Wenn das Krankenhaus Stühlingen am 31. Juli 2022 schließt, soll die Gesundheitsversorgung im östlichen Landkreis im dortigen Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) nahtlos weitergehen. Den Grundstein legte jetzt der Waldshuter Kreistag in einer Sondersitzung.

Die anwesenden Kreisräte stimmten geschlossen für die Gründung der Medicum Stühlingen GmbH als Tochtergesellschaft der Klinikum Hochrhein GmbH. Bis die neue Gesellschaft ihre Arbeit aufnehmen kann, wird das MVZ weiter vom Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) betrieben – dies habe der Landkreis Konstanz mehrfach zugesichert, erklärte Landrat Martin Kistler in der Sitzung.

Einen Tag später, am Freitagvormittag, kam die nächste gute Nachricht für die Stadt Stühlingen: Das Land Baden-Württemberg fördert die Konzepterstellung eines Primärversorgungszentrum mit 154.545 Euro. Den Antrag hatte die Stadt Stühlingen mit Hilfe des Klinikums Hochrheins im Mai gestellt. Mit dem Primärversorgungszentrum soll künftig die Gesundheitsversorgung im nordöstlichen Landkreis abgedeckt werden. Mit dem positiven Bescheid kann nun ein Planer mit der Erstellung eines Konzepts beauftragt werden.

Wie ist die Ausgangsituation?

Der GLKN hat am 8. Juni verkündet, die stationäre Versorgung in Stühlingen zum 31. Juli 2022 einzustellen. Die Fortsetzung des stationären Betriebs ist auch für den Landkreis Waldshut keine Alternative, dies verdeutlichte Landrat Martin Kistler noch einmal in der Sitzung am Donnerstag. Aber: „Was wir uns vorstellen können, ist das MVZ in der Trägerschaft des Klinikums Hochrhein weiterzuführen.“

„Wir werden ein Ausdünnen in der Fläche in der ambulanten Versorgung bekommen“, wagte Hans-Peter Schlaudt, Geschäftsführer der Klinikum Hochrhein GmbH, einen Blick in die Zukunft. Um die Gesundheitsversorgung aufrecht zu erhalten, soll in Stühlingen langfristig ein Primärversorgungszentrum entstehen. Bis es soweit ist, übernimmt die Medicum Stühlingen GmbH den Betrieb des MVZ Stühlingen vom Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz.

Wie geht es jetzt weiter?

Nach der Gründung der Medicum Stühlingen GmbH soll das Medizinische Versorgungszentrum mit den vorhandenen Ärzten und Mitarbeitern (Gynäkologie, Allgemeinmedizin, Geburtshilfe) aufgebaut werden. Die neue GmbH als Betreiber soll Oktober/November an den Start gehen.

Geplant ist laut Hans-Peter Schlaudt auch eine Erweiterung um weitere Fachgebiete, wie etwa Innere Medizin oder Chirurgie – sofern die Kassenärztliche Vereinigung (KV) ihre Zustimmung erteilt. „Wir starten bei Null. Wir dürfen die Räume weiter nutzen, brauchen aber eine neue technische Ausstattung und neue IT“, so Hans-Peter Schlaudt.

Welche Risiken birgt die Übernahme des MVZ?

Neben den positiven Aspekten für die Patientenversorgung wies Hans-Peter Schlaudt auch auf das erhöhte wirtschaftliche Risiko hin. Dieses liege vor allem im Fachkräftemangel, in der Schwierigkeit Stellen nach zu besetzen und dem damit verbundenen Risiko mangelnder Leistungsfähigkeit.

Weitere Risikofaktoren seien die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten sowie die zusätzliche Gewinnung von Kassenarzt-Sitzen. Im schlimmsten Fall – wenn keine Erlöse erzielt werden – geht Schlaudt von einem Defizit von 348.000 Euro pro Jahr aus.

„Das ist aber nicht kalkulierbar. Ich gehe von einer schwarzen Null oder einem leichten Defizit aus. Wenn alle Player mitspielen, kriegen wir das auch hin“, so Schlaudt. Zudem solle auch über eine Beteiligung der Stadt Stühlingen verhandelt werden.

Wie sieht es mit dem Personal aus?

Schon früh habe der Landkreis Waldshut laut Martin Kistler den Mitarbeitern des Stühlinger Krankenhauses signalisiert, zum Klinikum Hochrhein zu kommen. Laut Geschäftsführer Hans-Peter Schlaudt habe es bisher zwölf Bewerber gegeben, ein Oberarzt hat seinen Dienst am 1. Juli angetreten. Weitere Gespräche stehen laut Schlaudt an. „Zwölf von 30 Mitarbeitern, die Quote ist nicht so schlecht.“

Was sagt Bürgermeister Joachim Burger?

Mit einem Tsunami verglich Stühlingens Bürgermeister Joachim Burger die Folgen des Strukturgutachtens, das im März veröffentlicht wurde. „Nach dem Tsunami steht noch der Keller und darauf können wir jetzt aufbauen“, so Burger über das MVZ. Er appellierte eindringlich an die Kreisräte: „Jetzt brauchen wir wieder Vertrauen. Wir müssen jetzt Ruhe reinbringen.“

Was sagen die Kreisräte?

Einige Kreisräte waren in der Sondersitzung verhindert, unter den 32 anwesenden Mitgliedern des Kreistags gab es zahlreiche Wortmeldungen vor dem Beschluss. Als „alternativlos“ bezeichnete Thomas Schäuble (CDU) die Übernahme des MVZ. „Wir müssen etwas für die medizinische Versorgung der Bevölkerung tun.“

Ähnlich sah es auch Michael Thater (Freie Wähler), allerdings forderte er eine Beteiligung der Stadt Stühlingen. Diese Forderung unterstrichen auch weitere Kreisräte, unter anderem auch Elvira Horn (Grüne). Carolin Welsch (FDP) appellierte, so viele Betten wie möglich zu übernehmen und das Augenmerk darauf zu legen, weitere aufzustocken.

Genauso wie Felix Schreiner (CDU) kritisierte auch Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) die Kommunikation des GLKN. „Es war nicht absehbar, dass die Schließung so schnell kommt. Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.“

Wie fallen die Reaktionen auf den Beschluss aus?

Für den einstimmigen Beschluss gab es langen Applaus aus den Zuschauerreihen. Dort hatten neben zahlreichen Bürgern aus Stühlingen und Mitgliedern des Freundeskreises Krankenhaus Loretto auch Stühlingens Alt-Bürgermeisterin Isolde Schäfer und Abduhl Zaher Zamani, Leiter der Praxis für Allgemeinmedizin am MVZ Stühlingen, Platz genommen.

Abdul Zaher Zamani ist Facharzt für Allgemeinmedizin und praktiziert am Medizinischen Versorgungszentrum als angestellter Arzt am ...
Abdul Zaher Zamani ist Facharzt für Allgemeinmedizin und praktiziert am Medizinischen Versorgungszentrum als angestellter Arzt am Krankenhaus Stühlingen. | Bild: Edinger, Gerald

Dem Mediziner war die Erleichterung über die Entscheidung anzusehen: „Ich freue mich auch für die Patienten. Es gab viele Unklarheiten, wie es weitergeht.“ Mit dem einstimmigen Beschluss sei er sehr glücklich. „Jetzt kann ich unseren Patienten sagen, dass wir in Stühlingen eine Zukunft haben und sie sich keinen neuen Arzt suchen müssen“, so Abduhl Zaher Zamani.

Die Entwicklungen beim Krankenhaus Stühlingen

Perspektive für Gesundheitsversorgung: Der Landkreis Waldshut bereitet die Übernahme des MVZ vor

Stühlinger Krankenhaus: Einschätzung, Chance, Konsequenzen – was der Sprecher der Bürgermeister sagt

Krankenhaus Stühlingen: Bürgermeister im östlichen Kreisgebiet appellieren für Erhalt

Mediziner ist alarmiert: Diese Auswirkungen hätte eine Schließung des Stühlinger Krankenhauses

Medizinische Versorgung im ländlichen Raum: Minister Peter Hauck sieht Lösungsansätze für den Erhalt des Krankenhauses Stühlingen

Kampf für den Erhalt: Freundeskreis Krankenhaus Loreto startet Online-Petition zum Erhalt des Krankenhauses

So will Bürgermeister Joachim Burger dasStühlinger Krankenhaus retten

Mögliches Aus des Stühlinger Krankenhauses: DGB sieht Gesundheitsversorgung in Gefahr

Wie geht es weiter? Landkreis will mit Krankenhaus-Träger verhandeln

Bürgermeister Burger: 'Wir werden um den Krankenhaus-Standort Stühlingen kämpfen!'

Reaktion: Was die Betriebsrätin des GLKN zum Strukturgutachten sagt

Strukturgutachten: Dem Krankenhaus Stühlingen droht das Aus