Den kurvigen Schwarzwald in turbulenten Abfahrten auf dem Mountainbike erkunden, mit seinem Partner in einem der vielen Thermalbäder am Hochrhein die Seele baumeln lassen, exotische vegane Rezepte ausprobieren und genießen – kurz: „lachen, lieben, leben“ – das sind die Lebensziele von Jochen Wier (30). Die Liebe und sein Job im CompetenceCenter Hilfsmittel der AOK Hochrhein-Bodensee haben den Stuttgarter 2021 in seine neue Heimat Bad Säckingen verschlagen. Und dass sein Körper etwas anders ist als andere, weil er Unterschenkel-Prothesen trägt und nur einen Arm hat, vergisst man im Gespräch mit dem optimistischen, jungen Mann in kürzester Zeit. „Auch wenn mir die Gesellschaft oft anderes suggeriert: Aus meiner Sicht bin ich ganz normal“, sagt er, „ich habe eine Behinderung, aber ich lasse mich deshalb nicht behindern.“

Der Tag, an dem sich alles änderte

Es war der 15. Mai 2010. Jochen Wier, damals 18 Jahre alt, feiert mit Freunden in Stuttgart. Am nächsten Morgen findet man ihn regungslos auf dem Dach einer S-Bahn. Wie er dort hinauf gekommen ist, weiß er nicht. Denn: Jemand hatte ihm nachweislich K.O.-Tropfen in seinen Drink gemischt.

Er hat schwerste Verbrennungen von der 15.000 Volt starken Oberleitung – das ist 65 Mal so viel Strom wie in einer Steckdose! Beide Unterschenkel und der linke Arm müssen amputiert werden. Monatelang liegt Wier im Krankenhaus, lässt mehr als 20 Operationen mit Vollnarkose über sich ergehen.

„Anfangs fühlte ich mich ohnmächtig und hilflos“, erzählt Jochen Wier, „fragte mich, was ich an diesem Abend falsch gemacht habe und wer mir das angetan hat.“ Doch er merkt: „Diese negativen Gedanken bringen mich nicht weiter!“ Also fragt er sich: „Will ich Schmerz, Frust und die Suche nach einem Schuldigen mein Leben bestimmen lassen?“ Und er beantwortet diese Frage mit „Nein! Ich will diese Opferrolle nicht annehmen.“

Das neue Leben

Nach Spital und Reha muss er das Laufen mit Prothesen, das Schreiben mit der rechten Hand (als Linkshänder), Haushaltsbewältigung, Autofahren und so vieles mehr neu lernen. Aber er zeigt allen, die denken, ein normales Leben zu leben sei nach so einem schrecklichen Schicksalsschlag nicht mehr möglich: „Selbstbestimmt weiterzuleben ist eine Entscheidung.“ Und die hat er getroffen.

Jochen Wier aus Bad Säckingen verlor bei einem Unfall beide Beine und einen Arm. Heute lebt er in Bad Säckingen, arbeitet bei der AOK ...
Jochen Wier aus Bad Säckingen verlor bei einem Unfall beide Beine und einen Arm. Heute lebt er in Bad Säckingen, arbeitet bei der AOK Hochrhein-Bodensee und trainiert für die Paralympics. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

2016 beginnt er sogar Marathon zu laufen, schafft seinen ersten in Bremerhaven in 3 Stunden und 54 Minuten. Ein Jahr später, in Berlin, ist er bereits eine halbe Stunde schneller. „Da wusste ich, dass ich irgendwann bei den Paralympics antreten möchte“, sagt Jochen Wier. Mittlerweile trainiert er mit verschiedenen Prothesen fast täglich, joggt durch den Park um die Villa Berberich in Bad Säckingen, schwimmt seine Bahnen im warmen Wasser der Aqualon Therme und radelt mit Rennrad und Mountainbike durch die Schluchten und Berge des Südschwarzwaldes – sowie zur Arbeit im rund 25 Kilometer entfernten Waldshut.

Jochen Wier aus Bad Säckingen verlor bei einem Unfall beide Beine und einen Arm. Heute lebt er in Bad Säckingen, arbeitet bei der AOK ...
Jochen Wier aus Bad Säckingen verlor bei einem Unfall beide Beine und einen Arm. Heute lebt er in Bad Säckingen, arbeitet bei der AOK Hochrhein-Bodensee und trainiert für die Paralympics. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

„In der Disziplin Triathlon bei den Paralympics in Paris 2024 antreten – das ist mein Ziel“, sagt er lächelnd, „der Sport tut meiner Seele und meinem Selbstbewusstsein sehr gut!“

Drei Positiv-Tipps von Jochen Wier

Als Sachbearbeiter im CompetenceCenter Hilfsmittel der AOK Hochrhein-Bodensee in Waldshut betreut und berät er Versicherte seit Mai 2021 rund um Anliegen und Fragen zu Hilfsmitteln im Bereich der Medizintechnik. „Der enge Kundenkontakt gefällt mir sehr gut“, sagt Wier, „hinter jedem Anliegen steckt ein ganz persönlicher Schicksalsschlag – das weiß ich aus eigener Erfahrung sehr gut.“

In seiner alten Heimat hat er sich für Barrierefreiheit und Gerechtigkeit in Vereinen und Gremien engagiert und kann sich das auch am Hochrhein gut vorstellen: „Wenn ich 80 bin, will ich auf mein Leben zurückblicken und etwas in der Welt bewegt haben“, sagt Jochen Wier, „ich will mich engagiert, Menschen motiviert, Bäume gepflanzt und viel gelacht haben.“