfach. Und Musik!“
Leni Burger, Erstklässlerin aus Marbach

Sie ist glücklich, dass Lenis inklusiver Bildungsweg nicht mit der Einschulung geendet hat. Leni fühle sich in der Klasse sehr wohl. Berührungsängste gebe es keine, ganz im Gegenteil. Schon bald nach Schulbeginn war Leni auf den ersten Kindergeburtstagen eingeladen. Sport sei ihr Lieblingsfach, sagt Leni. „Und Musik.“

Ein Planungs-Mensch lernt Geduld

Glücklich sind nicht nur die Burgers, dass sich alles so gefügt hat, wie es nun ist. Auch Viktoria Gühring bereut es keinen Tag, ihren Bürojob aufgegeben zu haben. Im Lehrerkollegium sei sie sehr herzlich und hilfsbereit aufgenommen worden. „Ich habe mir schon vorgestellt, dass es gut wird. Aber dass es so gut wird, hätte ich nicht gedacht.“

Den Wechsel bereut sie nicht einen Tag

Auch sie selbst lerne unglaublich viel. Vor allem von Leni und vor allem Geduld. „Es ist sogar schon meiner Familie aufgefallen, dass ich geduldiger geworden bin“, sagt sie und lacht. „Ich war bisher immer so ein Planungs-Mensch, bei dem alles reibungslos funktionieren muss.“

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Viktoria Gühring peilt nun ein Fernstudium in Inklusions- und Heilpädagogik an, um sich noch besser zu qualifizieren und zu besseren Konditionen arbeiten zu können. „Von einem Vollzeitjob auf Hilfskraft in Teilzeit umzusatteln, spürt man finanziell natürlich schon“, sagt sie. Also zurück in ihren alten Beruf? „Nie wieder“, sagt sie.