Corona und die damit verbundenen Folgen und Maßnahmen haben für einen wirtschaftlichen Ausnahmezustand in der Region gesorgt, dessen Folgen sich noch gar nicht abschätzen lassen. In einigen Bereichen habe die Krise gar wie ein Brandbeschleuniger gewirkt, sagen Experten. So haben sich bereits davor vorhandene strukturelle Probleme schneller verschärft, als dies erwartet worden war. Bestes Beispiel hierfür sind die Innenstädte in der Region, die nach Angaben der Industrie- Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee um ihre Existenz bangen.
Genaues Ausmaß der Krise erst in einigen Monaten zu beziffern
In drei Phasen teilt die Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee die vergangenen, Corona-dominierten Monate ein: Den Totalausfall jeglicher Geschäftstätigkeit (Lockdown), gefolgt vom Wiederanlaufen ohne die Kunden aus der Schweiz und schließlich der mehr oder minder gelingenden Erholung unter Corona-Bedingungen.

Aspekte wie Mund-Nasen-Schutz oder Abstandsregelungen seien zwar wenig angetan, das Einkaufsvergnügen zu steigern, räumt Claudius Marx ein. Sie seien aber zwischenzeitlich von der überwiegenden Mehrheit der Kunden akzeptiert, und Verstöße im Alltag kämen allenfalls in überschaubarem Maße vor.
Erst zum Jahresende könne hier eine Gesamtbilanz gezogen werden, wie viel Boden in der letzten Phase wieder gut gemacht werden konnte, so Marx: „Aktuell lässt sich immerhin sagen, dass es dem Handel generell in unserer Region im Juni und August besser ging als erwartet.“

Wann und ob der Handel wieder das Umsatz-Niveau vor der Pandemie erreichen wird, ist ungewiss, zumal der Einkaufstourismus bereits vor Corona im Sinkflug war. „Bereits deshalb wird es keine vollständige Rückkehr zum status-quo-ante geben“, sagt Claudius Marx.

Zukunftsangst in den Innenstädten
Es zeichnet sich ab, dass die Innenstädte von der Corona-Pandemie am heftigsten gebeutelt worden seien, sagt Marx. Das gelte insbesondere für die Mittelzentren wie Bad Säckingen und Rheinfelden, wo die Geschäfte noch vielfach auf die Rückkehr der Kundschaft warteten, während in den Einkaufszentren „auf der Grünen Wiese“ bereits wieder Vor-Corona-Umsätze erwirtschaftet würden.
Neben Beschränkungen und temporären Schließungen im Frühjahr setze der Online-Handel vielen Geschäften inzwischen extrem zu, so Marx. Habe die Abwanderung der Kunden ins Internet schon seit Jahren zu steigenden Herausforderungen für die Geschäfte geführt, habe sich dieser Trend während der Pandemie noch verschärft: „Nicht wenige Kunden, die zuvor in die Innenstädte gingen, haben sich an das Online-Shopping gewöhnt, und manche werden vielleicht nicht oder nicht sogleich wieder zum stationären Einzelhandel zurückkehren.“

Und die Corona-bedingten Bestimmungen trügen dazu bei, dass das Einkaufvergnügen von einem beinahe „technischen Vorgang“ abgelöst worden sei, schildert Marx: „Es wird eher beschafft und besorgt als gestöbert, probiert und entdeckt, die Lust am Shopping und das Flanieren sind noch verhalten.“
Dabei gehe es längst nicht mehr nur um die Rückgewinnung Schweizer Einkaufstouristen, die ihrerseits eher einen Bogen um die Innenstädte machten und sich eher auf die Einkaufszentren konzentrierten, sondern um viel grundlegendere Dinge: Die Wiederbelebung eines unterbrochenen Marktes. Dieses Problem zu lösen, sei „das Gebot der Stunde“, so Marx, denn ansonsten drohten Leerstände und Arbeitsplatzverluste. Es wäre das Ende der Innenstädte als Flaniermeilen, als Zentren des gesellschaftlichen Lebens und der Vielfalt.
Bemühungen, den Innenstadt-Tod zu verhindern
Auf verschiedenen Ebenen werde derzeit versucht gegenzusteuern. Das tun einerseits die Händler selbst, indem sie für die Vorzüge der Innenstädte werben, und auch versuchten, das Vertrauen in einen risikolosen Aufenthalt in Geschäften zurückzugewinnen. Dazu setzten sie auf eine Vielzahl von Aktionen wie Preissenkungen auf Lagerbestände, rabattierte Park-Gutscheine und andere Anreize.
Es tut sich aber auch etwas auf politischer Ebene. Hier setze auch die Projektgruppe „Einkaufsstandorte stabilisieren“, eine eine Initiative von IHK, Kommunen, Gewerbevereinen und Wirtschaftsförderern an, in der Strategien für zukunftsfähige Innenstädte erarbeitet werden. Marx dazu: „Weil sich die Herausforderungen gleichen, unterstützen sich die Städte gegenseitig, vernetzen sich untereinander und tauschen Strategien und Erfahrungen, Erfolge und Misserfolge aus.“
Mit von der Partie seien laut Marx die Städte Bad Säckingen, Konstanz, Singen, Waldshut-Tiengen, Rheinfelden, Radolfzell, Lörrach, Schopfheim, Engen, St. Blasien, Stockach und Wehr. Gemeinsam sei bereits ein Leitfaden mit Maßnahmen zur Innenstadtentwicklung entwickelt worden, aus dem sich jede Stadt geeignete Maßnahmen herauspicken könne. Die zweite Phase soll Ende Oktober starten.

Nicht in allen Branchen herrscht Krisenstimmung
Generell sei die Situation sei jedoch von Ort zu Ort und je nach Branche unterschiedlich. Gastronomie, Hotellerie und Freizeitanbieter hätten beispielsweise nach Komplettausfällen im Frühjahr von einem guten Sommer und starkem Inlandstourismus profitieren können, auch in größeren Städten wie Weil am Rhein herrsche wieder wachsende Kundenfrequenz.
Erheblich profitiert hätten auch Möbel- und Ausstattungshäuser, wobei hier vor allem Dinge des täglichen Bedarfes reißenden Absatz fänden, während die Anschaffung neuer Möbel bei vielen Menschen derzeit eher eine untergeordnete Rolle spielen.
Einen regelrechten Boom habe auch die Fahrradbranche erlebt, wo besonders E-Bikes stark nachgefragt sind.
Kurzarbeit und ihre Folgen
Bisher ist durch die Kurzarbeit in vielen Betrieben eine Entlassungswelle zwischen Hochrhein und Bodensee ausgeblieben. Mit der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes unter erleichterten Bedingungen im kommenden Jahr sei die Gefahr „weiter eingedämmt, aber keinesfalls endgültig gebannt“, betont Claudius Marx.
Das gelte insbesondere für die Industrie, wo in der Kurzarbeit, je länger sie praktiziert werde, „ein um so größeres Potenzial drohenden Arbeitsplatzabbaus liegt“, so Marx.
Und wie geht es weiter?
Auch wenn die Vorzeichen in vielen Bereichen zumindest schwierig seien, erwartet die IHK „eine sukzessive Rückkehr zur Normalität – auch des Einkaufstourismus in unserer Region“, betont Claudius Marx.
Denn nach wie vor sei Deutschland aufgrund von Preisstrukturen, Rückerstattungen, einem attraktiven Wechselkurs und vielerlei anderen Gründen für Schweizer Kunden attraktiv.