Frau Willmann und Frau Siebold, Sie beide sind ehrenamtlich in der Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle (IBB) im Einsatz. Seit wann gibt es dieses Angebot im Landkreis Waldshut?

Willmann:2016 wurde die IBB ins Leben gerufen. Jeder Landkreis in Baden-Württemberg wurde vom Landesministerium für Gesundheit und Soziales verpflichtet, ein beratendes, unterstützendes und informierendes Angebot einzurichten, das sich an Menschen mit psychischen Erkrankungen und deren Angehörige richtet.

Siebold:Das ist sogar im Landespsychiatriegesetz (kurz PsychKG) verankert. Niemand darf in unserer Gesellschaft auf der Strecke bleiben. Es geht im Kern um Teilhabe durch Hilfestellung und Informationsaustausch.

Wie genau sieht das Angebot des IBB aus?

Willmann:Wir bieten an jedem ersten Montag im Monat zwischen 14.30 und 16.30 Uhr eine Sprechstunde an, zu der Betroffene und deren Angehörige nach telefonischer Voranmeldung kommen können. Die Sprechstunde findet im Landratsamt statt, das uns den Raum zur Verfügung stellt. Wir alle sind ehrenamtlich tätig und dadurch komplett unabhängig und unparteiisch. Selbstverständlich halten wir uns an die Verschwiegenheitspflicht.

Braucht man eine ärztliche Diagnose oder Überweisung, um zu Ihnen zu kommen?

Siebold:Nein, jeder der sich seelisch nicht gut fühlt, darf zu uns kommen und findet ein offenes Ohr. Die Probleme sind so vielfältig wie die Menschen selbst und reichen von Depressionen und Burnout über Essstörungen, Suchterkrankungen und ärztlichen Befunden wie Borderline, Schizophrenie oder Demenz.

Wie viele Menschen beraten Sie pro Jahr?

Willmann: Wir bearbeiten rund 150 Fälle, mal kommen Betroffene selbst, mal Angehörige, mal komplette Familien, die unsere Unterstützung suchen.

Für die IBB Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle sind Johanna Siebold (von rechts) und Andrea Willmann ehrenamtlich im ...
Für die IBB Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle sind Johanna Siebold (von rechts) und Andrea Willmann ehrenamtlich im Einsatz. Mit SÜDKURIER-Mitarbeiterin Sira Huwiler-Flamm sprechen sie im Interview über die Wichtigkeit einer unabhängigen Anlaufstelle für psychisch kranke Menschen und die Herausforderungen in deren Alltag. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Dürfen Sie psychologisch beraten?

Siebold:Nein, wir sind mehr die Lotsen in stürmischen Zeiten, die jede Menge Informationen und Kontakte bereithalten.

Willmann:Inhaltlich beraten, unterstützen, vermitteln – das sind unsere Aufgaben. Und ganz oft geht es einfach darum, zuzuhören, da zu sein und Beistand zu leisten.

Was sind die häufigsten Nöte und Sorgen der Menschen?

Willmann:Wo finde ich ein betreutes Wohnangebot für meinen psychisch kranken Sohn? Wie können wir die Aufnahme in eine psychosomatische Rehaklinik in einer Akutsituation beschleunigen? Oder: Wie finde ich so schnell wie möglich einen Therapeuten für mich selbst? – das sind häufige Anliegen, bei welchen wir unterstützen können.

Siebold:Außerdem wissen wir, welche Angebote es überhaupt gibt, können auf Antragsformulare, Selbsthilfegruppen und Notfallkontakte verweisen.

Die IBB ist auch eine unabhängige Beschwerdestelle. Welche Beschwerden und Konflikte kommen am häufigsten vor?

Willmann:Viele Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen haben durch gerichtlichen Beschluss gesetzliche Betreuer zugewiesen bekommen. Die häufigsten Beschwerden betreffen diese Betreuer, weil es zum Beispiel persönlich nicht passt oder Menschen mit Aufmerksamkeits-Störungen sich von ihren Betreuern nicht gehört fühlen. Wir versuchen dann zwischen allen Betroffenen zu vermitteln und im Notfall auch alle Beteiligten an einen Tisch zu bekommen, um die Situation zu klären und zu schlichten.

Wie groß ist das Team hinter der Beratungsstelle?

Siebold: Wir sind insgesamt fünf Ehrenamtliche, darunter auch Betroffene und Angehörige, eine berentete Sozialpädagogin und eine Genesungsbegleiterin. Monatlich treffen wir uns und besprechen Einzelfälle. Diese Vielfalt unseres Teams ist ein toller Mehrwert, weil wir so mit verschiedenen Blickwinkeln Lösungen finden können.

Willmann: Ein Betroffener oder Angehöriger kann auf besondere Weise auf Augenhöhe mit den Menschen kommunizieren und auf seinen ganz eigenen Erfahrungsschatz zurückgreifen.

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Frau Willmann, Sie sind im Rahmen Ihres IBB-Ehrenamtes auch Patientenfürsprecherin im Zentrum für Psychiatrie in Waldshut. Was bedeutet das?

Willmann: Wenn Patienten unzufrieden sind – egal ob mit dem Klinikalltag, der ärztlichen Betreuung oder dem aktuellen Unterbringungsstatus – können sie mich kontaktieren. Ich höre dann zu und versuche zwischen Patient und Personal zu vermitteln. Der neutrale Blick von Außen kann ganz oft klärend und besänftigend wirken.

Wie kommen Sie selbst mit der Verzweiflung der Menschen klar?

Willmann: Wir bekommen sehr viel mit. Viele kommen zu uns, weil sie einfach nicht mehr weiter wissen. Da fließen auch mal Tränen. Durch meine langjährige berufliche Tätigkeit als gesetzliche Betreuerin kann ich aber recht gut Arbeit und Privates trennen. Außerdem haben wir unser Team im Rücken, mit welchem wir uns austauschen können.

Siebold: Das Stichwort lautet mitfühlen statt mitleiden. Auch ich hab über 25 Jahre als Hauswirtschaftsmeisterin in Pflege- und Krankeneinrichtungen gearbeitet und kann das gut trennen. Im Zweifelsfall braucht einfach jeder Mensch einen Ausgleich, mir tun Yogastunden und Tai Chi sehr gut!

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Informations-, Beratungs- und Beschwerdestelle?

Willmann:Dass wir noch ein paar ehrenamtliche Mitglieder dazugewinnen, um noch mehr Menschen Hilfe bieten zu können. Die Dankbarkeit der Menschen, in seiner Freizeit etwas sinnvolles bewegen – diese Tätigkeit ist sehr erfüllend und gibt uns sehr viel Kraft!

Siebold:Von der Gesellschaft und Politik wünschen wir uns außerdem, dass Maßnahmen geschaffen werden, die dazu beitragen, dass mehr Therapeuten, Sozialpädagogen und weitere Fachkräfte aus diesem Bereich in unsere Region kommen, um Lücken zu schließen.

Welche Eigenschaften sollten ehrenamtliche Unterstützer mitbringen?

Siebold:Mitgefühl, Empathie und Interesse an Menschen sind die wichtigsten Grundvoraussetzungen.

Willmann: Für alle weiteren Fachkenntnisse bekommt jeder Ehrenamtliche vier Wochenend-Schulungen zu Themen wie Gesprächsführung, Rechtliches, psychische Krankheitsbilder, sowie zu Möglichkeiten und Strukturen im Landkreis Waldshut und der Region.

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