Die Entwicklung des Sisslerfelds im benachbarten schweizerischen Fricktal wird auf die angrenzenden deutschen Gemeinden gewaltige Auswirkungen haben. Dies wurde am Montag im Gemeinderat Bad Säckingen deutlich, der sich in einer Sondersitzung mit dem Thema beschäftigte.
Bürgermeister Guhl: „Große Chancen, aber auch Risiken“
„Wir sehen in diesem Projekt für uns große Chancen, aber auch Risiken“, sagte Bürgermeister Alexander Guhl. Vor allem neuer Wohnraum und öffentliche Nahverkehrsverbindungen werden auch im deutschen Hochrheingebiet angesichts Tausender erwarteter Zuzügler und Pendler geschaffen werden müssen, wie in der Sondersitzung Sebastian Wilske, Verbandsdirektor des Regionalverbands Hochrhein-Bodensee, und von Schweizer Seite Daniel Kolb, Abteilungsleiter Raumentwicklung des Kantons Aargau, sowie der Münchwiler Gemeindeammann Bruno Tüscher erläuterten.

Unmittelbar südlich von Rhein und Landesgrenze markieren die Industrieanlagen von Lonza, Syngenta und DSM das 200 Hektar große Sisslerfeld. Bereits jetzt befinde sich auf dem Gebiet der Gemeinden Stein, Münchwilen, Eiken und Sisseln eine der größten Zusammenballungen von Life-Sciences-Produktionsstätten in der ganzen Schweiz, wie Daniel Kolb darlegte. 4000 Menschen arbeiteten hier, die jährliche Bruttowertschöpfung betrage zu Preisen des Jahres 2020 2,4 Milliarden Franken.
Für den Kanton Aargau stelle das Sisslerfeld einen wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkt von besonderer Bedeutung dar, so Kolb. Der Kanton habe deshalb einen Nutzungsplan verabschiedet. Dessen Ziel sei die Ansiedlung weiterer innovativer und immissionsarmer Betriebe aus dem Bereich Life Sciences mit hoher Wertschöpfung. Eine vom Kanton in Auftrag gegebene Studie gehe bis 2040 von 11.000 weiteren Beschäftigten und einer um 4,2 Milliarden Franken gesteigerten Bruttowertschöpfung aus.

All dies betrifft unmittelbar auch die deutsche Grenzregion, wie Sebastian Wilske sagte. Am augenfälligsten sei dies beim Wohnraum. „40 Prozent der Fachkräfte, die man sucht, werden auf süddeutscher Seite wohnen.“ Dies sind über 4000. Die steigende Nachfrage werde höhere Preise für Wohnraum und eine Ausrichtung des neu geschaffenen Angebots auf ein zahlungskräftiges Klientel zur Folge haben. Mit zusätzlichem Wohnraum sei es aber nicht getan, so Wilske. „Da hängt auch viel Infrastruktur dran.“ So sieht die Fortschreibung des Regionalplans eine mögliche neue Rheinbrücke zwischen Sisseln und Rothaus vor.
Bad Säckingen ist wegen des Sisslerfelds Modellregion in einem Projekt des Bundes
Wie all diese großen Fragen der Stadtentwicklung gelöst werden könnten, soll ein zweijähriges Modellvorhaben „Mehr Wohnungsbau ermöglichen“ zeigen. In dieses voraussichtlich im Mai startende Projekt der Bundesregierung sei Bad Säckingen als eine mehrerer Modellregionen aufgenommen worden. In dem Modell sollen nicht nur Antworten entwickelt werden, wie der künftige Bedarf an Wohnraum gedeckt werden kann. Es geht darin auch um die Frage, welche zusätzliche Infrastruktur benötigt wird, wie der zusätzliche Bedarf an Mobilität gedeckt werden und wie die Schaffung neuen Wohnraums auf die Nachfrageschübe abgestimmt werden kann.
Die Bevölkerung vor Ort beschäftigen vor allem die Themen Wohnen und Verkehr
Der Münchwiler Gemeindeammann Bruno Tüscher legte dar, vor welche Aufgaben die Entwicklung des Sisslerfelds die vier Schweizer Standortgemeinden konkret stellt: „Das ist echt eine Kiste für uns!“ Vor allem Verkehr und Wohnen spielten für die Bevölkerung und die Gemeindegremien eine große Rolle.

Diese beiden Fragen beschäftigen bereits jetzt den Bad Säckinger Gemeinderat. Die Größe der Herausforderung brachte am treffendsten Ruth-Cremer Ricken (Grüne) zum Ausdruck. „Das bedeutet einen Bevölkerungszuwachs, der in etwa der Größe der Stadt Wehr entspricht!“, rechnete sie für die zusätzlichen Arbeitskräfte und deren Familienmitglieder. Das werde den Wohnungsmarkt sprengen, dessen Angebote bereits jetzt für viele kaum bezahlbar seien. Auch bei der Kinderbetreuung, im Schulbereich und auf dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte werfe das Sisslerfeld Probleme auf. Hartmut Fricke (UBL) sagte: „Beim Thema Wohnen müssen wir Lösungen finden – und das wird schwierig.“ Man dürfe das Szenario aber nicht zu düster zeichnen.
Thelen stellt die Frage, ob die Schweizer sich an den Kosten der Deutschen beteiligen würden
Genau dies warf Michael Maier (CDU) Cremer-Ricken vor. Das Sisslerfeld mache den Bau der A98 und die Sicherung der ärztlichen Versorgung aber zu noch dringlicheren Aufgaben als ohnehin. Kolb bejahte Maiers Frage, ob die Entwicklung eines Science-Life-Clusters in unmittelbarer Nachbarschaft auch die Chancen erhöhen könnte, für das Bad Säckinger Gewerbegebiet Gettnau einen interessanten Investor zu finden. Fred Thelen (FW) brachte eine mögliche Schweizer Beteiligung an der Finanzierung des im Deutschen notwendigen Ausbaus der Infrastruktur ins Spiel. „Wir kennen ein solches Modell“, antwortete Kolb. Im Basler Agglomerationsprogramm flössen bereits jetzt Millionen Franken über die Grenze, auch am Ausbau der Hochrheinbahn beteilige sich die Schweiz.
„Es ist ein gigantisches Projekt“, fasste Bürgermeister Guhl zusammen. Damit es gelinge, müssten auch auf höherer Ebene die Voraussetzungen für eine möglichst reibungslose grenzüberschreitende Zusammenarbeit geschaffen werden. Vor Ort, so Guhl, arbeite man bereits eng zusammen.