Es gibt ein Formular, das für gesetzliche Versicherte aus Deutschland eine Eintrittskarte in den Schweizer Gesundheitsmarkt sein kann. Wenn die Wartezeit für einen Facharzttermin im Kreis Waldshut mal wieder ein halbes Jahr oder länger beträgt, warum es dann nicht einfach mal links des Rheins probieren? In einigen Fällen werden die Kosten sogar voll von der deutschen Krankenkasse übernommen.
Mit dem richtigen Formular zur Behandlung in der Schweiz
Dieser Fall lässt aufhorchen: Ein gesetzlich versicherter Patient vom Hochrhein hatte zwei Hörstürze und begab sich in schweizerische Behandlung – mit jeweils unterschiedlichem finanziellen Ausgang.
- Hörsturz Nummer 1 führte ins Regionalspital nach Rheinfelden/Schweiz. Über die Behandlung stellten die Schweizer eine Rechnung über 800 Euro aus. Nach Abklärungen mit der gesetzlichen Kasse war klar: Diese übernimmt von den 800 Euro nur etwa ein Viertel.
- Hörsturz Nummer 2 führte in eine HNO-Praxis im Kanton Basel-Landschaft. Dort gab es die entscheidende Info: Die Kosten können bei der gesetzlichen Kasse über das Formular S 2 abgerechnet werden. Der Patient beantragte es und reichte es nach. So musste die Arztrechnung zwar zunächst beglichen werden, allerdings werde die Summe von der Kasse vollends zurückerstattet.
Das so genannte S2-Formular gilt innerhalb der EU, aber eben auch in der durch die bilateralen Verträge mit der EU verbundenen Schweiz.
Immer eine Einzelfallentscheidung
Einem Antrag auf Ausstellung eines S 2-Formulars muss eine deutsche Krankenkasse zustimmen. Bedingung aber ist, dass die „beantragte Behandlung Teil des deutschen Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ist und die notwendige Behandlung in Deutschland nicht innerhalb eines in Anbetracht des derzeitigen Gesundheitszustands und Krankheitsverlaufs medizinisch vertretbaren Zeitraums erbracht werden kann“. Dies schreibt Sandra Scheuring von der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK).
Die Kasse muss also zustimmen, etwa wenn die Expertise für eine bestimmte Operationsmethode in Deutschland gar nicht vorhanden ist. Sonst ist es eine Einzelfallentscheidung, für die es Zeit braucht und die daher besser weit im Vorfeld abgeklärt werden sollte.
Generell heißen die Knackpunkte hier: Was heißt „medizinisch vertretbarer Zeitraum“? Wie viel Wartezeit auf einen Termin ist zumutbar? In welchem Radius vom Wohnort müssen Kassenpatienten nach deutschen Facharztpraxen suchen? Muss die Solidargemeinschaft die Kosten der teureren Schweizer Behandlung übernehmen, nur weil jemand für eine Lappalie nicht ein paar Monate warten kann?
Stationäre Aufnahme und Notfall
Was steckt hinter der Patientenmobilitätsrichtlinie?
Eine weitere Möglichkeit zur medizinischen Behandlung in der Schweiz bildet gemäß DAK die sogenannte Patientenmobilitätsrichtlinie. Hier übernimmt die deutsche Krankenkasse aber nur die Kosten einer vergleichbaren Inlandsbehandlung. Und da es in der Schweiz immer teurer ist, müsste der oder die Versicherte die Mehrkosten aus der eigenen Tasche draufzahlen. Zudem müsste er oder sie auch in Vorleistung gehen und das Geld bis zur Abrechnung komplett vorschießen.

Auch das Gesundheitszentrum Fricktal in der Schweiz bietet in seinen diversen Praxen neben haus- auch fachärztliche Sprechstunden an. Die Einrichtung hat also Erfahrung mit der Kostenübernahme für deutsche Patientinnen und Patienten. „Vor der Behandlung in der Schweiz sollte stets eine Vorabgenehmigung durch die deutsche Krankenkasse vorliegen“, rät GZF-Sprecherin Sibylle Augsburger Hess.
Bei ambulanten Behandlungen sei es weiter wichtig, dass Patienten auf dem S2-Formular die korrekte Behandlungsdauer angeben und das Papier am Behandlungstag mitbringen. Andernfalls könne es sonst „zu unangenehmen Überraschungen“ kommen, so Augsburger Hess.
Einige OPs nur in der Schweiz
Tatsächlich könnte sich die Grenzthematik in der Medizin am Hochrhein noch verschärfen. Dünnt sich doch auf der deutschen Hochrhein-Seite das Angebot mehr und mehr aus: Ambulante Operationen beispielsweise im Bereich orthopädische Chirurgie bieten die Kliniken des Landkreises Lörrach zwar auch weiterhin an.
Aber eben nicht mehr in dem seit Frühjahr 2024 geschlossenen MVZ im Kreiskrankenhaus Rheinfelden, sondern am Standort Lörrach. All das verlängert die Wege und lässt nähere Alternativen, eben auch in der Schweiz, ins Blickfeld rücken.
Teils „wandern“ auch immer mehr medizinische Dienstleistungen ins Schweizer Ausland ab, so etwa im Bereich orthopädische Fachpraxen im Kreis Lörrach. Auf Webseiten finden sich Hinweise darauf, bei stationären OPs teils als Belegärzte für Kliniken in Basel-Land und Basel-Stadt tätig zu sein. Ob das ein neuer Trend ist oder gängige Praxis, ist unklar. Diesbezügliche Nachfragen dieser Zeitung blieben unbeantwortet.
Der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg fällt hier die Abwägung schwer. „Sicherlich kann ein Arzt entscheiden, dass er ambulante Operationen auch in der Schweiz durchführt“, sagt deren Sprecher Kai Sonntag. Grundsätzlich hätten Patientinnen und Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung aber einen Behandlungsanspruch bei einem in Deutschland zugelassenen Kassenarzt und dürften „bei einer Leistung, die Gegenstand der gesetzlichen Krankenversicherung ist, nicht auf eine privatärztliche Abrechnung verwiesen werden.“